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Nachricht vom 14.10.2021
Region
Landgericht Koblenz ordnet Unterbringung für sexuellen Missbrauch von Kindern an
Einen nicht alltäglichen Fall des sexuellen Missbrauchs hatte die 12. Strafkammer beim Landgericht Koblenz zu verhandeln. Dem Angeklagten aus dem Kreis Altenkirchen, bei dem eine geistige Behinderung vorliegen soll, warf die Staatsanwaltschaft vor, gegen entsprechende Strafvorschriften verstoßen zu haben.
Das Landgericht Koblenz. (Foto: Wolfgang Rabsch) Region. Dem 32-jährigen Angeklagten aus dem Kreis Altenkirchen wurde seitens der Staatsanwaltschaft Koblenz vorgeworfen, im Dezember 2018 und im Januar 2020 durch drei selbstständige Handlungen vor Kindern unter 14 Jahren gegen die Strafvorschriften des Paragrafen 176 Strafgesetzbuch verstoßen zu haben. Das Besondere an diesem Fall ist die Tatsache, dass bei dem Angeklagten eine geistige Behinderung vorliegen soll.

Zur Person erklärte der Angeklagte, dass er seit der Beendigung der Sonderschule in einer Einrichtung im Kreis Altenkirchen arbeitete. Dort werde er in vielen Bereichen eingesetzt, am liebsten habe er schwere körperliche Arbeit.

Zur Sache erklärte er, dass er Probleme mit seinem Harndrang habe, dann würde er auch über seine Hose reiben, bis er urinieren könne. An den Tattagen sei das auch so gewesen. Er habe dringend Wasser lassen müssen, als die Mädchen – im ersten Fall im Alter von elf und zwölf Jahren – auf ihn zugekommen seien und ihn angesprochen hätten. Er habe „über seine Hose gerieben“, dann sei sein Genital auch erigiert. Der Angeklagte: „Es stimmt, dass ich die Mädchen gefragt habe, ob sie mit mir in meiner Wohnung nackt turnen würden oder schwimmen gehen würden. Zuhause bin ich ausgerastet. Wenn ich keine Arbeit hatte, dann habe ich Gegenstände auch nach meiner Mutter geworfen und sie auch beleidigt.“

Die 2018 elf und zwölf Jahre alten Zeuginnen sagten, dass der Angeklagte nichts davon erzählt habe, dass er urinieren müsse. Er habe dauernd über der Hose an seinem Glied gerieben. Die Zeuginnen hätten dabei eine Erektion beobachten können. Die Eltern der Kinder bestätigten zwar, dass ihre Kinder keine traumatischen Erinnerungen an die Vorfälle haben. Doch die Handlungen des Angeklagten seien ihnen sehr unangenehm gewesen.

Die Mutter des Angeklagten, die auch seine Betreuerin ist, verharmloste von Anfang seine vermeintlichen Auffälligkeiten. Über die Ausraster ihres Sohnes zuhause wollte sie nur ungern berichten, musste dann auf Ermahnung des Gerichts doch zugeben, dass er offenbar ausrastet, wenn ihm etwas nicht passt. Dann beleidige er sie massiv und werfe mit Gegenständen durch die Gegend. „Ich lasse ihn gewähren, nach ein paar Minuten beruhigt er sich wieder, dann ist alles gut. Manchmal tut mein Sohn sich auch weh, dann beißt er sich in die Hand, bis es blutet“, so die Mutter. Sie wolle auch nicht, dass ihr Sohn ihr weggenommen wird. Schließlich würde sich kaum eine Behörde um ihn kümmern und sie unterstützen. Die Schuld liege bei anderen, da Desinteresse an ihrem Sohn bestehe.

Der Stiefvater des Angeklagten stieß in dasselbe Horn. Es sei alles nicht so schlimm, auch wenn er Gegenstände nach ihnen werfe und wüste Beleidigungen ausstoße. Außerdem wäre der Angeklagte sauer gewesen, weil die Mädchen ihn angemacht hätten.

Die anschließend vernommenen Pfleger und Betreuer zeichneten ein ganz anderes Bild von dem Angeklagten: „Von rund 200 Menschen, die teils mit schwersten Behinderungen in unserer Einrichtung betreut werden, gehört der Angeklagte zu den drei auffälligsten Patienten. Morgens beim Betreten der Einrichtung brüllt er schon rum.“ Laut ihren Aussagen beleidige er dann seine Mutter und schmeiße mit Gegenständen, wie zum Beispiel gefüllten Wasserflaschen, durch die Gegend. Einem Patienten mit Rollator habe er einen Werkzeugkasten gegen den Körper geworfen. „Vor Corona hatten wir 18 tätliche Angriffe auf Mitarbeiter und Patienten“, so die Pfleger und Betreuer. Einer Mitarbeiterin habe der Angeklagte zwischen die Beine und an die Brüste gefasst. Auf ungläubiges Nachfragen der Vorsitzenden wurde erklärt, dass die Betreuer gegen ihn keine Sanktionen verhängen dürften. Er würde auch versuchen, sich vor Frauen durch die Hose selbst zu befriedigen. Viele Patienten in der Einrichtung hätten Angst vor den Ausrastern. Sie würden dann zu weinen anfangen. Wenn er nicht anwesend sei, kehre Ruhe ein. Die Eltern des Angeklagten zeigten laut den Befragten auch kein Interesse am Verhalten ihres Sohnes. Weiterhin wurde erklärt, dass die Pfleger und Betreuer bespuckt und geschlagen würden, was keinerlei Sanktionen zur Folge habe.

Zum nächsten Termin am folgenden Tag sollten zwei Zeuginnen aus der Einrichtung erscheinen. Doch das misslang, weil der Leiter der Einrichtung der Vorsitzenden am Telefon erklärt hatte, er wünsche nicht, dass weiter Aussagen getätigt werden. Entsprechend angesäuert teilte die Richterin mit, dass sie mit dem Geschäftsführer noch ein ernstes Wort zu reden habe.

Der Sachverständige Dr. Ingo Baltes erstattete sein Gutachten: „Bei der Geburt erlitt der Angeklagte eine Blutvergiftung, genau wie die Mutter, verursacht durch Kolibakterien und erlitt dadurch eine Hirnschädigung. Eine Lungenentzündung kam auch noch hinzu. Das Prader-Willi-Syndrom wurde bei ihm diagnostiziert. Hier handelt es sich um eine genetisch bedingte Behinderung mit körperlichen und geistigen Symptomen. Verantwortlich dafür ist ein defektes Gen auf Chromosom 15. Es ist aber keine Trisomie. Mit neun Jahren befand er sich auf dem geistigen Stand eines Vierjährigen.“ Als Folge der Erkrankung habe der Angeklagte keine Kontrolle über seine Impulssteuerung, verfüge über eine angeborene Minderbegabung – mit einer gesteigerten Sexualität. Gegen Schwächere sei er gewaltbereit. Er sei ein Gefährder, von dem ein hohes Risiko für Gewalt- und Sexualdelikte ausgehe. Nochmals Dr. Baltes: „Die Familie, aber auch die Einrichtung, sind ein Teil des Problems, da ihm keine Struktur gegeben wird und seine Taten unverständlicherweise kleingeredet werden und sanktionslos bleiben. Es ist nicht normal, dass die Einrichtung es normal findet, wenn der Angeklagte Frauen an den Busen fasst.“

Die Sozialprognose von Dr. Baltes war negativ. Er stellte eine verminderte Schuldfähigkeit fest und empfahl eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung, da die normative Voraussetzung des Paragrafen 63 Strafgesetzbuch vorliegen. Die Betreuung durch die Eltern sei falsch, da diese alles beschönigen. Auch die Einrichtung handele falsch, weil durch die Nichtsanktionierung der Ausfälle des Angeklagten kontinuierlich eine Steigerung stattfinde.

Plädoyers und Urteil

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, gebildet aus zwei Einzelstrafen von zweimal je neun Monaten. Die Freiheitsstrafe kann zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt werden. Weiterhin wird beantragt, den Angeklagten im Maßregelvollzug in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen.

Der Pflichtverteidiger des Angeklagten beantragte einen Freispruch wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs, da kein Vorsatz vorliege – zudem die Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit und den Verzicht auf eine Unterbringung.

Das letzte Wort des Angeklagten: „Ich will nicht weg, ich will bei meinen Eltern und Geschwistern bleiben.“

Das Urteil lautet: Der Angeklagte wird wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, gebildet aus zwei Einzelstrafen von zweimal je sieben Monaten Freiheitsstrafe. Die Strafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt. Weiterhin wird die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung gemäß Paragraf 63 Strafgesetzbuch im Maßregelvollzug angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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