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Nachricht vom 06.11.2019
Region
Belastendes Thema des Suizids soll öffentlich gemacht werden
„Suizid – Keine Trauer wie jede andere“ so ist eine Ausstellung und eine Veranstaltungsreihe in Altenkirchen überschrieben, die seit 4. November gegen eine „Mauer des Schweigens“ angehen will.
Diskussionsrunde zur Ausstellung Suizid in der LJA (Foto: Evangelischer Kirchenkreis Altenkirchen)Altenkirchen. Gemeinsam präsentieren die Landjugendakademie Altenkirchen, das Jugendreferat des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen und der Hospizverein Altenkirchen die Ausstellung, die auch vom Katholischen Bildungswerk, dem AWO-Betreuungsverein und Sponsoren unterstützt wird und bis 11. November läuft.
Aus der Perspektive der Selbsthilfeorganisation „Angehörige um Suizid“ (AGUS e.V.) soll das belastende Thema der Selbsttötung mit der Ausstellung öffentlich gemacht werden. Vor dem Hintergrund von etwa 10 000 Suiziden und noch deutlich mehr Suizidversuchen pro Jahr in Deutschland wollen Ausstellung und Begleitprogramm eine Enttabuisierung und Sensibilisierung fördern.

„Den Umgang mit dem Tod kann man trotz Schulungen nicht lernen, jeder Fall ist anders, jeder Mensch reagiert anders!“ So wie es Hans-Christian Schlemm, Leiter der Polizei-Dienststelle Altenkirchen schildert, geht es vielen Betroffenen. Ein Todesfall an sich ist schon eine große Belastung für alle Betroffenen, im Fall eines Suizides kommen jedoch weitere belastende Komponenten auf die Menschen - ob persönlich Betroffene oder professionelle Akteure - hinzu.

Für den Auftakt der Ausstellungsreihe, die an Werktagen zwischen 9 und 16 Uhr in den Räumen der Evangelischen Landjugendakademie im Dieperzbergweg besucht werden kann, hatte Helga Seelbach, Referentin an der Landjugendakademie deshalb Menschen in einem Podium vereint, die „professionell“ mit einem Suizid umgehen müssen.

So schilderten Rettungsdienstler, Polizisten, Bestatter, Zeitungsmacher, Notfallseelsorger und Trauerbegleiter in einer bewegenden Gesprächsrunde, wie sie im Falle eines gemeldeten Suizides agieren (müssen). Für die Profis gelten dabei zunächst feste Regeln und Abläufe, die sie abarbeiten, und das in einem „Umfeld im Ausnahmezustand“ mit den vom Suizid betroffenen Angehörigen. „Das fordert und belastet auch uns “, machten die „Profis“ deutlich. Dankbar sei man daher für Unterstützung - etwa durch Notfallseelsorger, kollegialen Austausch oder professionelle Hilfsangebote durch den Arbeitsgeber.

Viele Informationen gab es zu diesem berührenden Thema: dass im Falle eines Suizids immer auch die Polizei gerufen wird; dass eventuell Obduktionen anstehen; wie die zeitlichen Abläufe dann bis hin zur Beerdigung ablaufen sollten/könnten; warum in den Zeitungen (fast) nie über eine Selbsttötung berichtet wird: Einblicke für Außenstehende, aber auch Ansatzpunkte, die Chancen bieten für gelingendes Ineinander-Spielen der vielen Akteure.
„Rechnet man nur mit acht Menschen (Angehörige, Freunde, Kollegen u.a.), die direkt von einem Suizid betroffenen sind, dann sind es jedes Jahr (bei 10 000 Selbsttötungen) schon 80 000 Menschen, die mit dem Suizid eines nahen Menschen leben (lernen) müssen!“ Carola Paas von der Familienarbeit im Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchenkann zusammen mit der Ausstellungs-Mitorganisatorin Erika Gierich vom Altenkirchener Hospizverein von den Nöten und Bedürfnissen dieser Betroffenen, von deren Trauerprozessen und seelischen Wunden erzählen. „Und nicht immer werden Hilfeangebote und Unterstützung zum jeweils richtigen Zeitpunkt gefunden oder angeboten!“

Hier lernen – so wurde im Austausch deutlich – alle Helfenden, auch angesichts des gesellschaftlichen Wandels, immer wieder neu dazu. Neue Angebote, wie zum Beispiel der „Dienstbereich Opferschutz“ bei der heimischen Polizei, werden geschaffen und tragfähige Netzwerke zur Unterstützung der Angehörigen geknüpft. „Ich habe nach einem Suizid in der Familie alles erlebt: von absoluter Professionalität bis zu absoluter Unfähigkeit“, berichtete ein Betroffener, wie er die Begegnungen mit den Profis in der ersten Phase nach dem Suizid empfand. Er schilderte aber auch, wie wichtig für ihn im weiteren Prozess die Gruppe der Selbsthilfeorganisation „Angehörige um Suizid“ (AGUS e.V.) war. Diese Organisation, die auch die Ausstellung zusammenstellte, will in Altenkirchen das Tabuthema „Suizid“ aus der Tabuzone herausholen. Deren Angebote (mehr unter agus-selbsthilfe.de) werden in Begleitprogramm und Ausstellung deutlich.

Vielfältiges Begleitprogramm
Parallel zur Ausstellung gibt es ein vielfältiges Begleitprogramm, das heimische Akteure zusammengestellt haben und das ebenso wie die Ausstellungsinhalte zur Enttabuisierung und Sensibilisierung eines belastenden Lebensbereiches führen soll:

Uwe Hauck, Blogger und Buchautor berichtet am Donnerstag, 7. November, 18 Uhr, in der Kreisverwaltung über seine Erfahrungen in der Psychiatrie nach einem Suizidversuch.

„Lass‘ uns über den Tod reden“ fordert Juliane Vieregge Hinterbliebene von Eltern oder Ehepartnern, Kindern oder Geschwistern auf. Vieregge hat 18 vielschichtige, berührende und sehr persönliche Geschichten zusammengetragen und stellt diese am Freitag, 8. November, 19 Uhr, in der „Wäller-Buchhandlung“ in Altenkirchen vor.

Lieder zu Tod und Sterben, aber auch Fragen über das Leben, und, und… wird Sängerin Bea Nyga am Montag, 11. November, 18 Uhr, in der Landjugendakademie vorstellen.

Der Film „Im Winter ein Jahr“ beschreibt emotional die Erschütterungen, die der plötzliche Tod eines Familienmitglieds auslösen kann. Der Film wird am Mittwoch, 13. November, 18 Uhr, in der LJA gezeigt.

„Gedenken an Betroffene“ heißt der Schlusspunkt der Ausstellung und Veranstaltungsreihe am Freitag, 15. November, 18 Uhr, in der Landjugendakademie.

Im Anschluss ist der Kontakt zu Ansprechpartner*innen regionaler AGUS-Gruppen, einer Mitarbeiterin der Polizeiinspektion Altenkirchen und der Beraterin für tragische Ereignisse aus dem Polizeipräsidium Koblenz möglich. „Würde entsteht nicht aus sich heraus, sondern bedarf der Resonanz anderer. Damit Würde wachsen kann, müssen Menschen gewürdigt werden“, heißt es im Veranstaltungsprogramm. Mit stillem Gedenken und besinnlichen Impulsen sollen die von Suizid betroffenen Menschen gewürdigt werden.
Wer die Ausstellung nicht unabhängig (werktäglich von 9-16 Uhr), sondern als Gruppe besuchen möchte (dies ist dann auch am Wochenende möglich), kann Termine unter 02681 9516 0 oder seelbach@lja.de absprechen.

Anmeldungen und weitere Hinweise (die Lesung von Juliane Vieregge kostet 5 Euro Eintritt, alle anderen Veranstaltungen sind kostenfrei) gibt es in einem Flyer und bei den kooperierenden Veranstaltern.(PM)
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