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Nachricht vom 03.07.2021
Region
„Wäller Markt“ soll das regionale Gegenstück zu Amazon & Co. werden
Was Jeff Bezos kann, können wir schon lange: Das dachten und denken sich Andreas Giehl, Volker Wüst und Wendelin Abresch. Den Erfolg, den der Gründer von Amazon mit dem Globus umspannenden immens profitablen Geschäftsmodell hat, will das Trio auf die heimische Region in angepasstem Maßstab übertragen. Der „Wäller Markt“ wird die digitale Vermarktungsplattform für regionale Einzelhändler und Erzeuger.
Noch vor Weihnachten soll der „Wäller Markt“ seine „Ladentüren“ öffnen. (Foto: Archiv AK-Kurier)Westerwald. Der Online-Handel boomt. Die Zuwachsraten sind enorm. Auch der Corona-Pandemie sei „gedankt“. Nicht nur Jeff Bezos als Gründer von Amazon reibt sich die Hände. Der Markt, der über die weltweite Datenautobahn betrieben wird, ist hart umkämpft, bietet aber, so die gemeinsame Auffassung von Andreas Giehl (Bad Marienberg), Volker Wüst (Ransbach-Baumbach) und Wendelin Abresch (Hadamar), eine Nische, in die der Handel, made in den drei Landkreisen Altenkirchen, Neuwied und Westerwald, mit erfolgsversprechenden Aussichten vorstoßen kann. Mit dem „Wäller Markt“ befindet sich eine genossenschaftlich organisierte digitale Vermarktungsplattform für regionale Einzelhändler und Erzeuger im Aufbau, die die Wertschöpfung im östlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges stärken möchte. Der offizielle Startschuss erfolgt am 1. August, wobei ein Einkauf direkt noch nicht möglich ist. „Wir hoffen, dass wir schon das Weihnachtsgeschäft mitnehmen können“, sagt Giehl, der gemeinsam mit Wüst den Vorstand der Genossenschaft bildet, während Abresch mit Concence, seiner Gesellschaft für Marken- und Marketingberatung, als Projektberater fungiert.

Schon 227 Mitglieder

Die „Wäller-Markt“-Wiege liegt beim Marktplatz Westerwald, dem regionalen Netzwerk der Werbe- und Aktionsgemeinschaften, das, zunächst als loser Zusammenschluss unterwegs, 2016 auf rechtliche Füße als eingetragener Verein gestellt wurde. Giehl, in der Werbegemeinschaft Bad Marienberg aktiv und nach eigener Aussage eine der treibenden Kräfte für diesen Schritt hin zu mehr Teamgeist, war es auch, der die Idee eines Online-Angebots mit Abresch einmal unter vier Augen diskutierte, ehe in einem Marktplatz-Workshop im Jahr 2017 das Projekt, „als Corona noch nicht erfunden war“, schnell Gestalt annahm. „Seitdem hat der Grundgedanke Wendelin nicht mehr losgelassen“, blickt Giehl auf das Engagement Abreschs zurück. Die Überlegungen wurden auf höherer Ebene vorstellt. Landtagspräsident Hendrik Hering bahnte den Kontakt zur Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz an, ehe im Frühjahr 2019 eine Machbarkeitsstudie und ein Businessplan, ausgerichtet auf fünfeinhalb Jahre, das Licht der Welt erblickten.

Projekt überall vorgestellt

Dann war Klinkenputzen angesagt. „Wir haben mit allen wichtigen Akteuren im geografischen Westerwald wie Kammern, IHK, Bauernverbänden und vielen, vielen mehr gesprochen und den Grundgedanken vorgestellt“, berichtet Giehl, ehe sich um die Finanzierung gekümmert werden musste. Inzwischen sind 227 Mitglieder der Genossenschaft (Gründung am 18. September 2020) beigetreten, deren gezeichnete Anteile einen Wert von rund 134.000 Euro ausmachen (ein Anteil = 100 Euro). Mehrere Verbandsgemeinden stellen Fördermittel in Höhe von rund 111.000 Euro zur Verfügung, aus Investitionen von Werbepartnern ergeben sich 85.000 Euro. Schließlich hofft das Trio, das aus LEADER-Töpfen (Landesreserve) knapp eine Million Euro fließt und dass der Bewilligungsbescheid für diese Zuwendung bis Ende Juli vorliegt.

Umsatzverluste abbremsen

Warum braucht der Westerwald einen digitalen Marktplatz? Die Frage lässt sich leicht beantworten: Es gilt, weitere Umsatzverluste abzubremsen. Denn im zurückliegenden Jahr betrug das Wachstum des eCommerce für Güter des täglichen Bedarfs stolze 40,9 Prozent (bundesweit). Der prognostizierte Umsatzverlust im Einzelhandel wird in den nächsten fünf Jahren bei einer jährlichen Steigerung um nur zehn Prozent mit über drei Milliarden Euro angegeben. Inzwischen sind Menschen in der Altersgruppe über 50 Jahre die treibenden Kräfte fürs Online-Shopping (2020: plus 55,6 Prozent). Experten gehen davon aus, dass Käufer, die während der Corona-Pandemie im Netz bestellt haben, nicht in die Geschäfte zurückkehren, wenn den veränderten Bedürfnissen der Kunden nicht Rechnung getragen wird, sie aber durchaus regional bestellen, wenn der Bedarf nach Warenerwerb unter mit www beginnenden Adressen erkannt und bedient wird. Erwiesen ist, dass beispielsweise Frisöre, Fitnessstudios und Dienstleister nach überstandenem Lockdown ihr Klientel schnell zurückgewinnen, während Einzelhändler einen mühsamen Weg vor der Brust haben. Andreas Haderlein, Wirtschaftspublizist und Innovationsberater, macht deutlich: „Der genossenschaftlich organisierte ,Wäller Markt‘ hat in meinen Augen eine große Chance zum europäischen Vorzeigemodell in Sachen nachhaltige Digitalisierung des inhabergeführten Einzelhandels, der Direktvermarktung und des lokalen Gewerbes im Allgemeinen zu werden.“

Synergien im Blick
So versprechen sich die Initiatoren vom „radikal regionalen Wäller Markt“ einige Synergien: ein breites Sortiment vieler Anbieter ist für Kunden attraktiver als einzelne Shops; es ist ein digitales Schaufenster für alle Gewerbetreibenden; geringe Marketingkosten; höhere Internet-Sichtbarkeit; erleichterter Einstieg in den Online-Handel oder die Anbindung der bestehenden Online-Shops; Einzigartigkeit durch Einbindung regionaler Erzeuger; Kauf von Produkten, die es nicht bei Amazon gibt, und höheres Bewusstsein für die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Dass der Westerwald einen nicht unerheblichen Wirtschaftsraum darstellt, macht das Potenzial von über 500.000 Einwohnern deutlich. Rund 2200 Einzelhändler und (geschätzte) 300 bis 400 Direkterzeuger könnten ihre Waren via weltweitem Netz in einem einzigen Shop und mit einem einzigen Bezahlsystem vertreiben.


Eigene Auslieferung

Der Schlüssel zum Erfolg könnte die Auslieferung der Waren (inklusive Retourenmanagement) mit eigenen Fahrzeugen werden, so dass der „Wäller Markt“ nicht auf irgendwelche Paketdienstleiter angewiesen ist. „Die Logistik ist in dem Projekt das Allerwichtigste. Selbst Kühlketten werden nicht unterbrochen. Denn 50 Prozent des Umsatzes können nicht gemacht werden, wenn keine Lebensmittel verkauft werden“, erläutert Giehl, so dass auch Nudel, Fleisch, Sportschuhe & Co. den Besitzer wechseln können. Zunächst einmal gehören fünf Elektrofahrzeuge (Anschaffungskosten über 170.000 Euro) für den Hol- und Bringdienst zur Grundausstattung. 13 Vollzeitbeschäftigte, die „tatsächlich anständig bezahlt werden sollen“, sorgen für den reibungslosen Ablauf. Ein Umschlagzentrum entsteht im Raum Hachenburg, ungefähr in der geografischen Mitte des Einzuggebietes. Auch die Umwelt wird dem „Wäller Markt“ positiv gegenüberstehen, weil 90 Prozent der Versandverpackungen überflüssig sein sollen. Für die Ausarbeitung der sinnvollsten und energiesparendsten Fahrtrouten wird eine spezielle Software herangezogen. Langfristig könnten auch individuelle Einkaufsfahrten sogar entfallen.

Digitale Dorfläden möglich
Laut Giehl „werden wir vom ersten Tag an Versprechen einlösen, die wir geben“. Für ihn ist der „Wäller Markt“ nahe bei Friedrich Wilhelm Raiffeisen angesiedelt, wenn er das Projekt auf den Punkt bringt: „Hilfe zur Selbsthilfe für unsere Heimat.“ Vorsichtig optimistisch sind Giehl, Wüst und Abresch allemal. Sie rechnen damit, dass der Break-even-Point (Kosten und Erlöse sind identisch) nach rund viereinhalb Jahren erreicht ist, und sehen grundsätzlich eine Verbesserung der Versorgung von Ortsgemeinden ohne Lebensmittelhandel durch ihren Lieferdienst, weil dieser „meist wirtschaftlicher und kundenfreundlicher als Dorfläden mit begrenzten Öffnungszeiten und kleinem Sortiment“ arbeitet und eine gesicherte Daseinsvorsorge für den wachsenden Anteil älterer und immobiler Menschen darstellt. Digitale Dorfläden, die 24/7 geöffnet sind (ähnlich den Packstationen von DHL etc.), könnten in einer weiteren Ausbaustufe Realität werden. Zusammengefasst bringt das regionale Bündnisprojekt Bürger, Einzelhandel, Kommunen und regionale Erzeuger zusammen. So bleibt Giehl nichts anders übrig, als festzustellen: „Der ,Wäller Markt‘, der der größte regionale Markt Deutschlands werden kann, schließt die Lücke zwischen Kunden und Anbietern. Wir werden es machen, und wir werden es erfolgreich machen!“. (vh)
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