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Nachricht vom 02.02.2023
Region
Altenkirchens City-Manager Prieß zu Leerständen: Schwarzmalerei bringt uns nicht weiter
Die ohne gegenseitiges Zutun und zufällig geborene Allianz zwischen Corona-Pandemie sowie Amazon &. Co. ist Gift für den lokalen Einzelhandel. Immer mehr inhabergeführte Geschäfte müssen schließen, immer mehr Ladenlokale stehen - auch in Altenkirchen - leer.
Wie in vielen anderen Städten in der Republik, stehen auch in der Altenkirchener City einige Ladenlokale leer. (Foto: vh)Altenkirchen. Ein Spaziergang durch Altenkirchens Innenstadt, also den Bereich, wo sich der inhabergeführte Einzelhandel konzentriert, macht deutlich: Nach und nach wächst die Zahl der leer stehenden Ladenlokale, machen sich in der Kreisstadt, wie in anderen Groß- und Mittelzentren auch, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie mit den Lockdowns über viele Wochen hinweg und geändertes Einkaufsverhalten der Bevölkerung bemerkbar. So müssen alteingessene Geschäftsinhaber aufgeben und jeweils ihr Angebot vom Markt nehmen. Nachmieter für die Räumlichkeiten zu finden, gestaltet sich schwierig, ja ist in vielen Fällen gänzlich unmöglich. Wenn dennoch jemand bereit ist, sein Glück mit bekannten oder aus dem Rahmen fallenden anderen Sortimenten zu versuchen, ist die Überlebensphase oft nur von kurzer Dauer. Aktuell präsentieren sich in Altenkirchen 33 Ladenlokale in Wilhelm-, Friedrich-Emmerich-, Kölner - (zwischen Einmündung Wiedstraße und Bahnübergang) und Frankfurter Straße (zwischen Einfahrt Tiefgarage und Einmündung Ludwig-Jahn-Straße) als „unbewohnt“, in 105 können Kunden nach wie vor ein- und ausgehen. Die Leerstandsquote liegt bei 23,9 Prozent und damit deutlich über einer vom Institut für Marketing und Kommunalentwicklung (Imakomm/Aalen) prognostizierten in Höhe von 17 Prozent für die Nach-Corona-Zeit. Ohne die Pandemie hatte die Akademie aus Baden-Württemberg den Wert für Städte zwischen 5000 und 19.999 Einwohnern mit 11 bis 12 Prozent angegeben.

„Innenstädte kennen und können Krisen“
„Innenstädte kennen und können Krisen“, hatte Dr. Peter Markert, geschäftsführender Gesellschafter der Imakomm, bei einem Impulsforum in Horhausen unter dem Titel „Vielfalt in der Innenstadt“ Mitte vergangenen Jahres nicht grundsätzlich schwarz gesehen, was die Zukunft städtischer Zentren betreffe. Abgehakt seien der demografische Wandel, die Einführung des E-Commerce, die Auslagerung von Geschäften auf die „grüne Wiese“ oder die Corona-Pandemie, neue wie Klima- und Fachkräftemangel, Nachfolgeunsicherheiten oder Finanzprobleme seien zu erkennen. Sein Unternehmen hatte im Auftrag kommunaler deutscher Spitzenverbände 750 deutsche Innenstädte untersucht. „Den Zentren gehen die Frequenzbringer verloren“, zitierte Markert aus der Auswertung: Einzelhandel 13 bis 14, Gastronomie 6 bis 7 und Gewerbe (gesamt) 3 bis 4 Prozent. In Zukunft werde das Nutzungsmanagement (Leerstandsmanagement) zur Daueraufgabe zum Beispiel von Citymanagern. So stuft Bastian Prieß, seit 1. März 2022 als Citymanager in Altenkirchen und zunächst noch für zwei weitere Jahre tätig, die Situation vor Ort im Gespräch mit dem AK-Kurier ein.

Wie sehen Sie die Situation um die augenscheinlich steigende Zahl an leer stehenden Ladenlokalen in der Innenstadt?
Steigende Leerstände sind vielerorts zu beobachten - das ist ja auch keine wirklich neue Entwicklung, auch wenn sie natürlich nicht schön ist. Die aktuelle Gesamtsituation in Deutschland und Europa tut da allerdings sicher ihr übriges bei und amplifiziert die Problematik gerade, hier ist der Tenor in vielen Städten und Gemeinden sehr ähnlich. Und auch meine Kolleginnen und Kollegen aus den Städten umher berichten mir ähnliches. Gerade im gastronomischen Bereich schlagen starke Erhöhungen der Einkaufspreise und Inflation schon länger relativ hart zu Buche, und wir sehen vielerorts Schließungen, Verkleinerungen und angezogene Preise. Aber auch der Einzelhandel in Deutschland hat viel mitgemacht in den letzten drei Jahren, und bei vielen Händlerinnen und Händlern merkt man nach dieser Zeit eine berechtigte Müdigkeit. Hier in Altenkirchen hält sich das zum Glück jedoch in Grenzen, hier gibt es nach wie vor viele, sehr motivierte Personen, die sehr an ihren Geschäften hängen. Die aktuelle Konsumunsicherheit merkt man dennoch allerorts in allen Branchen. Auch Großhändler und Ketten hatten letztes Jahr daran zu beißen. In Altenkirchen können sich zum Glück aber viele Anbieter noch sehr stabil halten - auch wenn es sicher bei so manchem mit viel Herzblut und Schweiß verbunden ist. Faktoren wie Inflation und die Unsicherheit bei Energiepreisen sind aktuell nicht gerade die allerbesten Voraussetzungen, unter welchen man ein Geschäft oder eine Gastronomie eröffnen möchte. Das macht einem die Arbeit als Citymanager oder Wirtschaftsförderer aktuell natürlich nicht einfacher. Dranbleiben und besonnen agieren müssen wir da natürlich trotzdem; denn bei allem Realismus - Schwarzmalerei bringt uns nicht weiter!

Was unternehmen Sie, um der Entwicklung entgegenzuwirken?
Im Herbst habe ich versucht, bei so vielen Objektbesitzen wie möglich einmal nachzuhören, wie es aktuell mit Anfragen für Leerstände steht und woran ein Miet-/ Pachtvertrag letztlich meist scheitert. Dabei waren Ängste um steigende Energiekosten oft ein Thema, und viele Objektbesitzer erzählten mir, dass sie es im letzten Jahr oft erlebt haben, dass Interessenten nach längerer Überlegungsphase im letzten Moment den Rückzug angetreten haben. Das ist natürlich irgendwann dann auch als Vermieter frustrierend. Generell erlebe ich aber bei vielen Objektbesitzern auch eine hohe Einsatzbereitschaft, die auf den ersten Blick in ein Immobilieninserat so natürlich gar nicht zu sehen ist. Ich glaube, viele Interessenten wissen nicht, dass es sehr viel Bereitschaft dazu gibt, ihnen bei potentiellen Umbauten oder Einrichtungen von Ladengeschäften entgegenzukommen und Unterstützung zu leisten. Da kann ich letztlich auch sagen: Traut euch und sucht den Dialog, wenn ihr eine Idee für ein Geschäft, eine Gastronomie oder eine schöne Dienstleistung habt! Das Tolle daran, in so einer kleinen Stadt zu leben und zu arbeiten, ist, dass man schnell ins Gespräch kommen kann und man gemeinsam schnell zu Kompromissen kommt - da haben sich gegebenenfalls auch Sorgen über Pachtverträge, Miethöhen oder Kaufpreise schneller erledigt, als man denkt. Ich versuche daher, aktuell vor allem in Kontakt zu bleiben, zu vermitteln und auch gemeinsam mit Objektbesitzern Ideen zu erarbeiten, um zum Beispiel auch abzusehende, eventuelle Leerstände abzufangen und möglichst schnell zu füllen. Hier hatte ich bereits einige vielversprechende Gespräche, bei denen es auch um strategische Standortfragen, gezielte Ansiedlung von „Wunschunternehmen" oder auch um kreative Hybridnutzungen bereits angemieteter Immobilien ging. Ich werde nun aber auch versuchen, die Leerstandsvermarktung aktiver in das Stadtmarketing und unsere Veranstaltungen einzubinden. Auch die ISEK-Maßnahmen der Stadt sollen helfen, Sanierungen voranzutreiben und Objekte so attraktiver zu machen. Hier nimmt es mit den ersten Anfragen bezüglich der energetischen Sanierungszuschüsse auch langsam Fahrt auf. Das ist gut, denn viele potentielle Mieter oder Käufer werden auch oft durch die aktuellen Lieferkettenprobleme und Kosten bei potentiellen Arbeiten und Sanierungen abgeschreckt. Hier möchte ich auch gerne dazu ermutigen, mit Ideen und Fragen auf mich zuzukommen.

Wie eng arbeiten Sie mit dem Aktionskreis Altenkirchen zusammen?
Generell ist die Arbeit mit dem Aktionskreis über das Jahr hinweg gut angelaufen, und man kann sich gegenseitig Bälle zuspielen - zum Beispiel bei Veranstaltungsplanungen oder auch mal bei Einschätzungen zu gewissen Vorhaben. Veranstaltungen wie die Toskanische Nacht oder auch die Herbstfashion aber haben Kultcharakter und tragen massiv zum Image der Stadt bei. Das ist dem Aktionskreis zu verdanken. In den letzten Wochen war der Kontakt nicht ganz so intensiv wie zuvor, was allerdings auch daran lag, dass man beim Aktionskreis natürlich sehr mit dem Weihnachtsmarkt und der Eisbahn beschäftigt war; dort hat man mit wenig Händen in sehr kurzer Zeit sehr viel schaffen müssen. Das neue Jahr läuft nun an, und ich denke, dass wir uns hier nochmal in näherer Zukunft die gemeinsamen Pläne zurechtlegen werden. Generell kann ich den Austausch aber als sehr angenehm bewerten, der Vorstand hat sich mit Uwe Dörr einen tollen Partner ins Backoffice gesetzt, mit dem es sich sehr gut arbeiten lässt; die Kommunikationswege sind in einer Stadt wie Altenkirchen ja zum Glück oft relativ kurz; da können Dinge auch mal spontan besprochen werden.

Welche Ideen haben Sie, um wieder mehr Leben in die City zu bringen?
Eine Belebung, die auch nachhaltig ist, kann nur funktionieren, wenn wir viele verschiedene Faktoren berücksichtigen und alle, so gut es geht, über die Zeit voranbringen. Das sind Dinge wie attraktive Veranstaltungen zur Erhöhung der Aufenthaltsdauer, interessante Angebote in der Innenstadt, eine gute Vermarktung nach außen, aber auch ein gutes Netzwerk aus allen Stadtakteuren zu haben, welche ihre Kunden und Bekannten aktivieren. Ich glaube, einer der Schlüssel zur Belebung ist es auch zu schauen, dass wir unseren Handel und unsere Gastronomen stärker in das Stadtgeschehen einbinden, denn wir haben dort viele kreative Köpfe, denen ihre Stadt und ihr Standort sehr am Herzen liegen. Dazu habe ich auch runde Tische für die Händler und für die Gastronomen eingerichtet; die letzten Treffen mussten coronabedingt abgesagt werden, doch nun können wir auch da wieder starten, um gemeinsam zu schauen, wie wir hier gemeinsam anpacken können. Für solche Zwecke bin ich auch in gutem Austausch mit der IHK, die mir in meiner Arbeit ein sehr wichtiger und zuverlässiger Partner ist. Hier kann die IHK auch mit Weiterbildungsangeboten durchaus helfen; aktuelle Studien zeigen einmal mehr, dass die Menschen in Deutschland ihr Kaufverhalten in Innenstädten massiv an Onlinemarketing festmachen. Sie gehen durchaus gerne noch vor Ort shoppen, wenn die Onlinewerbung attraktiv ist. Viele Menschen informieren sich erst im Netz, ob sich für sie ein Einkaufstrip lohnt: Was gibt es für Angebote und wie werden sie präsentiert? Das sind die ausschlaggebenden Faktoren. Hier gibt es sehr viel Nachholbedarf, weswegen ich, durchaus auch zusammen mit der IHK, versuchen möchte, einen Fokus auf das Thema Marketing zu legen - off- wie auch online. Auch versuchen wir mit der Stadt, uns sowohl neue Veranstaltungsformate auszudenken, als auch in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Akteuren, auch ältere Formate nochmal etwas zu pushen. Die Singer's Corner letztes Jahr fand sehr viel Zuspruch, und vielen Menschen gefiel das Gemeinschaftsgefühl. Zum letzten Termin im August hatten wir bereits Gäste aus umliegenden Gemeinden. Die Leute mögen den Charme derartiger, niederschwelliger Angebote. Das pusht dann auch zu den Eventzeiten den Handel rund um die Veranstaltungsstätte. In diesem Bereich, ob mit kleinen Konzerten, Ausstellungen oder auch neuen Marktideen, schlummert noch viel ungenutztes Potential, das wir uns jetzt Stück für Stück erschließen. Weitere, wichtige Maßnahmen zur Belebung sind zum Glück auch auf höherer Ebene schon in Arbeit. So wird der Bau des neuen Fachmarktzentrums auf Dauer für eine stärkere Frequentierung der Innenstadt sorgen und auch Menschen aus der weiteren Umgebung nach Altenkirchen ziehen, wie auch das neue Radwegekonzept, welches man in der VG mit großem Eifer erarbeitet, helfen wird, die Innenstadt erlebbarer und attraktiver zu machen. Die eine große Lösung gibt es sicher nicht, aber ein Netz aus vielen Ansätzen an vielen verschiedenen Punkten kann dafür sorgen, dass wir Schritt für Schritt auf eine aktivere und künftig vielleicht auch anders gestaltete Innenstadt zugehen können, die zeitgemäß und zukunftsfähig ist. (vh)
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