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Nachricht vom 07.11.2019
Wirtschaft
Digitalisierung im Handel: Ohne Verkäufer nach Ladenschluss einkaufen
Beim Innovation-Talk von WW-Lab Betzdorf ging es nun um das Thema Digitalisierung im Handel. Anhand des renommierten Unternehmens Würth aus Künzelsau wurde der Komplex betrachtet – denn: Bei Würth besteht die Möglichkeit, nach Ladenschluss und ohne Verkäuferin oder Verkäufer einzukaufen. Es hört sich an, als wäre es ein Online-Shop. Ist es aber nicht. Zum Beispiel können Handwerker nachts den Laden betreten, Material aussuchen, scannen und mitnehmen – und: Ohne Versand kann das Material am nächsten Morgen gleich auf der Baustelle eingebaut werden.
Einen interessanten Vortrag hörten eine Teilnehmerin und die weiteren Teilnehmer, die zum Innovations-Talk von WW-Lab erschienen waren. Foto: (tt)Betzdorf/Künzelsau. WW-Lab-Inhaber Hartmut Lösch begrüßte in seinen Räumlichkeiten an der Viktoriastraße in Betzdorf, als man sich der „Digitalisierung im Handel am Beispiel von Würth 24“, wie es hieß, näherte. Fast schon passend zum Stichwort Digitalisierung war Matthias Glaser, Prokurist Niederlassungsleitung, bei der Firma Adolf Würth GmbH & Co.KG Künzelsau, von dort aus live zugeschaltet. Das war im Übrigen eine Sondersituation. Ursprünglich war der Besuch von Glaser in Betzdorf geplant, was jedoch am Dienstagabend (5. November) nicht möglich war. Das tat aber dem Innovation-Talk keinen Abbruch, und gespannt hörten die eine Teilnehmerin und die weiteren Teilnehmer den Ausführungen zu, die Glaser („schade, dass ich persönlich nicht da sein kann“) über den Monitor via Skype mitteilte.

24 Stunden einkaufen, auch wenn das Geschäft bereits aufgrund der normalen Öffnungszeiten geschlossen ist und keine Mitarbeiterin und kein Mitarbeiter sich mehr in dem Laden aufhält: Das hört sich nach Zukunftsmusik an, und vor allem fragt man sich, wie es funktionieren kann. Bei der Firma Würth wird dies bereits praktiziert. Zunächst war der Startschuss in einer der Niederlassungen gefallen, und inzwischen sind es rund ein halbes Dutzend, in denen 24 Stunden an sechs Tagen eingekauft werden kann: Wenn einem Handwerker auf der Baustelle nun beispielsweise eine Schraube oder ein anderes Material fehlt, kann er – vorausgesetzt er hat den entsprechenden Zugang – auch zu den Zeiten einkaufen, wenn in der Niederlassung längst die Lichter ausgeknipst wurden, zumindest bis zur offiziellen Öffnung am nächsten Morgen. So gibt es inzwischen an einigen Standorten von Würth die Möglichkeit, 24 Stunden und an sechs Tagen sich auch dann mit Material für die Baustelle einzudecken, wenn die Ladentüren definitiv für Kundinnen und Kunden abgesperrt ist – aber sie lässt sich eben öffnen. Das Sesam-öffne-dich ist ein QR-Code.

Beim Austausch Synergien entdecken
Von diesem innovativen Projekt erzählte Glaser per Live-Schalte aus Künzelsau beim Innovations-Talk in Betzdorf. Es war inzwischen die 14. Veranstaltung dieser Art, zu der WW-Lab-Inhaber Hartmut Lösch begrüßte – und zwar ein bunt gemischtes Publikum. Um sich auszutauschen und kennen zu lernen. Aber auch um neue Synergien zu entdecken, wie er herausstellte. Beim Vorgänger Gründer-Talk hätten sich unter anderem Leute kennen gelernt, die anschließend eine Firma gegründet hätten, berichtete Lösch. Unterstützt wird der Talk unter anderem von der IHK, berichtete Regionalgeschäftsführer Oliver Rohrbach. Er blickte auf die Zielgruppe, die sich unter anderem mit Vertretern der Wirtschaftsjunioren, jungen Nachwuchskräften und Studenten darstelle: „Ein schöner Mix.“ Stärken stärken, sagte Rohrbach mit Blick auf den gewerblich-technischen Standort Landkreis Altenkirchen, aber er hob auch hervor, dass ein guter Mix an Branchen wichtig sei. Exemplarisch erwähnte er das Stichwort Dienstleister. Man habe 22000 Auspendler und 11000 Einpendler in den Landkreis Altenkirchen. Manche würden ihre Profession nicht vor Ort finden. Neuen und kreativen Ideen wolle man eine Plattform bieten. Stärken stärken im gewerblich-technischen Bereich, aber man müsse sich auch breiter aufstellen, sagte Rohrbach. Das sei auch eine Chance, um die Leute zu halten.

Die Kommunikationsplattform in den Räumen an der Viktoriastraße bot nun erstmals über digitale Liveschaltung die Möglichkeit zur Kommunikation bis nach Künzelsau. Prokurist Glaser erzählte eingangs, dass er den Westerwald kenne: Bei seiner Bundeswehrzeit in Rennerod habe er den Westerwald kennen gelernt, mit Wetter und viel Schnee. Er stellte das Unternehmen vor, in dem Glaser für die Niederlassungen zuständig sei. Er erwähnte den Direktvertriebe im Außenhandel, die Königsdispziplin. Das Großhandelsunternehmen sei der Ursprung gewesen. Unter anderem führte er Montagetechnik, chemische Baustoffe und persönliche Schutzausrüstung an. Er skizzierte auch die betreuten Kunden, zum Beispiel Schreiner und Dachdecker. Im Handwerksbereich ist man unter anderem auch mit Gas, Wasser und Elektro im Sortiment aufgestellt.

Dichter an die Kunden heran
Das Filialgeschäft sei relativ neu, sagte Glaser. 2004 habe man mit kleinen Shops expandiert. Damals habe man erkannt, „wir müssen dichter an unsere Kunden heran“. Die Kunden seien mobiler geworden. Werde dann etwas benötigt, telefonisch bestellt und verschickt, sei es, wenn es gut klappe, am nächsten Tag auf der Baustelle bezeihungsqweise beim Kunden verfügbar. Oder der Kunde decke seinen Sofortbedarf in einer der inzwischen mehr als 500 Niederlassungen – 2007 seien es 250 gewesen.

Mit e-Business und Online-Shop sei man spät dran gewesen, räumte der Prokurist in seinen Ausführungen ein. 2014 sei dieser Bereich „deutlich stärker fokussiert worden“. Es gehe auch darum, die Bedürfnisse der Kunden besser kennen zu lernen. „Die Digitalisierung wird deutlich zunehmen“, blickte er nach vorne. Heute seien es 16 Prozent - Ziel sei es, 25 bis 30 Prozent über e-Business abzuwickeln. Für Glaser steht aber auch fest: „Die Ladentheke wird bleiben.“ Man bekomme heute noch zum Beispiel Faxe, auch handgeschrieben: „Wir haben da ein sehr konservatives Klientel.“

Zugang mit QR-Code
Eine große Herausforderung sei „Würth 24“ gewesen, konstatierte Glaser. Es sollte ein schlankes Konzept entwickelt werden. Einkaufen rund um die Uhr sollte Kundenbindung sein. Für die Problemstellung sei der Lösungsansatz „Würth 24“, als eine Redaktion auf die Anforderungen der Kunden. Glaser erwähnte die regulären Öffnungszeiten montags bis freitags. Man habe auch versucht, Stores samstags zu öffnen – aber: Die Frequenz sei die gewesen, dass „wir nicht wirklich Spaß hatten“. Die Kunde, die Profis seien, sollte aber dennoch an ihr gewünschtes Material gelangen, wobei die Beratungs- und Serviceleistung zu den normalen Öffnungszeiten besteht.

Es sollte schlank bleiben, also ohne mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sagte Glaser. Das Projekt sollte Charme haben; sollte kunden- und anwenderfreundlich sein. Innovativ sei man das Thema angegangen, konstatierte der Prokurist. Und statt eines Kartensystems, für das eine eigene Abteilung hätte gegründet werden müssen, weil man Millionen von Karten hätte ausgeben müssen, entschied man sich bei Würth in Künzelsau für einen QR-Code. Wer einen Zugang besitze, der könne so außerhalb der Öffnungszeiten in das Geschäft gelangen. Und: 90 Prozent der Ware sei zugänglich, unterstrich Glaser. Ein paar Produkte könnten jedoch außerhalb der Öffnungszeiten nicht so abgegeben werden. In einem Tunnelscanner wird die Ware erfasst, fotografiert und fraktioniert. Lieferschein und gegebenenfalls Sicherheitsblätter werden ausgedruckt. Dann hat zum Beispiel der Handwerker das, was er auf der Baustelle benötigt, um voranzukommen. Es gebe eine Personalisierung. Es sei bei diesem Einkauf rund um die Uhr meistens nur ein einzelner Kunde im Laden. Allerdings hätten auch welche geäußert, dass man sich unwohl fühle. „Es gibt deshalb eine musikalische Untermalung, damit sich die Kunden nicht ganz allein fühlen.“

Persönliche Bindung nicht unterschätzen
Im kommenden Jahr soll „Würth 24“ mit weiteren Stores ausgebaut werden. Eine Voraussetzung dafür sei jedoch, dass eine 50 Megabit-pro-Sekunde-Leitung verfügbar sei, teilte Glaser mit. Er sprach weiter das Stichwort Ladenöffnungszeiten an, aber in vielen Bundesländern seien das Ladenöffnungsgesetz sehr liberal. Nach den umfangreichen Ausführungen von Glaser gab es noch eine Diskussion. WW-Lab-Inhaber Lösch fragte nach, ob sich ein Geschäft ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln könnte. Diese seien nicht so austauschbar, antwortete Glaser und betonte: „Das ist einer unserer Vorteile.“ In den klassischen Läden sei ein Erfolg, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine persönliche Bindung an den Kunden hätten, verdeutlichte Glaser, der auch die Beratungsqualität als einen Kern herausschälte. Lösch erinnerte, dass „Betzdorf ein digitales Dorf“ sei. Die Stadt an Sieg und Heller habe ein eigenes Glasfasernetz. „Wir bemühen uns, eine Fläche an der B62 für Sie zu finden“, sagte Lösch zu Glaser gewandt und versicherte: „Wir tun alles.“ Auch Michael Becher, Wirtschaftsförderer der Verbandsgemeinde Betzdorf/Gebhardshain, wisse Bescheid. „Ich zähle da auf Sie, Herr Lösch“, war aus Künzelsau von dem für Niederlassungen zuständigen Prokurist Glaser zu hören.

Vom Berichterstatter nach der Diskussion angesprochen, antwortete Wirtschaftsförderer Becher: Er habe bereits direkten Kontakt mit dem Unternehmen Würth gehabt. Für eine Niederlassung werde eine 1a-Lage gesucht, an einer stark frequentierten Straße, wie zum Beispiel der B62, sagte Wirtschaftsförderer Becher. Derzeit sei jedoch keine Fläche frei, berichtete er und stellte heraus, dass das Unternehmen vom Breitbandnetz begeistert sei. Im Anschluss an die Live-Schaltung bestand beim Innovations-Talk weiter die Gelegenheit, sich mit dem Thema „Digitalisierung im Handel“ auszutauschen – denn wie hatte Lösch geäußert: „Digitalisierung ist ein Thema, dass uns alle angeht.“ (tt)
 
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