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Nachricht vom 19.04.2021
Region
Intensivstationen Kirchen und Hachenburg: „Wir sind am Anschlag“
Deutschlandweit schlagen Intensivmediziner Alarm angesichts der Betten, die mit Corona-Patienten belegt sind. Die Kuriere haben mit Verantwortlichen der Intensivstationen in Kirchen und Hachenburg geredet. Demnach ist die Lage sehr angespannt. In Kirchen wird derzeit überlegt, ob geplante Operationen verschoben werden müssen.
Das An- und Ausziehen der speziellen Schutzbekleidung kostest zusätzliche Zeit bei der Betreuung der Corona-Patienten. Das Foto zeigt Dirk Lang, den Leiter der Hachenburger Intensivstation. (Foto: privat) Kirchen/Hachenburg. Der Blick auf das Intensivbettenregister im Internet täuscht. Massiv sogar offenbar. Für das Krankenhaus Kirchen sind die Kreise, die entsprechend einer Ampel, die Verfügbarkeit von freien Behandlungsplätzen anzeigen, seit Wochen auf grün. Alles im grünen Bereich also auf der Intensivstation in Kirchen? Keinesfalls. Das wird mehr als deutlich im Gespräch mit dem Leiter der Intensivmedizin Dr. Harald Smetak. „Wir sind immer auf Anschlag“, sagt der Arzt den Kurieren. Die Situation könne ganz schnell umspringen.

Momentan beraten die Chefärzte, ob geplante Operationen verschoben werden müssten, die zur Folge haben könnten, dass die Patienten nach dem Eingriff auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Die laut Intensivregister verfügbaren Betten sind offenbar so etwas wie ein Notnagel für Notfälle. Denn man müsse eben auch Plätze vorhalten für intensivpflichtige Patienten, die einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben. „Die sollen nicht auf der Strecke bleiben“, so Dr. Smetak. Momentan könne der Rettungsdienst schon nur absolute Notfälle einliefern. Es geht also um unvorhersehbare Einlieferungen von Patienten, die entweder bereits im Krankenhaus lagen oder „extern“ eingeliefert werden.

Kirchen hat zehn Intensivbetten, drei sind mit Corona-Patienten belegt. Also sind theoretisch sieben Betten frei? Nicht wirklich. Denn man muss bedenken, dass auf der Intensivstation nicht nur für Covid-Fälle behandelt werden. Unterm Strich, so Dr. Smetak, könnten nur fünf Corona-Patienten in seiner Station betreut werden aufgrund der benötigten erhöhten Isoliermaßnahmen. Hinzu kommt: Für Covid-Patienten werde deutlich mehr Personal zur Pflege benötigt. Und dabei seien die Fachkräfte-Kapazitäten – nicht nur in Kirchen – auch unabhängig von der besonderen Beanspruchung durch die Pandemie unter Druck. Die Stichworte sind Stellenwechsel, Fachkräftemangel oder Ausfälle durch Schwangerschaft. Und auch wenn die Mitarbeiter der Kirchener Intensivstation nicht von den Corona-Infektionen betroffen gewesen sei, die im Krankenhaus im Siegtal in den vergangenen Wochen auftraten – Intensivpflegekräfte seien durchaus aufgrund von Krankheit ausgefallen. Der Hauptgrund für die angespannte Situation sei aber ganz klar auf den deutlich höheren Aufwand zurückzuführen, den die Betreuung von Covid-Patienten verlange. Könnte die Lösung also darin liegen, einfach aus anderen Abteilungen Personal in der Intensivstation einzusetzen? Nein. „Wir können nicht einfach personell umschichten“, sagt Dr. Smetak. Der Leiter der Hachenburger Intensivstation war für einen früheren Kuriere-Artikel bereits auf die besonderen Qualifikationen eingegangen, die Intensivpflegekräfte benötigen.

„Da muss man aufhorchen“

Dr. Smetak macht sich keine Hoffnung auf eine Entspannung der Situation. Er geht eher davon aus, dass das Infektionsgeschehen zunehme. Eine Rolle spielt aus seiner Sicht auch eine Veränderung in der Altersstruktur der Covid-Fälle. Unter den intensiv behandelten Patienten gebe es immer öfter Jüngere. Zwar sei die Sterberate hier niedriger, doch belegten diese Patienten auch länger Intensivbetten. Aktuell sei lediglich einer dieser Kranken in Kirchen im fortgeschrittenen Seniorenalter. Konkret werden auf der Intensivstation ein rund 80-Jähriger behandelt; die anderen beiden sind um die 50 Jahre alt und Mitte 60. „Da muss man aufhorchen“, mahnt Dr. Smetak.

Ein Anruf bei dem Leiter der Hachenburger Intensivstation Dirk Lang bestätigt die Lageschilderung des Kirchener Mediziners. Denn wenn Bettennot herrscht, werden Intensivpatienten nach Siegen oder eben auch Hachenburg verlegt, wie Dr. Smetak den Kurieren erklärt. „Wir müssen uns gegenseitig helfen“, so der Arzt. Dirk Lang, der Leiter der Intensivstation in Hachenburg, sagt, dass die Corona-Patienten der vergangenen Wochen fast ausnahmslos aus dem Kreis Altenkirchen, konkret Orten entlang der Siegschiene, stammten. Kirchen sei maximal ausgelastet gewesen, schildert er. Die Anzeige von frei verfügbaren Betten im Intensivregister sei relativ: „Betten sind das eine, Personal das andere. Mir nützt kein Bett, wenn ich nicht eine Pflegekraft daneben stehen habe.“

Hachenburger Intensivstation: „Wir sind urlaubsreif“

Seine Station sei vollständig belegt. Aktuell betreue sein Team drei Covid-Patienten bei einer Gesamt-Bettenanzahl von sechs. In letzter Zeit komme es sehr oft vor, dass diese beatmungspflichtig seien. Das sei auch bei den derzeitigen Corona-Kranken auf seiner Station der Fall. Wie auch Dr. Smetak berichtet Dirk Lang von einer Verschärfung der Situation in den vergangenen Wochen, entsprechend des Anstiegs der Inzidenzzahlen. Die Belastung sei seitdem sehr hoch. Schon in der Vergangenheit hatte der Hachenburger auf Facebook und den Kurieren auf die Notlage seiner Intensivstation aufmerksam gemacht – und stieß auf ein riesiges Echo. Lang ist gut vernetzt in der regionalen Krankenhauslandschaft und spricht von ausgebrannten Fachkräften und Mitarbeitern, die deutschlandweit ihren Dienst quittieren. Die Stimmung unter seinen Mitarbeitern schätzt er noch vergleichsweise gut ein, man leide auch kaum unter Krankheits-bedingten Ausfällen. Er sei stolz auf sein Team. Es habe Großartiges geleistet. Allerdings: „Man merkt eine gewisse Müdigkeit. Wir sind urlaubsreif.“

Und auch Lang kann keine Hoffnung machen. Es sei keine Abschwächung der angespannten Situation zu spüren. Vor diesem Hintergrund schildert er, wie langwieriger der Behandlungsprozess eines Corona-Patienten im Krankenhaus sei. Wenn ein noch stabiler Covid-Kranker eingeliefert werde, müsse man sich auf einen schleichenden Verlust der Lungenfunktion einstellen. Die dann folgenden Etappen der Behandlung können sich drei bis vier Wochen ziehen. Währenddessen blockiere dieser Patient dann Betten für andere. Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass sich oft eine Reha-Phase anschließe.

Lang ruft wie Dr. Smetak ins Gedächtnis, dass auf der Intensivstation nicht nur Covid-Patienten betreut würden – sondern zum Beispiel eben auch Reanimierte oder Kranke, die gerade einen Herzinfarkt erlitten haben. So sei es in Hachenburg auch schon vorgekommen, dass geplante Operationen um ein bis zwei Tage verschoben worden seien, weil Betten auf seiner Station belegt gewesen seien.

Eindringlicher Appell an die Bevölkerung

Beide, Lang und Dr. Smetak, appellieren dringend an die Eigenverantwortung der Bevölkerung, sich an die Hygiene- und Abstandsregeln zu halten. „Die Menschen sollen sich bemühen, dass die Fallzahlen zurückgehen“, so die Forderung des Leiters der Hachenburger Intensivstation. Ähnlich die eindringliche Bitte aus Kirchen: „Nicht die Politik ist verantwortlich, die Bevölkerung ist es. Wir müssen uns alle am Riemen reißen“, so Dr. Smetak. Noch beherrsche man die Lage. Noch. (ddp)
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