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Nachricht vom 25.05.2021
Region
Wie Alphabetisierungskurse wieder mehr Teilnehmer erhalten sollen
Rund 12 Prozent der erwachsenen Deutschen im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre) können keine zusammenhängenden Texte lesen und schreiben. Das ist das Resultat einer Grundbildungsstudie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2019. Auf das AK-Land herunter gebrochen, gehören diesem Kreis also etwas über 7000 Menschen an.
Sie hoffen, dass die Alphabetisierungskurse bald wieder deutlich mehr Zulauf finden (von links): Saskia Pangert, Helmut Asbach, Silke Seyler und Julia Gorte. (Foto: vh)
Altenkirchen. Jeder siebte Erwachsene in Deutschland ist laut der Aktion-Mensch-Homepage funktionaler Analphabet. 7,5 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, haben aber Probleme, zusammenhängende kürzere Texte zu verstehen.

Unter dem Motto „Gemeinsam für Grundbildung: Besser Lesen und Schreiben lernen“ machen das Projekt GrubiNetz - Kompetenznetzwerk Grundbildung und Alphabetisierung Rheinland-Pfalz (Region Mittelrhein/Westerwald-Taunus) -, die Kreisvolkshochschule, das Haus Felsenkeller und das Mehrgenerationenhaus (MGH) „Mittendrin“ (beide Altenkirchen) auf die Situation von Menschen auf dem Weg zur Schrift mit verschiedenen Aktionen aufmerksam.

Kindern oder Enkelkindern eine Geschichte vorlesen, Formulare ausfüllen oder den Mietvertrag für die neue Wohnung verstehen: Das sind Dinge, die viele deutschsprachige Erwachsene - auch im Landkreis Altenkirchen - nicht können, wie Silke Seyler, die Koordinatorin des „Mittendrin“, Julia Gorte als regionale Netzwerkkoordinatorin von GrubiNetz, Saskia Pangert vom Haus Felsenkeller und Helmut Asbach, Betreuer im Bildungscafé des MGH, am frühen Dienstagnachmittag (25. Mai) verdeutlichten. Die Gründe für die Defizite können sein: Manche haben das Lesen und Schreiben nicht oder nur teilweise gelernt oder sind gar aus der Übung gekommen.

Keine Teilnehmer am Kurs
Grunddilemma momentan: „Das Problem betrifft viele Menschen, die wir jetzt in Corona-Zeiten nicht erreichen“, erklärte Seyler und erhielt Beistand von Pangert: „Der Alphabetisierungskurs ist derzeit leer, obwohl der unter Hygienebedingungen sattfinden kann.“ An dem kostenlosen und immer fortdauernden Lehrgang nähmen normalerweise zwischen acht und zehn Menschen einmal pro Woche teil. Pangert stellte die sehr gute Betreuung heraus, „für jeden einzelnen Lernwilligen wird sich immens viel Zeit genommen“.

Dass der Unterricht nicht nachgefragt werde, machte Seyler an einem weiteren Fakt fest. Kaum jemand traue sich, Menschen mit Lese- oder Schreibproblemen anzusprechen, sie also auf diese Konstellation hinzuweisen und ihnen zu empfehlen, Nachhilfe zu nehmen. „Die Hürde ist zu hoch“, berichtete Seyler aus ihrer Erfahrung. Auch innerhalb von Familien sei das Thema tabu, ergänzte Pangert.

Dem Durchmogeln eine Ende bereiten
Für Gorte liegt ein Schlüssel zum besseren Besuch dieser Alphabetisierungskurse in der Sensibilisierung von Menschen, die in Behörden, Beratungsstellen, Kirchen, Ämtern, Kindertagesstätten, Krankenkassen arbeiten, aber auch als Unternehmer oder als Arbeitgeber fungieren und mit Menschen im Kontakt sind, die Schwächen beim Lesen und Schreiben haben. „Es ist nie zu spät, obwohl sie sich das ganze Leben mit viel Mühe durchgemogelt haben. Dazu zähle ich auch über 40- oder 45-Jährige“, appellierte sie gleichfalls an diejenigen im gesetzteren Alter, „wer lesen und schreiben kann, lebt entspannter.“

Auch Asbach wusste, dass es ein Problem darstelle, „die Leute zu motivieren“. Die Hemmschwelle sei sehr hoch. „In Gesprächen merkt man, dass es Probleme gibt“, meinte er. Bei seiner Tätigkeit im MGH-Bildungscafé, das seit 2018 geöffnet ist, erfahre er kontinuierlich, wenn es beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen und der Ausarbeitung von Bewerbungen hapere. Die Anlaufstelle in der Wilhelmstraße 35 ist derzeit zweimal pro Woche geöffnet. Corona-Vorschriften gestatten jeweils nur den Aufenthalt eines Ratsuchenden für Erstberatung und Einzelhilfe im Schriftverkehr oder für eine Einführung in Lernprogramme am PC.

Sensibilisierungen via Online

Seit Jahren setzt sich das Projekt GrubiNetz, das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz gefördert wird, dafür ein, Menschen mit Grundbildungsbedarf den Weg in Lernangebote zu erleichtern und dafür Menschen in deren Umgebung zu sensibilisieren und zu interessieren. Bei dieser Weiterbildung wird erklärt, wie Menschen mit Grundbildungsbedarf erkannt, wie sie angesprochen und über Lern- und Unterstützungsangebote informiert werden können.

Online-Sensibilisierungen sind geplant: Dienstag, 8. Juni, 10 bis 12 Uhr; Mittwoch, 16. Juni, 13 bis 15 Uhr und Donnerstag, 24. Juni, 16 bis 18 Uhr. Anmeldungen sind möglich an alphakurs@andernach.de „Wir bieten die Fortbildungen gezielt zu verschiedenen Tagen und Zeiten an, damit jeder die Möglichkeit hat teilzunehmen“, hieß es aus der Runde.

„Lesen und Schreiben öffnet Welten“

Um das Thema in der Öffentlichkeit noch mehr in den Fokus zu rücken, ist noch bis zum 5. Juni die Ausstellung „Lesen und Schreiben öffnet Welten“ in den Schaufenstern des „Bildungscafés“ von Haus Felsenkeller (Heimstraße 4) und des Mehrgenerationenhauses „Mittendrin“ in der Fußgängerzone (Wilhelmstraße 10) zu sehen.

„Neben der Ausstellung und den Veranstaltungen wollen wir auch mit Plakaten und Handzetteln auf das Thema und auch auf unsere Lernangebote aufmerksam machen“, legte Seyler dar. Der Kurs „Festigung und Aufbau von Fähigkeiten im Lesen und Schreiben“ im Haus Felsenkeller ist regelmäßig. Er wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz gefördert. In kleinen Gruppen wird das Lesen und Schreiben mit individueller Beratung und Betreuung gelernt. Alle Informationen werden vertraulich behandelt. (vh)

Anmeldungen für die Alphabetisierungskurse montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr unter Tel. 02681/986412 im Haus Felsenkeller
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