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Nachricht vom 17.05.2022
Wirtschaft
Tafeln des Kreises im Dilemma: Viel mehr Bedürftige und weniger Lebensmittel
Auch die Tafeln im Kreis Altenkirchen merken in dieser schwierigen Zeit, dass sie an ihre Grenzen stoßen: mehr Bedürftige, weniger Lebensmittelspenden und steigende (Energie)Kosten. Der soziale Hilfsdienst ist in der aktuellen Krise gefordert wie nie zuvor.
Am Dienstagmorgen (17. Mai) im Altenkirchener Pfarrsaal: Rund 30 Kilogramm an frischen Fleischwaren wurden von den Organisatoren der "Altenkirchener Marktwurst" an die Tafel-Mitarbeiter übergeben. (Foto: vh)Kreis Altenkirchen. Die Hilferufe kommen sporadisch und werden meist erst gar nicht vernommen. Die Tafeln auch im Kreis Altenkirchen schlagen - eher im Flüsterton - Alarm, obwohl ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Die Zahl der Bedürftigen hat wegen der Flüchtlinge des Ukraine-Krieges rapide zugenommen, die Lebensmittelspenden fließen bei weitem nicht mehr so intensiv, wie es vor Jahren noch der Fall war. Und die Kosten fürs Einsammeln der Waren klettern, weil die Spritpreise derzeit oft nur einen Weg kennen – nach oben! Ute Weber, die Koordinatorin der Tafel in Altenkirchen (Träger sind die evangelische und die katholische Kirchengemeinde, die Neue Arbeit, das Diakonische Werk und der Caritasverband/zuständig für die Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld), geht davon aus, dass gegenüber "normalen Verhältnissen" derzeit rund ein Drittel weniger Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. "Sehr bescheiden" bezeichnet sie die momentane Lage vor dem Hintergrund, dass derzeit bis zu 160 Haushalte versorgt werden müssen. Zuvor seien es bis zu 90 gewesen, blickt sie auf die Zeit zurück, als das Wort "Krieg" in Europa noch ein Fremdwort war. Ein Aufnahmestopp wurde wieder aufgehoben, die "Gegenleistung" besteht darin, dass die Bedürftigen von dieser dritten Mai-Woche an nur noch im 14-tägigen Rhythmus "vorsprechen" dürfen. "Wir sind zurzeit dabei, alle zunächst abgewiesenen Menschen zu registrieren", fügt Weber an.

Tolles Team ganz ohne Querelen
Das ehrenamtlich tätige "tolle Team ganz ohne Querelen", zu dem rund 20 Menschen zählen, ist laut Weber inzwischen "am Limit". Teilweise werde bis auf den letzten Drücker gearbeitet, um alles für die Ausgabe dienstags sicherzustellen, teilweise wären für die Tätigkeit deutlich mehr Stunden erforderlich. Darüber hinaus liefert die Tafel Lebensmittel jede Woche an 22 Haushalte aus, "weil viele Menschen gar nicht rauskommen". Groß ist die Freude, wenn die eine oder andere Sonderspende vereinnahmt werden kann. So waren es einmal 600 Kilogramm Kartoffel, die ein kleiner landwirtschaftlicher Betrieb zur Verfügung gestellt habe, während am Dienstag (17. Mai) rund 30 Kilogramm Wurst zusätzlich in den Vertrieb kamen. Die Fleischwaren im Wert von 250 Euro waren die erste Tranche (die zweite folgt nächste Woche) einer 500-Euro-Spende, die die Initiatoren der "Altenkirchener Marktwurst" mit dem Verkauf von Siedewürstchen an den Donnerstagen seit Ende März zusammengetragen hatten. Beckers Fleischmarkt & Partyservice (Altenkirchen) liefert die Würste, die Bäckerei Schumacher (Eichelhardt) steuert die Brötchen bei. Beide Lieferanten verlangen jeweils nur den Selbstkostenpreis, so dass dieses Resultat erzielt wurde. Die gute Resonanz ermuntert das Verkaufsteam um Achim Gelhar (Altenkirchen), die Aktion "open end" fortzusetzen, wie er bei der Übergabe der Naturalien an die Tafel im katholischen Pfarrsaal betont: "Altenkirchen hat gezeigt, dass man auch mit kleinen Beträgen Gutes tun kann!" Und es sei sehr wichtig, dass der Erlös in der Stadt und der Umgebung bleibe.

"Konstant auf niedrigem Niveau"
"Konstant seit einem Jahr auf niedrigem Niveau": So klassifiziert Andreas Baldus, der die Wissener Tafel (Träger sind die evangelische und die katholische Kirchengemeinde/zuständig für die Verbandsgemeinden Hamm und Wissen) managt, die aktuelle Lage in puncto Lebensmittelangebot und weiß, dass Geschäfte teils weniger einkaufen und sich beispielsweise wegen anderer Logistiksystemen schwierigeren Abläufen gegenübersehen. Er gibt den Zuwachs der "Kunden" in den zurückliegenden Wochen mit circa zwei Drittel an, so dass nunmehr rund 150 Bedarfsgemeinschaften vom Angebot partizipierten. "Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, die, die die Energiepreise nicht zahlen können, oder diejenigen, die früher den Weg zu uns gescheut haben, haben die Zahl so ansteigen lassen", erläutert Baldus. Vor drei Wochen sei deshalb das Prozedere geändert worden. "Nunmehr haben wir zwei Gruppen gebildet, so dass ein 14-tägiger Abholturnus entstanden ist. Der Bedarf lässt sich so besser abdecken", nennt er den Grund für die Abkehr von der jahrelang eingeübten Praxis. Geblieben ist der Freitag als Öffnungstag.

Rund 30 Menschen engagieren sich
Seit nunmehr 13 Jahren ist Baldus als Ehrenamtler engagiert, seit fünf organisiert er den Ablauf wie zum Beispiel die Einteilung der Fahrer, die die Lebensmittel in einem 100-Kilometer-Radius um Wissen herum abholen. Als Leitungsteam fungiert die "Tafelrunde", die aus je drei Vertretern der beiden Kirchengemeinden besteht. Über den Daumen 30 Menschen engagieren sich, dennoch weiß Baldus: "Wir brauchen weitere, die mitmachen." In der momentanen Situation werden keine Bedürftigen aus den Nachbar-Tafelbereichen versorgt. Was gut klappt, ist die Zusammenarbeit. "Wir liefern Großspenden auch mal nach Altenkirchen, weil wir ein größeres Fahrzeug haben, das palettenfähig ist", sagt Baldus, und Weber bestätigt: "Wir helfen uns schon gegenseitig."

Keiner hat Rechtsanspruch
"Wir sind überrannt worden von Flüchtlingen aus der Ukraine", beschreibt Bruno Georg die Konstellation der Tafel in Betzdorf (Träger ist die evangelische Kirchengemeinde in Kooperation auf Basis einer mündlichen Verabredung mit der Caritas/zuständig für die Verbandsgemeinden Betzdorf-Gebhardshain, Kirchen und Daaden-Herdorf), "wir verwalten das Minus." Dieser Umstand hat indes bislang nicht zu einer Aufsplittung der Gruppe geführt. Eine Trennung bringe gar nichts, argumentiert Georg, der seit über einer Dekade als Koordinator fungiert. Vor Beginn des Krieges in Osteuropa hätten regelmäßig 65 Bedarfsgemeinschaften zum "Kundenstamm" gezählt, nunmehr seien es 110 bis 120, so dass Georg darlegt: "Das Lebensmittelaufkommen ist nicht großartig zurückgegangen. Wir können also nur rationieren. Wir können nicht satt machen. Wir können nur helfen. Denn keiner hat einen Rechtsanspruch."

Landesverband hilft
Froh ist Georg, dass auch der Landesverband Rheinland-Pfalz der Tafeln hin und wieder als Lieferant auftritt. "Ich nehme alles, was ich kriegen kann", hat sich Georg zum Ziel gesetzt. Aber, und das gibt er zu bedenken: "Manchmal schränkt mich unsere Lagerkapazität ein. Neulich galt es einmal, 600 Kilogramm Speisesalz unterzubringen." Mit einem gerade aufgestellten Container soll sich die Situation ein wenig entspannen. Auf einen Stamm von 65 Mitarbeitern kann Georg setzen, so dass vier Team gebildet wurden, wovon jedes einmal pro Monat, also alle vier Wochen, dienstags und mittwochs (Ausgabetag) im Einsatz ist. Parallel setzt Georg auf die "normale" Bevölkerung und bittet, "privat Lebensmittel abzugeben". Derzeit fehlen nicht nur Obst, Brot & Co., sondern auch Hygieneprodukte. Gemein ist allen drei Tafeln im AK-Land derzeit, dass sie keine Mahlzeiten anbieten. Dieses Angebot war aufgrund der Corona-Pandemie vor über zwei Jahren eingestellt worden. (vh)

Informationen zu den drei Tafeln im AK-Land – Altenkirchen: www.tafel-altenkirchen.de, Tel. 02681/2056; Betzdorf: www.kreuzkirche-betzdorf.de; Tel. 02741/22231; Wissen: www.evangelisch-in-wissen.de, Tel. 02742/911010.
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