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Nachricht vom 23.06.2022
Region
Enkeltrick und Schockanruf: Mit diesen dreisten Tricks werden Senioren abgezockt
"Das Böse ist nicht nur in Frankfurt oder Köln, es kann auch hier in Kirchen sein": Der Polizeibeamte Dietrich Viebranz war nach Kirchen gekommen, um vor der Betrugsmasche "Enkeltrick" und falscher Polizisten am Telefon zu warnen - und Handlungsempfehlungen für die Opfer zu geben.
Polizist Dietrich Viebranz referierte im Rathaus Kirchen über den „Enkeltrick“. Foto: (tt/Pixabay)Region. „Man wird von den anrufenden Leuten auf dem falschen Fuß erwischt, und sie können agieren, aber wir selbst können nur reagieren“, sagte Dietrich Viebranz. Der Polizeibeamte von der Zentralen Präventionsstelle der Polizei in Koblenz war, im Sitzungssaal im Rathaus Kirchen erschienen, um über die Abzocke- und Betrugsmasche „Enkeltrick“ zu informieren. Über diese kriminelle Tour werden regelmäßig vor allem ältere Menschen abgezockt und um ihr Geld gebracht. Immer wieder gelingt es den gewieften Verbrechern, ihrem Opfer bis zu sechsstellige Beträge abzuschwatzen. Und zwar mit einer frei erfundenen Geschichte, die von einem tragischen Ereignis geprägt ist, zum Beispiel einem tödlichen Verkehrsunfall.

Fast 100.000 Euro habe eine Frau aus dem Kreis Neuwied beinah verloren, wenn nicht schlussendlich ein Bankangestellte so fit und aufmerksam gewesen wäre, um die Situation beim Geldabheben richtig einzuschätzen. Schließlich gelang es ihm, die Verbindung zwischen dem Opfer und den Tätern buchstäblich zu kappen. Er ließ sich von der Dame das Handy aushändigen, über das sie die ganze Zeit Kontakt mit den Tätern gehalten hatte. Für die Dame waren es zunächst gar nicht Täter, weil sie ihnen auf den Leim gegangen war. Bei dem Schockanruf war bei ihr ein Tunnelblick entstanden, und bei diesem nahm sie die Betrüger als das wahr, wie sie sich vorgestellt hatten: als Polizist und Staatsanwalt. Selbst die Stimme ihres vermeintlichen Sohnes – mit diesem Täter hatte die Frau nur kurz am Telefon gesprochen - habe sie in dieser aufgewühlten Situation als die ihres eigenen Sohnes wahrgenommen. Der sollte angeblich zwei Personen überfahren haben. Das Kind sei bereits verstorben, und bei der Mutter bestehe auch große Sorge, dass sie versterben werde. Nun sitzt der Sohn im Gefängnis. Mit dieser Geschichte hatten die Kriminellen die Mutter am Telefon konfrontiert.

Bei dieser Geschichte würden sich ihm immer noch die Haare hochstellen, sagte Viebranz, der im Zuge der Arbeit vorbeugend über die fiesen Maschen der rhetorisch geschulten Telefonbetrüger informiert. Die Täter würden gezielt nach älteren Vornamen und dreistelligen Telefonnummern suchen. Denn so etwas würde für sie bedeuten, dass es sich wahrscheinlich um einen alten Menschen handelt. Das sei ihre Zielgruppe. Ältere Menschen würden häufig alleine leben. Aufgrund dieser Tatsache hätten sie oft nicht die Möglichkeit, um sich über den Sachverhalt des Schockanrufes mit jemand anderem rückzuversichern. Außerdem hätten sie Geld gespart und seien häufig obrigkeitshörig. Letzteres ist ja auch ein Aspekt, den die Täter für sich zu nutzen wissen. So auch die Kombination von falschem Polizisten und falschem Staatsanwalt. So würden die Betrüger versuchen, ältere Menschen mit dem Anruf einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. In dem von Viebranz erwähnten Fall wurde während des Telefonates der Frau auch gleich mitgeteilt, dass nun auch die Mutter verstorben sei. Auch das war nur ausgedacht und erlogen. Es dürfte aber den Druck auf das potenzielle Opfer weiter erhöht haben. Die betroffene Frau gab später bei der Polizei zu Protokoll, dass die einen „Tunnelblick“ gehabt habe.

Wenn auf dem Telefon eine unbekannte Nummer zu erkennen sei, einem etwas Komisch vorkomme oder man den Verdacht habe, dass etwas nicht in Ordnung ist, so lautete der Appell von Viebranz klipp und klar: Das Gespräch sofort beenden. Die Täter seien „schlaue Füchse“. Auch wenn die Anrufe aus dem Ausland kämen etwa aus Südamerika, dem nahen oder Osten oder auch aus der Türkei, so würden die Täter ein sauberes Hochdeutsch sprechen. Und die angezeigte Nummer sei eine falsche. Wenn beispielsweise die Kombination falscher Polizist und falscher Staatsanwalt gespielt werde, dann würden sich die Täter auch sehr gut mit Fachausdrücken auskennen: „Die kennen sich aus und führen das Opfer durch das Programm.“

Gerade ganz aktuell sei eine Schockanrufmasche. Auf der anderen Seite des Telefons höre das Opfer eine junge Frau. „Total aufgelöst, schluchzend und schreiend", sagte Viebranz. Dann die Schock-Nachricht: „Mama, ich bin im Gefängnis.“ Sollte der oder die Angerufene gar keine Tochter haben, dann werde das Gespräch vermutlich sofort von den Verbrechern auf der anderen Seite beendet. Habe das potenzielle Opfer jedoch eine Tochter oder einen Sohn, was eben gerade gespielt wird, dann gehe es weiter. Die Kriminellen liefern gleich die Geschichte dazu und machen eben das, was Viebranz schon erwähnt hatte: Sie agieren, während das Opfer nur reagieren kann. Und das offenbar eben auch mit der Schockstarre, die der Anruf und die tragische Geschichte ausgelöst haben.

„Ich bin dein Sohn, ich bin im Gefängnis“: Das hörte die Frau aus dem Landkreis Neuwied. Die erfundene Geschichte erzählten dann ein falscher Polizist und ein falscher Staatsanwalt. Um alles noch glaubwürdiger zu machen, ist natürlich alles von einer Dramatik geprägt. In diesem Fall mit zwei Toten – und der Sohn sitzt in einem „Loch“ im Gefängnis. Der Sohn hat grobfahrlässig gehandelt, sei zu schnell gefahren und habe dabei das Handy genutzt.

Eine hinterlegte Kaution von mindestens 120.000 Euro könnte den Sohn aus der Haft auslösen. Sie haben nicht so viel Geld, höchstens 100.000 Euro. Aber sie könne eine Freundin fragen. Schlussendlich ließen sich die Täter auf die 100.000 Euro ein. Dass sie eine Freundin fragen könnte, ob sie noch mehr Geld bekomme, das war vermutlich nicht im Sinne der Täter. Es wäre damit ja eine weitere Person eingeschaltet worden – und die hätte intervenieren können. Die 100.000 Euro wurden akzeptiert. Die Frau gingen zu ihrer Bank Filiale, wo ihr mitgeteilt wurde, dass sie ad-hoc höchstens 80.000 Euro bekommen könnte, denn so viel Geld habe man nicht vorrätig. Natürlich erkundigte sich der aufmerksame Bankangestellte, wofür die Dame denn so viel Geld haben wolle.

Diese begründete dies mit einem Familienfest, denn, so Vielbranz, die Täter hätten dem Opfer natürlich auch eingetrichtert, sich bloß nicht von Bankangestellten beeinflussen zu lassen. Offenbar war der Mitarbeiter doch stutzig geworden. Er brachte die Frau in einen anderen Raum, und versuchst in irgendeiner Form mit ihr das Thema genau auf eben „Enkeltrick“ zu lenken. Erst dabei habe sie erkannt, dass sie sich auf einer Einbahnstraße befand ist, habe die Dame äußert. Mit Gesten deutete sie an, dass das Handy eingeschaltet sei. Dieses ließ sich der Bankangestellte geben und macht es aus. Die Täter hätten sich danach auch nicht noch einmal bei der vermeintlichen Mutter gemeldet, berichtete Polizist Viebranz: „Das war der typische Schockanruf.“ Der Mitarbeiter des Kreditinstitutes habe später geäußert: „Ich glaube, ich habe die Frau gerettet.“

Die geschulten Täter würden dem Opfer einheizen, verdeutlichte Viebranz die Situation. Nach einer solchen Schocknachricht stehe das Opfer unter Adrenalin, was auch die Frau aus dem Kreis Neuwied später der Polizei gegenüber bestätigte: „Ich war sicher, das ist mein Sohn.“ In dem Gespräch mit dem Polizisten hatte sie auch persönliche Daten preisgegeben: „Das setzt der Täter ein, um glaubhaft zu machen, dass er viel von ihnen weiß.“

„Wenn der große Schreck kommt, können wir nicht mehr klar denken“, erläuterte der Referent. Deshalb sei es ganz wichtig, dass jeder einen Rückhalt habe, eine Person, zu der er so viel Vertrauen hat, dass er ihr alles sagen kann. Auch, dass man gerade ein Problem habe oder sich in einer Sache unsicher sei. Es müsste eine Vertrauensperson sein, eine gute Freundin oder ein guter Freund, bei der lapidare, schlimme und auch scheußliche Dinge ganz offen geäußert werden können - denn: „Wir alle können Dummheiten begehen.“

Wenn die Täter dem Ziel nahegekommen seien, dann müsse das, was sie mit ihrem Betrug erlangen wollen – in erster Linie Geld, Gold und Schmuck - noch abgeholt werden. Im Kreis Neuwied sei beispielsweise mal so einen solchen Abholer geschnappt worden. „Aber das sind nur kleine Fische“, sagte Viebranz. Es seien Menschen, die für einen „Gelegenheitsjob“ auf die Schnelle kleines Geld verdienen wollen. Per Telefon würden sie instruiert. Unter falschem Namen und mit einem Kennwort würden sie das sich das Geld abholen. Das sei meistens in einem Umschlag oder einer Tasche verpackt. Den Abholer, den man im Landkreis Neuwied dingfest machen konnte, der habe nichts von den Hintermännern gewusst. Wäre das Geld im Umschlag an ihn übergeben worden, hätte er es in irgendein Land versendet. Vielleicht nach Südamerika oder in den Nahen oder mittleren Osten. Wenn so ein „kleiner Fisch“ nichts wisse, sagte der Referent, bleibe die polizeiliche Ermittlung stecken. Wenn der Abholer keinen Dreck am Stecken habe, dann komme er oft mit einer Bewährung davon.

Eindringlich war die Bitte von Viebranz, selbst nicht Polizist oder Fahnder zu spielen. Stattdessen empfahl er ausdrücklich, bei einem solchen Anruf das Gespräch gleich abzubrechen und aufzulegen und auf gar keinen Fall persönliche Daten am Telefon durchzugeben. In jedem Fall sollte die Polizei informiert werden. Das auch, wenn die Kollegen vielleicht am Ende gar keine Ermittlungsansätze hätten. Es sei wichtig, über solche Anrufe zu erfahren, um andere Menschen zu warnen.

Bei Fällen wie Schockanruf geht es oft um sehr hohe Beträge, die ein Opfer zahlen soll, vermeintlich um dem Angehörigen, Tochter, Sohn oder Enkel, zu helfen. Es gibt aber auch die kleinen Sachen, bei denen Menschen um ihr Geld betrogen werden. Eine ältere Person hebt Geld am Geldautomaten ab, was von einem Täter beobachtet wird. Wieder zu Hause, klingelt es an der Haustür. Als Kripobeamte geben sich zwei Täter aus, die gefolgt waren. Das Opfer bekommt eine Geschichte aufgetischt, bei der es angeblich um Falschgeld geht. Das hat ein Bankangestellter in den Geldautomaten gelegt, weil er sich das echte Geld genommen hat. Nun sei es eben der Seniorin oder der Senior, die Falschgeld in Umlauf bringen würden. Dem Bankmitarbeiter sei man schon auf der Spur. Es müsse das gerade abgehobene Geld sichergestellt werden. Die Täter, so Viebranz, würden dem Opfer glaubhaft versichern, dass es Falschgeld aus dem Automaten gezogen habe. Für die aufgestellte Quittung über das Falschgeld gebe es bei der Landesbank echtes Geld.

Sollten doch Zweifel aufkommen, dann würden die Kriminellen gleich drohen, dass sich das Opfer strafbar mache, wenn es die „Blüten“ behalte. Bevor am Ende die falschen Kripobeamten mit dem echten Geld verschwinden, gibt es oft noch die schon zynisch anmutende Belehrung: „Passen Sie künftig besser auf.“ Auch wenn es hier vielleicht am Ende „nur“ um einen Betrag von 200 Euro geht, so ist auch hier Wachsamkeit geboten. Oder jemand erhält eine Whatsapp, in der die Tochter oder der Sohn mitteilen, dass das Handy kaputt sei und man nun ein neues und eine neue Nummer habe. Die alte Handynummer könne getrost gelöscht werden. Das funktioniert nur, wenn der Empfänger eine Tochter oder einen Sohn hat. Ist dieses Kriterium erfüllt, beginnt das Betrugsspiel. Das zieht sich zunächst über belanglosen Mitteilungen per Handy, beispielsweise dass man in München nun auf einer Fortbildung sei. Schließlich wird mitgeteilt, dass die Geldbörse gestohlen wurde und man Geld benötigt. Es gibt schon eine Lösung, wie man an Geld kommen könnte. Eine Kollegin komme noch zur Fortbildung. Diese können vorbeifahren und das Geld entgegennehmen. Zweifelt das potenzielle Betrugsopfer an der Vertrauenswürdigkeit der das Geld empfangenden Person, wird auch hier gleich eine Lösung offeriert, um die Zweifel zu zerstreuen: „Wir können ein Kennwort vereinbaren.“ Ist das potenzielle Opfer einverstanden, hat die Falle schon mehr oder weniger zugeschnappt. Der Abholer muss nur noch klingeln, seinen falschen Namen und das Kennwort nennen und bekommt das Geld ausgehändigt.

„Unser Tipp ist der, wenn Ihnen etwas komisch vorkommt, legen Sie sofort auf oder brechen den Kontakt ab“: Das war eine klare Botschaft und ein klarer Appell, den Viebranz äußerte. Und sollte es tatsächlich doch ein Verwandter gewesen sein der versucht hat anzurufen, dann werde dieser sicherlich erneut anrufen. „Geben Sie niemals persönliche Daten am Telefon raus“, lautete ein weiterer Tipp. Denn alles was man zum Beispiel bei einem Schockanruf mitteile, „das setzt der Täter ein, um glaubhaft zu machen, dass er viel von ihnen weiß“. Wichtig sei eben auch, die Polizei zu informieren, auch um andere Menschen über die Medien zu warnen.

Die Kirchener Gemeindeschwester Andrea Kessler hatte die Aktion zur Straftatenvorbeugung organisiert. Für Dienstag, dem 28 Juni, um 17.30 Uhr lädt die Gemeindeschwester erneut in den Sitzungssaal des Rathauses ein. Dann wird es um das Thema Pflegeversicherung gehen. (tt)
 
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