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Nachricht vom 08.11.2019
Region
Reliquien der eigenen Geschichte geben Sicherheit
Premiere für die feierliche Eröffnung der Mittwochsakademie der Universität Siegen: Erstmals fand diese in den neuen Räumen US-S im ehemaligen Bekleidungshaus Sauer am Obergraben in Siegen statt. Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich eingefunden, um den Semesterauftakt gemeinsam zu begehen und sich mit dem etwas außergewöhnlichen Thema „Pop“ zu beschäftigen.
Prorektorin Prof.in Dr. Petra Vogel bei der Eröffnung des Wintersemesters der Mittwochsakademie der Universität Siegen (Foto: Uni Siegen)Siegen. Zu Gast war Prof.in Dr. Petra Vogel, Prorektorin für Internationales und Lebenslanges Lernen, der auch das Haus der Wissenschaft Siegen zugeordnet ist. Die Prorektorin hatte frohe Kunde dabei: Den Mittwochsakademikerinnen und -akademikern ist es künftig ohne zusätzliche Kosten möglich, in Absprache mit den jeweiligen Uni-Dozentinnen und Dozenten auch die Möglichkeiten des Gasthörerstudiums ohne zusätzliche Kosten zu nutzen. Das kommt einer immensen Ausweitung möglicher Veranstaltungsbesuche an der Universität Siegen gleich. Zur Teilnahme am Gasthörerstudium durch Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mittwochsakademie ist ein Antrag auszufüllen und im Studierendensekretariat abzugeben.

Im spezifischen Programm der Mittwochsakademie wird auch im Wintersemester wieder ein breites Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen und Gegenstände berücksichtigt. Ein besonderer Hinweis galt einem Begleitseminar zu Forum Siegen von Prof. Dr. Gustav Bergmann „Erfundene Fakten, konstruierte Wirklichkeit: Wie können wir wissen, was wahr ist?“. Dieses Begleitseminar in der Mittwochsakademie startet am 21. November (donnerstags, 16 bis 18 Uhr, Bethausweg 2, Hammerhütte).

Prof. Dr. Stephan Habscheid als wissenschaftlicher Leiter der Mittwochsakademie führte in das Thema der feierlichen Eröffnung ein: Der Themenschwerpunkt „Popularität und Pop“, so Habscheid, sei komplementär zum aktuellen Semesterprogramm gedacht. Früher habe man sich für ein Interesse an Fantasy oder Pop rechtfertigen müssen. Fantasy und Pop hätten als minderwertig gegolten. Dass dem heute nicht mehr so ist, es gar ins Gegenteil geht, davon zeugten beispielhaft die Vorträge des Kunsthistorikers Prof. Dr. Joseph Imorde „Was erzählt Pop?“ und des Mediävisten/Germanisten Prof. Dr. Hans Rudolf Velten „Die Popularität der Fantasyliteratur und das Mittelalter“. Die Wissenschaftler gehören einer Forschergruppe an der Universität Siegen an, die sich unter der Leitung von Prof. Dr. Niels Werber und Prof. Dr. Jörg Döring mit Phänomenen von „Popularisierung, Pop und Populismus“ befasst. Diese Gruppe spricht von einer „Umkehrung der Beweislast“: „Als relevant gilt in der gegenwärtigen Gesellschaft das, was Aufmerksamkeit bekommt, was in Rankings und Ratings, Bestseller- und Hitlisten, Besucherzahlen und Internet-Gefolgschaften weit oben rangiert. Das wirkt sich auch auf die traditionelle Hochkultur aus: Nichts scheint unbedeutender als ein Theater, das niemand besucht, ein wissenschaftlicher Artikel, den keiner liest, ein Studienangebot, das resonanzlos verhallt.“ Auch in der Politik, die in der Demokratie auf Popularität schon immer angewiesen sei, gerieten Werteentscheidungen durch Strategien einer forcierten Popularisierung unter Druck.

Prof. Dr. Joseph Imorde hat seit 2008 die Professur für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Universität Siegen inne. Pop, so Imorde, erzählt von immer neuen Anläufen, das Vergangene mit dem Zukünftigen im besten Falle nachhaltig ins Verhältnis zu setzen. Erinnerungen seien das wertvollste Gut der Menschen. Um deren Verblassen entgegenzuwirken, bedürfe es handfester Beweise wie beispielsweise Fotos. Sie seien Dokumentationen häufig intimer Bereiche im Bemühen um Nachhaltigkeit. In den sozialen Netzwerken und Medien walte der Glaube an die Potenz persönlicher Historizität. Und naturgemäß neige das an diesem Punkt resistente menschliche Selbstempfinden dazu, sich hinein in die Banalität je eigener Geschichtsaneignung und Welterklärung zu verbreiten. Schrebergarten und Kleinbildkamera waren zu ihrer Zeit hegemoniale Normierungsversuche. Sie versprachen, im Kleinen inszenierter Privatsphären das in Ordnung zu bringen, was im Großen nicht zu erreichen war und an Welt und Geschichte unverstanden bleiben musste. Wichtige Momente, zum Beispiel familiäres Glück, wurden festgehalten, um Heimat zu finden, einen geschützten Raum zu haben. So finde sich Pop als konstante Kulturtechnik bei Jedermann. Die Reliquien der eigenen Geschichte schienen Schutz und Kontinuität zu geben.

Prof. Velten als Mediävist, der sich mit Sprache und Literatur des Mittelalters beschäftigt, fokussierte Tolkiens „Herr der Ringe“. Denn: Das Mittelalter erfreue sich beispielsweise in Gestalt von Mittelaltermärkten und Mittelalter-Romanen großer Beliebtheit. Die Renaissance des Mittelalters habe in der Romantik begonnen. Das Mittelalter, das früher als dunkle Zeit gegolten habe, sei wieder aufgewertet worden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Suche nach dem Ursprung einer nationalen Kultur. Das Mittelalter steht heute häufig für eine Handlungszeit, in der auch frühere Zeiten Raum finden können.

Der „Herr der Ringe“ steht mit rund 150 Millionen verkaufen Exemplaren auf Rang acht der Liste der meistverkauften Bücher. War der Publikumserfolg nach der Ersterscheinung 1954/55 so-wohl in England als auch in den USA mit bis zu 5000 verkauften Hardcover-Ausgaben stattlich, kam der breite Durchbruch durch eine unlizenzierte Taschenbuchveröffentlichung in den USA Mitte der 1960er Jahre. Noch populärer wurde der Inhalt durch die Verfilmung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Velten: „Die Popularität wächst mit dem medialen Wechsel.“ Die Vermarktung des Inhalts brachte u.a. auch Spiele hervor. Faszinierend war der „Herr der Ringe“ in den USA der 70er Jahren vor allem für eine Gegenkultur der “Hippies“ durch Anklänge an eine utopische Demokratie.

Sechs Gründe führte Velten aus seiner Sicht für die Popularität von Tolkiens „Herr der Ringe“ auf: ein fesselndes Handlungsgerüst mit Heldenreise, die Erschaffung einer fiktionalen Welt und eines Universums, Leser können in diese fiktionale Welt eintauchen, das Buch stellt einen Gegenentwurf zur realen und realistischen Literatur dar, es gibt klare moralische und ethische Grundsätze, es handelt sich um einen Inhalt, in dem die Schwachen eine besondere Rolle spielen.

Hinweis: Am 13. November stehen die Räume in US-S der Mittwochsakademie nicht zur Verfügung. Veranstaltungsort sind die Räume 204 und 120 im Lÿz an der St.-Johann-Straße in Siegen. (PM)
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