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Nachricht vom 19.10.2010    

Schulleiter wehrt sich gegen Hetze im "Schnitzelkrieg"

Der Anlass war eher eine Bagatelle. Ende Februar dieses Jahres verwechselte eine Lehrerin an der Christophorus-Grundschule in Betzdorf-Bruche versehentlich Schweine- mit Putenschnitzeln. An der Schule gibt es natürlich auch Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens. Und im Islam ist bekanntlich der Verzehr von Schweinefleisch verboten. Eltern beschwerten sich. Die Sache war relativ schnell ausgeräumt. Ein örtlicher Journalist hatte die Sache aufgegriffen und darüber berichtet. Unaufgeregt. Professionell. Doch hatte "Gen-Thilo" Sarrazin noch nicht sein Buch geschrieben...Sieben Monate später, Sarrazins Machwerk war inzwischen erschienen, griffen der Krawall-Sender RTL und das Hetzblatt Bild die Sache wieder auf. Und lösten eine Lawine aus. Sie reicht von Drohungen bis hin zu den übelsten Beschimpfungen. Jetzt gibt es einen offenen Brief des Schulleiters Alexander Waschow zu den Vorgängen.

Schulleiter Alexander Waschow will nicht anklagen, sondern klären. Foto: Helga Wienand

Betzdorf. Schulleiter Alexander Waschow ist fassungslos. Ebenso wie Betzdorfs Bürgermeister Bernd Brato. Der Schulleiter der Christophorus-Grundschule in Betzdorf Bruche erfuhr noch während seines Urlaubs in Südtirol schmerzlich, wie Kampagnenjournalisten arbeiten. Wie Xenophopie (Fremdenangst) beziehungsweise in moderner, konkreter Form Islamophopie (Islamangst) funktionieren. Und offenbar wieder einmal in der "Mitte" der Gesellschaft angekommen sind. Nach Sarrazins und Seehofers Ausfällen gegen den Islam war das Anlass für Bild und RTL, das Thema "Schnitzelkrieg" aufzugreifen. Dies geschah zum Teil mit "getürkten" Filmaufnahmen vom Juni 2010. Aber der Anlass liegt inzwischen sieben Monate zurück. Da hatte der einschlägig berüchtigte Dr. Udo Ulfkotte den Fall aufgeriffen. Ulfkotte, der offenbar Kontakt mit dem Gatten der Lehrerin, dem Katzwinkler Rechtsanwalt Wigbert Emde, hatte, ist kein Unbekannter. Er wird mit Rechtspopulisten, unter anderem vom belgischen "Vlaams Blok", in Verbindung gebracht und war Mitbegründer von "Pax Europa", einer antiislamischen Vereinigung, der er inzwischen nicht mehr angehört. Ulfkotte, der erst vor einem Jahr das Buch "SOS-Abendland" veröffentlichte, wird von den Rechten als heimlicher Retter des Abendlandes abgefeiert. Dieser Mann spielt mit diffussen Ängsten der Menschen und treibt ein äußerst miserables Spiel.
Waschow, seit 29 Jahren Schulleiter, geht jetzt mit dem offenen Brief, den alle Eltern erhalten, auch an die Öffentlichkeit. Denn es geht um Klarstellung.
Ein ganz wichtiger Punkt: Die Lehrerin Ursula Emde wurde nicht entlassen, sondern lediglich für zwei Tage vom Unterricht in der Klasse freigestellt. Sie wurde auch nicht vom Dienst in der Schule suspendiert, wie behauptet wurde. "Das kann ein Schulleiter nicht, wir wollten bis zur Klärung ein wenig Ruhe in die Angelegenheit bringen", sagte Waschow. Doch seit dem 3. März 2010 ist Emde krankgemeldet. "Sie kann jederzeit nach der Gesundung an der Schule arbeiten", bestätigte Waschow, aber auch die Justiziarin der Aufsichts- und Diensteleistungsdirektion Kristina Lambert. "Über den Einsatz von Frau Emde entscheidet der Rektor", sagte Lambert.
42 muslimische Kinder gehen in Bruche zur Grundschule, insgesamt waren es zum Zeitpunkt des Vorfalls 302 Grundschulkinder. "Muslimische Eltern kamen und nahmen kurzfristig Kinder aus dem Ganztagsbereich, aber es gab zu keiner Zeit Druck auf das Kollegium oder auf mich von den betroffenen Eltern", stellt Waschow klar. Nach der Diskussion und den Gesprächen lief alles wieder in normalen Bahnen.
Was jetzt im privaten und schulischen Umfeld geschieht, ist kaum zu fassen. Die Palette reicht von massiven Bedrohungen bis zu wüsten Beleidungen - auch türkische Familien sind davon betroffen. Die Polizei ist bereits eingeschaltet und so manche Mail geht an die Ermittlungsbehörden. Der Tatbestand der Volksverhetzung wird in so manchem Brief und mancher Mail erfüllt. Ein Blick auf den dicken Aktenordner mit mehr als 250 Mails zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist.
"Ich will jetzt nicht anklagen, sondern klären", sagt Waschow und fügt hinzu, dass er sich nicht kleinkriegen lässt, auch nicht von Drohungen. Die bearbeitet die Polizei. "Es gibt an unserer Schule nichts zu verbergen und es wurde nichts falschgemacht", ist sich Waschow sicher. Den Frieden an der Schule im Sinne der Kinder und des Kollegiums wiederherstellen und die Rückkehr zum Schulalltag haben Priorität. (hw/rs)

Hier der Wortlaut des offenen Briefes vom 19. Oktober:

"Sehr geehrte Eltern!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Sicherlich haben Sie in den vergangenen Tagen die Berichterstattung über unsere Schule in den unterschiedlichen Medien verfolgt.
In diesen Berichten wird ein Vorfall vom 25. 2.2010 (Eine Kollegin teilte an muslimische Kinder Schweinefleisch aus) wieder aufgenommen und in einen Zusammenhang gesetzt, in dem man ihn nicht setzen darf, da er sich unter der zur Zeit geführten Diskussion nicht beurteilen lässt.
Diese ganzen Vorgänge schaden der Schule und der engagierten Arbeit des Kollegiums. Bisher habe ich öffentlich nur wenige Einzelheiten dieses Vorfalls dargestellt, da mein Motto stets war: Schulische Angelegenheiten sollen in der Schule und nicht in der Öffentlichkeit geklärt werden.
Leider wurde in den obengenannten Presseberichten (ganz ausdrücklich möchte ich die Berichterstattungen der örtlichen Presse aus diesem Zusammenhang herausnehmen) immer wieder mein Name genannt, zudem wurde ich massiv angegriffen. In weit mehr als 250 Zuschriften (E-Mail, Fax und Brief) wurde ich immer wieder übelst beschimpft und zum Teil sogar massiv bedroht.
Dies zwingt mich jetzt, Ihnen einige Einzelheiten deutlicher dazulegen.
Alle im Folgenden gemachten Aussagen sind Auszüge aus Protokollen vom März 2010. Die Protokolle liegen seit März sowohl der vorgesetzten Behörde als auch der anwaltlichen Vertretung der Kollegin, der RA-Kanzlei W. Emde in Betzdorf, vor.

1) Immer wieder wurde und wird behauptet die Kollegin sei von mir auf Grund des Vorfalls vom 25. 2.2010 entlassen oder gar "gefeuert" worden.
Diese Behauptung ist falsch!
Richtig ist, dass ich die Kollegin - nach Rücksprache mit der vorgesetzten Dienstbehörde - um Abstand gewinnen zu können für den 1. und 2. März 2010 vom Unterricht, nicht aber vom Dienst freigestellt habe. So wurden am 1. und 2. März 2010 Gespräche in der Schule geführt.
Natürlich war klar, dass eine Klärung mit allen Beteiligten erfolgen musste. Nach dem 3. März 2010 ist die Kollegin fortlaufend krank gemeldet. Eine endgültige Klärung konnte also bisher nicht erfolgen. Vergessen Sie bitte auch nicht, dass ein Schulleiter keinen Lehrer, keine Lehrerin entlassen kann.



2) Immer wurde und wird behauptet, die Schule hätte RTL Extra zur Berichterstattung bestellt.
Diese Behauptung ist falsch!
Richtig ist, dass die Schule keinerlei Interesse hatte, den innerschulischen Vorfall in die Öffentlichkeit zu bringen. Schon damals äußerte ich gegenüber RTL die Bedenken, dass durch die Präsentation im Fernsehen der schulische Konflikt "benutzt" würde.
Leider hat sich meine damalige Prognose bewahrheitet, allerdings in viel schlimmerem Ausmaß als ich erahnen konnte. Bedenken Sie bitte, dass im Juni niemand den Stand der heutigen Diskussion voraussehen konnte und wie konnte man sich vorstellen, dass ein schulischer Konflikt benutzt wird, um eine gesellschaftliche Diskussion zusätzlich aufzuheizen.
Wer jedoch an einer öffentlichen Diskussion interessiert war und diese durch gute Detailinformationen in Gang gesetzt hat, kann ich nur mutmaßen. Hat man die Beschädigung der Schule und meiner Person dabei auch billigend in Kauf genommen?
Ich konnte es jedoch in den Wochen nach dem 25. Februar nicht verhindern oder umgehen, auf Anfragen von Medien Antwort zu geben. Diese Antworten waren stets mit der vorgesetzten Dienstbehörde abgesprochen.
Zu der Sendung von RTL Extra vom 12. 10.2010 kann ich nur Folgendes feststellen:
Der Beitrag wurde Anfang Juni 2010 gedreht. Hier hat RTL wissentlich Beiträge, auch Worte von mir, aus dem Zusammenhang gerissen, um diese in einen ganz anderen Beitrag einzuarbeiten. Zudem wurde aktuell nicht mehr nachrecherchiert, sonst hätte man wissen müssen, dass allen Eltern seit den Sommerferien die Möglichkeit geboten wird, für ihr Kind Schweinefleisch zu wählen. Der Redakteurin von RTL Extra war außerdem klar, dass die Kollegin nicht "entlassen" worden war.
"Bild" übernimmt in ihrem Bericht sogar nicht mehr aktuelle Schülerzahlen und bezeichnet unsere Schule als "Gesamtschule".

3) Die betroffene Kollegin behauptet immer wieder, ich hätte dem Druck der muslimischen Eltern nachgegeben!
Diese Behauptung ist falsch!
Es gab keinerlei Druck von Seiten der muslimischen. Eltern, weder die Kollegin zu "entlassen", noch den Speiseplan zu ändern! Dass die Eltern der muslimischen Kinder an einer Sachklärung interessiert waren, steht außer Zweifel.
Alle Entscheidungen wurden von mir in Absprache mit der Schulbehörde zur Klärung der Situation getroffen. Druck wurde allerdings vom Anwalt der Kollegin bei der Übergabe eines Widerspruches am 8. März 2010 auf mich ausgeübt, zu dem ich mich hier inhaltlich nicht äußern möchte.

4) Die Kollegin wirft mir immer wieder vor, nicht souverän reagiert zu haben.

Dazu ist Folgendes festzuhalten:

a) Ich hätte vielleicht aktiver agieren können, wenn ich über den Vorfall informiert worden wäre. Das geschah jedoch nicht! Der Vorfall war am Donnerstag, 25. 2.2010. Am Montag, 1. 3. 2010, also 4 Tage danach, erhielt ich durch die Nachfrage muslimischer Eltern Kenntnis davon. Die Kollegin hatte bis dahin kein Wort zu mir gesagt und dieses obwohl sie schon am 26. 2. 2010 von einer Mutter auf ihren Fehler angesprochen worden war. Durch diese Abläufe blieben mir nur Reaktion übrig.
b) Die Kollegin hat in den Gesprächen vom 1. und 2. März - im übrigen immer im Beisein ihrer Vertrauensperson - durchaus noch Verständnis für mein Handeln gezeigt.
Als ich in einem dieser Gespräche klarmachte, dass aus meiner Sicht ein schwieriger und langer Klärungsprozess bevorstehen könnte und ich ihr anbot, ihren Mann als Rechtsvertreter zum folgenden Gespräch mitzubringen, lehnte die Kollegin dieses Angebot ab.
Nach dem 2. März konnte ich kein weiteres Gespräch führen, da die Kollegin seit dem 3. März bis heute fortlaufend krank geschrieben ist. Wie hätte ich also eine Diskussion zur Lösung des Konfliktes führen sollen??
Zudem wurde am 08. März durch die Anwaltskanzlei W. Emde ein juristischer Widerspruch gegen meine Entscheidung vorgebracht. Auch dadurch wurde eine Lösung des Konfliktes vor Ort unterbunden.
Die muslimischen Eltern wurden von mir noch am 3. März 2010 informiert, dass eine gemeinsame Klärung der Angelegenheit momentan wegen der Krankheit der Kollegin nicht möglich wäre. Meine Information wurde akzeptiert, es wurde auch an dieser Stelle kein Druck auf mich ausgeübt.
Die Behauptung der Kollegin, ich hätte sie "aus dem Stundenplan herausgenommen" ist falsch. Beinahe 10 Wochen wurden die Unterrichtsstunden der Kollegin –auch durch Mehrarbeit einer anderen Kollegin- vertreten, erst dann als eine noch längere Erkrankung absehbar war, habe ich den Stundenplan so verändert, dass die Vertretung anderen Kolleginnen fest übertragen wurde. Zudem wurde eine Vertretungskraft befristet eingestellt. Dies geschah nur im Interesse der Schule und wurde den Eltern der betroffenen Klassen am 11. Mai 2010 in einer eigens einberufenen Elternversammlung mitgeteilt. Seitens der Eltern gab es keinen Widerspruch zu dieser Regelung.
c) Mehrmalige Gesprächsangebote durch die ADD Koblenz in den Wochen nach dem 03. März 2010 zur Beilegung des "Konfliktes" wurden weder von der Kollegin noch von ihrem Rechtvertreter angenommen.

5) In der letzten Woche nahm auch Frau Anke Schneider-Hüsch
in der Rheinzeitung Stellung zu dem Vorfall an unserer Schule.
Leider hat Frau Schneider-Hüsch in diesem Beitrag nicht erwähnt, dass sie einerseits Mutter eines Kindes unserer Schule, andererseits aber auch juristische Mitarbeiterin in der Anwaltskanzlei Emde in Betzdorf ist (sic! die Redaktion). Aus eben dieser beruflichen Position heraus ist sie auch in dem genannten Gespräch vom 2. März 2010 als „Vertraute“ der Kollegin aufgetreten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Darlegung die schulische Sicht auf den Vorfall vom 25. Februar 2010 deutlich machen und verbleibe mit freundlichen Grüßen.
Betzdorf, den 19.10.2010, Alexander Waschow, Schulleiter."



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