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Nachricht vom 29.08.2012    

Die Schweiz zum Vorbild nehmen?

Zahlreiche Gäste fanden sich anlässlich der Auftaktveranstaltung „Neue Strukturen braucht das Land. Vorbild Schweiz?“ zur Veranstaltungsreihe Marienthaler Forum, im Rahmen derer Themen aus Wirtschaft, Politik und Kultur kompakt und kompetent behandelt werden, im Kulturwerk in Wissen ein.

Ob die Schweiz ein Vorbild für Deutschland sein kann, darüber wurde im Kulturwerk referiert und diskutiert: Andi Gross, Schweizer Nationalrat und Mitglied des Europarates, Prof. Dr. Andreas Ladner, Universität Lausanne, Prof. Roland Vaupel, Universität Mannheim, und Veranstalter Ulrich P. Schmalz (von links). (Fotos: Bianca Klüser)

Wissen/Sieg. Über 100 Gäste durfte Ulrich P. Schmalz am Mittwochnachmittag zur Veranstaltung „Neue Strukturen braucht das Land. Vorbild Schweiz?“ im Kulturwerk in Wissen begrüßen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Marienthaler Forum sollen verschiedene Themen aus Wirtschaft, Politik und Kultur behandelt werden.

Im Rahmen der Auftaktveranstaltung hatten versierte Wissenschaftler und Praktiker aus der Schweiz und Deutschland den Weg ins Kulturwerk gefunden, um darüber zu referieren und zu diskutieren, inwieweit Deutschland von seinem kleinen Nachbarn lernen könne.

Veranstalter Ulrich P. Schmalz begrüßte alle Anwesenden und hieß diese herzlich im Kulturwerk in Wissen willkommen. Der Tag solle dazu dienen, so Schmalz in seiner Eröffnungsrede, Neues aufzubauen, nicht Altes zu zerstören. Dank gelte in diesem Zusammenhang auch den Sponsoren, von denen einige diesen Veranstaltungen schon lange die Treue gehalten haben. „Jetzt freue ich mich sehr, dass so viele Bürger den Weg hierher gefunden haben“, so Schmalz und erklärte weiter, dass es für den Erfolg ausschlaggebend sei, sich in ein Thema zu verrennen. Betrachte man Deutschland und die Schweiz, so sei ein gravierender Mentalitätsunterschied festzustellen. Während die Schweiz den Unterschied toleriere, könne man in Deutschland von einer Obsession von Gleichheit sprechen. Es gelte der Frage nachzugehen, ob es eine nachvollziehbare Alternative zum deutschen System gebe. Die Ergebnisse müssen als Anregungen für die Politik transportiert werden. „Machen wir doch heute einen kleinen Anfang“, so Schmalz und übergab das Wort an den ersten Referenten.

Sogleich begann Prof. Dr. Andreas Ladner, Universität Lausanne, seinen Vortrag zum Thema „Föderalismus und Gemeindeautonomie in der Schweiz: Selbstbestimmung, Wettbewerb und Solidarität“. Dabei stellte er zu Beginn zunächst die Entwicklungsgeschichte der Schweiz dar, um ganz nach dem Prinzip „past dependency“ zu verdeutlichen, woher das Land kommt. So sei in diesem Zusammenhang die Zeit der „Helvetischen Republik“ zu nennen, in der nach Besetzung der Schweiz durch die napoleonischen Truppen eine Zusammenlegung der Kantone stattgefunden habe. Es sei der Gedanke zu Gründung eines Nationalstaates entstanden, der von manchen Kantonen, die ihre Unabhängigkeit und Autonomie bewahren wollten, abgelehnt worden sei. Dies habe zum Sonderbundkrieg geführt. „Der Weg war frei für die Bildung eines Nationalstaates“, so Ladner über das Ergebnis. Der 1848 begründete Bundesrat habe, ebenso wie der heutige, aus sieben Personen bestanden. Dabei seien stark eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten des Bundes prägend gewesen, da es beispielsweise zur Kompetenzausweitung der Zustimmung von Volk und Ständen bedurfte. Zahlreiche Modernisierungsvorschläge seien abgelehnt worden. Bis zum heutigen Tage, so Ladner weiter, habe sich die Anzahl der Kantone und Gemeinden, die heute 26 bzw. 2485 betrage, kaum verändert. Es gebe zahlreiche Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen, mit denen Identifikationsmöglichkeiten für jeden einzelnen einhergehen. Man müsse sich die Frage stellen, inwieweit man dazu bereit ist, Diversität zu akzeptieren. Es bestünden mit Blick auf die Steuerbelastung der Kantone große Unterschiede, die durch eine neuen Finanzausgleich zu regeln versucht werde. Ziel sei dabei, die Modernisierung und Stärkung des Föderalismus und damit verbunden das Anhalten zum haushälterischen Umgang mit Ressourcen sowie die Steigerung der Wirksamkeit des Ausgleichsystems. Der neue Finanzausgleich solle auf Basis des Ressourcenpotenzials schwache Kantone unterstützen, so Ladner und wandte im Anschluss den Blick auf die Gemeinden. Diese seien in der Schweiz überwiegend klein, etwa 50 Prozent unter 1000 Einwohner groß. Dabei sei ein leichter Rückgang der Gemeindezahlen zu verzeichnen. Die Finanzautonomie sei ungemein wichtig für die Gemeinden. Ein 80jähriger Schweizer habe in seinen 60 politisch aktiven Jahren rund 1500 politische Entscheidung auf allen drei Ebenen zu treffen. Dies sei eine ganze Menge. Abschließend sei daher anzumerken, dass die direkte Demokratie einerseits einen Vorteil darstelle, die Politik aber nicht immer einfacher mache, sondern Verzögerungen sowie unliebsame Entscheidungen mit sich bringe. Es müsse die Bereitschaft gegeben sein, Niederlagen zu akzeptieren. Zudem dürfe man nicht nur auf den eigenen Nutzen bedacht sein. „Man muss an die anderen auch denken“, so Ladner abschließend.



Es folgte der Vortrag von Andi Gross, Schweizer Nationalrat und Mitglied des Europarates, zum Thema „Direkte Demokratie – gelebte Schweizer Praxis, Lösungsmittel für deutsche Probleme?“. „Jedes Land hat einen Reichtum, der inspirierend sein könnte für andere“, so Gross und verwies darauf, dass die Schweiz die Macht geteilt habe. Man verfüge über die Kunst, Vielfalt zu integrieren, ohne diese zu zerstören. Es bestehe ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie in Deutschland und der Schweiz. Dabei sei letzterem das „republikanische Verständnis“ als Ergebnis der amerikanischen und französischen Revolution zugrunde zu legen. Man müsse miteinander das gemeinsame Leben gestalten. Da die Form der ausgeübten Demokratie in mancherlei Hinsicht unzureichend sei, spreche man oftmals von einer Krise der Demokratie, beispielsweise im Hinblick auf die faire Verteilung von Lebenschancen. Große Defizite seien dabei die Tatsache, dass die Demokratie repräsentativ beschränkt sei und immer mehr exekutiv dominiert werde sowie das Erfordernis einen noch nicht gegebenen transnationalen Verfassung. „Wir brauchen heute um der Demokratie Willen eine europäische Verfassung“, so Gross. Man müsse eine Einheit schaffen, ohne Vielfalt zu zerstören. Mit Blick auf den Beginn der Schweizer Demokratie sei anzumerken, dass die ihre Existenz Europa verdient und die direkte Demokratie als Errungenschaft der Opposition angesehen werden müsse. Kernpunkt sei dabei die zentrale Möglichkeit, Menschen regelmäßig an politischen Entscheidungen teilhaben zu lassen. „Die Seele der direkten Demokratie ist die öffentliche Diskussion“, so Gross. Es steigere die Legitimität Betroffene in Entscheidungen miteinzubeziehen, da damit eine Minimierung der Distanz zwischen Politik und Bürgern einhergehe. Dabei sei Verständlichkeit die Voraussetzung für Zustimmung. Das System sei offener, da es auch denen, die nicht im Parlament sind, eine Stimme gebe und mehr Menschen an der politischen Diskussion beteilige. Dies führe seitens der Bürgerinnen und Bürger zu einem anderen Selbstbewusstsein. Man müsse der Diskussion jedoch die nötige Zeit lassen, da es keine „Fast Food“ der Demokratie gebe. Eventuell stelle man sich die Frage, ob Deutschland oder gar Europa zu groß für die direkte Demokratie seien. Jedoch seien es kulturelle und nicht geographische Grundlagen, die dafür ausschlaggebend seien. „Demokratie heißt, dass jeder Mensch in die Entscheidungsfindung einbezogen wird“, so Gross. In einem Punkt jedoch hinke die Schweiz etwa Deutschland hinterher. „Direkte Demokratie ist mehr als Tyrannei der Mehrheit“, so Gross und verwies darauf, dass in Sachen Grund- und Minderheitsrechte in der Schweiz noch keine klaren Linien gezogen worden seien.

Den dritten Vortrag zum Thema „Bei welchen Fragen sind Volksabstimmungen sinnvoll?“ referierte Prof. Roland Vaupel, Universität Mannheim. Die repräsentative Demokratie, so Vaupel, habe den Vorteil, dass sie den Abgeordneten einen stärkeren Anreiz gebe, sich zu informieren, wohingegen der Bürger nur die für ihn persönlich als wichtig erachtete Informationen aufnehme. Der Wähler habe das Interesse Entscheidungen an kleinere Gruppen, beispielsweise ein Parlament, zu delegieren. In manchen Fällen sei diese Aufgabe der Repräsentation jedoch unzureichend, da der Beauftragte nicht tue, was der Bürger will. Im Zusammenhang damit seien etwa die Politikerfinanzierung oder der öffentliche Dienst zu nennen. Es sei nicht ausschlaggebend, dass der Politiker am besten informiert ist. „Wichtiger ist, dass die Anreize stimmen“, so Vaupel. In Deutschland sei es die CDU, die als einzige Partei Volksabstimmungen ablehne. Das Grundgesetz verlange in Artikel 20 aber nach Ergänzungen durch eben diese.

Nach einer kurzen Pause wurde dann in die Podiumsdiskussion gestartet, im Rahmen derer praktische Fragen auch auf Regional- oder Gemeindeebene debattiert werden sollten. Daran nahmen als Experten neben den beiden zuvor gehörten Referenten, Andi Gross und Prof. Dr. Andreas Ladner, auch Hans Arthur Bauckhage, Staatsminister a. D., Heijo Höfer, Bürgermeister der Stadt und Verbandsgemeinde Altenkirchen, Hans Theo Macke, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Zentralbank AG und Aloysius Söhngen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm, teil.

Im Anschluss waren alle Anwesenden eingeladen, bei bestem Wein und Leckereien noch einige Zeit zu verweilen und diese zum Austausch zu nutzen. (bk)


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