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Nachricht vom 12.05.2021
Region
Fahrradhandel im Kreis klagt über weitreichende Lieferprobleme
Wohl dem, dem die freie Natur zu Füßen liegt. Wohl dem, der der häuslichen Enge mal schnell den Rücken kehren, sich auf seinem Fahrrad beim Trip quer durch den Kreis Altenkirchen stählen, die Corona-Pandemie mal für die eine oder andere Stunde aus seinen Gedanken verbannen kann. Ein Aspekt, den neue Naturliebhaber parallel angestoßen haben: Die Nachfrage nach Bikes boomt.
Klassische Fahrräder werden kaum noch verkauft. Stattdessen sind E-Bikes nun dominierend, berichtet Daniela Ferfort-Wagner, die zu den Geschäftsführern der Sporthäuser „Tretmühle“ mit Niederlassungen in Wissen und Betzdorf zählt. Ihr Mitarbeiter im Betzdorfer Geschäft, Kay Schulze (Foto), kann dies nur bestätigen. (Foto: ddp) 
Kreis Altenkirchen. Menschen, die im AK-Land wohnen, haben gegenüber denen, die auf ein Leben in städtischen Mietskasernen angewiesen sind, einen immens großen Vorteil. Sie können sich meistens im Handumdrehen in Feld, Wald und Wiese bewegen - entweder zu Fuß, mit Inlineskates oder Fahrrad, so dass eine Flucht die von der Corona-Pandemie bestimmten Gedanken mal für einen gewissen Zeitraum weit weg schiebt.

Eine Konsequenz ist allerorten spürbar: Die Begierde nach neuen Bikes ist enorm - auch, weil Geld übrig ist, das in Urlaubsreisen hätte investiert werden sollen. Den bundesweiten Trend der Hochkonjunktur der Branche bestätigen bei einer nicht repräsentativen Umfrage des AK-Kuriers Fachhändler aus dem Kreis Altenkirchen, die den Kaufwünschen der Pedaleure in spé kaum oder gar nicht mehr nachkommen können. Und auch die Favoriten haben sich herauskristallisiert: Pedelecs, die dem Nutzer batteriegespeiste Unterstützung anbieten, laufen den „normalen“, ganz allein auf Muskelkraft setzende Varianten, immer mehr den Rang ab.

„Tretmühle“ in Wissen und Betzdorf

„Wir verkaufen inzwischen nur noch ganz, ganz wenig Fahrräder alter Prägung“, berichtet Daniela Ferfort-Wagner, die zu den Geschäftsführern der Sporthäuser „Tretmühle“ mit Niederlassungen in Wissen und Betzdorf zählt. Der Trend habe sich inzwischen komplett umgedreht. „War es früher ein Verhältnis von 95:5 Prozent zugunsten des normalen Fahrrades, so sind nunmehr die E-Bikes außerordentlich dominierend“, fügt sie an.

Derzeit könne die Nachfrage überhaupt nicht gedeckt werden. Gerade Mai, „in dem wir wahrscheinlich weniger verkaufen werden als im Vorjahr“, und Juni seien Monate, in denen das Geschäft sonst immer gut sei, „jetzt muss man von Pontius nach Pilatus laufen, um überhaupt einen Kauf zu tätigen“. Zudem würden Arbeitgeber verstärkt ihren Mitarbeitern per Leasing-Vertrag die Nutzung von E-Bikes ermöglichen.

Darüber hinaus sei der Markt in Sachen Ersatzteile zusammengebrochen. „Dinge, die wir jetzt bestellen, werden im September, Oktober oder gar erst im November geliefert“, zeichnet Ferfort-Wagner die missliche Lage nach, „Ketten beispielsweise sind Mangelware.“ Dass die Pandemie die Szene komplett verändert hat, macht sie an immer weiter nach vorne verlegten Bestelldaten fest. „Die Vororder beim Hersteller Bulls lag bislang immer im September. Inzwischen ist sie auf Anfang Mai terminiert worden. Die neue Saison hat gerade erst so recht begonnen, da müssen wir schon die nächste vorbereiten.“ Aber nicht nur im Zweiradsektor gebe es Lieferengpässe, „auch aus unseren Sportabteilungen wissen wir, dass Hanteln beispielsweise so gut wie gar nicht beschafft werden können.“

Bike und Sport Helmut Meyer in Daaden

Als „ungebrochen“ stuft Helmut Meyer den E-Bike-Boom ein. Seiner Ansicht nach mache 90 Prozent des Umsatzes der Verkauf der Fahrräder mit dem zuschaltbaren Hilfsaggregat aus. Der Rest setze sich vor allem aus Varianten für Kinder und aus hochpreisigen Velos in der Spanne zwischen 4000 und 4500 Euro zusammen. „Die Mitte dazwischen ist komplett weggebrochen“, weiß der Firmeninhaber von Bike und Sport Helmut Meyer in Daaden.

Der Run auf Pedelecs habe bei ihm einen Umsatzeinbruch im April bewirkt, weil „ich rund 40 Kunden wegschicken musste, für die es keine passenden Räder gab“. Schon jetzt sei er dazu übergegangen, Ware, die für 2022 geordert ist, zu vertreiben. „Fürs kommende Jahr habe ich schon 180 Kunden erfasst, die Käufe getätigt haben“, erläutert Meyer und hofft, dass die ersten Exemplare mit zwei Rädern schon im August oder September diesen Jahres ausgeliefert werden. „Es kann sich dennoch auch bis ins Frühjahr hinziehen“, bereitet er die Kunden bereits darauf vor, dass sie diese Saison „in den Wind schreiben“ können.

Auch er führt Klage über die schleppende bis gar nicht funktionierende Ersatzteilakquise. Bremsbeläge und -scheiben seien gar nicht bis kaum verfügbar. Und dennoch brummt die Werkstatt, die Meyer um einen weiteren Raum zu ergänzen gedenkt. „Dienstags können Anmeldungen vorgenommen werden. Dann versuchen wir, das Rad bis zum Wochenende oder Anfang der jeweils nächsten Woche wieder flott zu machen“, sagt er und weiß dennoch, dass manchmal unkonventionelle Lösungen ob fehlender Komponenten vonnöten sind, um die Fristen einzuhalten.

HammerBike in Altenkirchen


„Wir können die Kunden kaum mehr richtig bedienen, weil wir keine E-Bikes derzeit bekommen“, stimmt auch Volker Hammer in den allgemeinen Tenor mit ein, „uns fehlen teilweise die erforderlichen Größen. Im Laden stehen zwar noch wenige Räder, aber ob die immer zu den Kunden passen, ist die andere Frage.“ Seit rund sechs Wochen bestehen diese Lieferschwierigkeiten, informiert der Geschäftsführer und Inhaber von Intersport Hammer mit HammerBike in Altenkirchen und äußert, dass es im zurückliegenden Jahr ebenfalls schon Schwierigkeiten mit der Versorgung neuer Ware gegeben habe.

Auch er sieht die Branche derzeit in einem Boom. Es existierte noch ein kleiner Vorrat, der im September des vergangenen Jahres mit Vorlauf bestellt worden sei und der „noch im Zulauf ist, aber das zieht sich noch bis Juli hin“. Neue Modelle seien ebenfalls geordert. „Wir hoffen, dass wir davon schon etwas im vierten Quartal erhalten“, macht Hammer ein wenig in Optimismus, ehe er die Ersatzteilbeschaffung als „Katastrophe“ deklariert.

Beispiel Ketten: Diese seien bei Shimano bestellt, „die sie aber selbst nicht haben“. Gründe für diesen Verzug erschließen sich ihm nicht. „Die schieben alles auf Corona und auf das Schiff, das im Suez-Kanal feststeckte. Ich kann mir das aber nicht vorstellen“, lautet seine Einschätzung. Bei Holz und Styropor lägen dieselben Probleme vor, „ich kann mir diese Knappheit nicht erklären.“

Auch Hammer sieht das E-Bike „ganz klar“ weiter auf dem Vormarsch mit seiner Einschätzung von „80:20“ gegenüber dem „Bio-Bike“, für dessen Betrieb immer noch allein die Muskelkraft zählt. Aber, und das stellt er deutlich heraus: Der Aufstieg des mit einem Akku versehenen Gefährts habe schon vor der Pandemie begonnen, sei aber zunächst nicht so stark gewesen.


Radsport Mertens in Fluterschen

„Vier bis sechs Wochen betragen aktuell die Lieferzeiten“, gibt Karl-Heinz Mertens von Radsport Mertens in Fluterschen die Situation seines Geschäfts wieder. Zu Beginn des Jahres hätten sie zwischen drei und vier Monaten betragen, „jetzt ist es nicht mehr so schlimm“. Auf ausgefallene Velos, bei denen der Rahmen aus Carbon besteht, müsse bis zu neun Monate auf die Auslieferung gewartet werden. Derzeit, so die Erfahrung von Mertens, „nehmen Endverbraucher auch bisweilen das, was da oder lieferbar ist “, und umgehen auf diese Weise das wochen- bis monatelange sich in Geduld üben.

Für ihn rangiert das Verhältnis zwischen den beiden Sparten, E-Bike und „gewöhnlichen“ Sportgeräten wie Rennrad oder Mountainbike, bei 90:10 Prozent. Die Bevorzugung der elektrischen Modifikation habe sich dank Corona verdoppelt, weil „viele Leute Geld übrig hatten, da sie nicht in Urlaub fahren konnten“. Im Zuge des Hypes mit all den Begleiterscheinungen erwartet Mertens, der während seiner über 30 Jahre andauernden Tätigkeit in diesem Metier schon so manches Auf und Ab erlebt hat und die Komplexität des Marktes sehr genau kennt, eine Preissteigerung. Zehn Prozent seien durchaus möglich.

Nach einem „sehr guten Jahr 2020, das bis in 2021 übergeschwappt ist“, ist er froh, dass angesichts der Probleme im Verkauf die Werkstatt ausgelastet ist, wobei ausbleibende Lieferungen von Ersatzteilen zur Tagesordnung gehörten. So habe er Ritzelpakete im vergangenen Jahr bestellt, die nunmehr im Dezember 2021 geliefert werden sollen. Dennoch versucht Mertens, die „Wartezeit für den Kunden auf eine Instandsetzung im üblichem Rahmen zu halten“. Sollte einmal für eine Reparatur ein nicht so wichtiges Teil nicht greifbar sein, „müssen wir halt kreativ werden“. (vh)
 
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