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Nachricht vom 26.08.2017
Kultur
Lesetipp: „Die Morde von Remagen“
Fast zwanzig Jahre nach der dramatischen Jagd auf den Schwerverbrecher Dieter Zurwehme, die ganz Deutschland unter Anspannung hielt, trifft der angehende Journalist Mauritius Kloft aus Kölbingen den inzwischen pensionierten Kriminalhauptkommissar Gerhard Starke, der als Mitglied der Mordkommission Koblenz damals half, die Verbrechen aufzuklären und den Mörder schließlich hinter Schloss und Riegel zu bringen. Starke ist in der Region durch Vorträge und Lesungen bekannt und geschätzt.
Titelbild des Buches. Foto: VerlagRegion. Gerhard Starke und der wesentlich jüngere Mauritius Kloft, Jahrgang 1995, treffen sich in Remagen am Tatort, wo im Frühjahr 1999 die Jagd begann: Im Schlafzimmer eines Mehrfamilienhauses in Remagen liegt eine Frau, die aus vielen Wunden im Gesicht und Oberkörper blutet. Sie ist nicht ansprechbar. Ob sie überleben wird, ist mehr als fraglich. Im Bad finden die Beamten wenig später zwei blutüberströmte Leichen. Die gefliesten Wände, der Boden, die Badewanne, alles ist voller Blut. Zum Teil scheint das Blut schon angetrocknet. In einer Villa am Rhein liegt ein weiterer Toter. Er ist auf den Bauch gedreht, sein Körper zum Teil mit Bauschutt bedeckt. Über dem Toten ist ein geöffneter Regenschirm aufgestellt. Ein schreckliches Bild, was sich den Ermittlern an den Tatorten bietet. Der von Starke als „Schlachthof“ bezeichnete Tatort war sehr belastend für die Polizeibeamten, ganz besonders für die Ermittler vom Erkennungsdienst, die jedes Detail unter die Lupe nehmen mussten. Selbst dem erfahrenen Kriminalhauptkommissar Starke, der immer wieder betont, Polizisten müssten professionell vorgehen und das beruflich Erlebte abschütteln, ist nach der langen Zeit noch die Betroffenheit anzumerken. Die Empathie für den Polizisten macht auch den Leser betroffen.

Kloft will wissen: was für ein Typ ist dieser Mörder? Was geht in seinem Kopf vor? Wie tickt so jemand? Der Journalist stellt seine Fragen behutsam und Starke berichtet von den Opfern, die sich verzweifelt gewehrt haben mussten und er erzählt von demjenigen, der für diese Taten verantwortlich war: Dieter Zurwehme. Zurwehme war wegen Mordes verurteilt und aus dem offenen Vollzug geflohen. Dass das möglich war, belastet Starke heute noch. Zurwehme war als Zwölfjähriger erstmals aktenkundig straffällig geworden. Seine weitere Biographie beschreibt einen skrupellosen triebgesteuerten Mann, der, völlig unberechenbar, vor keiner Gewalt zurückschreckt. Trotzdem wird aufgrund eines positiven psychologischen Gutachtens dem Häftling im Dezember 1998 Hafturlaub gewährt, von dem er nicht zurückkehrt und der in dem Vierfachmord von Remagen eskaliert, denn die schwerverletzte Frau stirbt auch noch.

Nach diesen Morden ist es dem Täter immer wieder gelungen, seinen Verfolgern zu entkommen, bis er schließlich völlig unspektakulär festgenommen wird. Bei seiner Flucht kreuz und quer durch Deutschland und Österreich erhält Zurwehme immer wieder Unterstützung von hilfsbereiten und gutgläubigen Menschen, obwohl die Bevölkerung angstvoll den Atem anhält und durch die eingeschaltete Presse intensiv informiert ist. Zurwehme hat gute Umgangsformen und man sieht ihm den Verbrecher nicht an.

Als die Staatsanwaltschaft Koblenz 100.000 DM Belohnung auf Hinweise ausschreibt, beschäftigt eine Flut von Informationen die Ermittler, die jeder kleinsten Spur gewissenhaft nachgehen, aber keine führt zur Ergreifung des Gesuchten. Unter dem Erfolgsdruck geschieht in Thüringen eine tragische Fahndungspanne: Polizisten gehen einem Hinweis nach und erschießen versehentlich einen Wanderer aus Köln. Ein fünfzehnjähriges Mädchen überlebt eine brutale Vergewaltigung, die psychischen Folgen für das Leben des Opfers sind unbekannt. Auch das macht Gerhard Starke nachhaltig zu schaffen.

Zurwehme spielt wie das Phantom ein Katz-und–Maus-Spiel mit der Polizei. Bis er nach achtmonatiger zermürbender Fahndung in Thüringen nach einem Zeugenhinweis ganz unspektakulär und widerstandslos festgenommen wird. Bei seiner Vernehmung in Koblenz schildert Zurwehme emotionslos die Einzelheiten seiner Flucht und der begangenen Verbrechen. Der vernehmende Polizeibeamte muss ein Vertrauensverhältnis zu dem Täter aufbauen, um Informationen zu erhalten. Ein Ansinnen, das dem Leser übermenschlich schwierig erscheint, bei Zurwehme aber tatsächlich zum Erfolg führt.

Dieter Zurwehme wurde am 8. Juli 2000 wegen Mordes in vier Fällen, Vergewaltigung, versuchten schweren Raubes sowie schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.

„Die Morde von Remagen“ ist ein aufschlussreiches Buch über die schrecklichen Ereignisse, die im Sommer 1999 ganz Deutschland in Atem hielten: Nicht reißerisch, sondern sensibel und mit Details, die nur einer wissen kann, der damals dabei war.

Das Taschenbuch ist erschienen im Gardez! Verlag und Verlag Christoph Kloft, ISBN 978-3-89796-273-6. Mauritius Kloft / Gerhard Starke: Die Morde von Remagen. Die Jagd auf den Schwerverbrecher Dieter Zurwehme. htv
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