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Nachricht vom 12.09.2015    

Bio bitte, aber billig: Moderne Landwirtschaft im Spannungsfeld

Am Freitag, 11. September fand zum dritten Mal das “Forum Entwicklung ländlicher Raum” im Kreis Altenkirchen statt. Diesmal lud die Friedrich-Ebert-Stiftung hochrangige Vertreter der (Land-)Wirtschaft, Verbände, Politik und Wissenschaft zur offenen Diskussion in das Raiffeisen-Begegnungszentrum nach Weyerbusch ein. Dabei ging es auch um die Marktmacht der Konzerne, den Zwiespalt in der sich die Landwirte befinden und das Verbraucherverhalten.

Auf dem Podium wurde unter der Moderation von MdL Thorsten Wehner (3. von rechts) zum Thema Zukunft der Landwirtschaft diskutiert. Foto: Katrin Bosch

Weyerbusch. Zahlreiche Besucher, darunter auch Landwirte aus der Region, fanden sich beim dritten “Forum Entwicklung ländlicher Raum” der Friedrich-Ebert-Stiftung im Raiffeisen-Begegnungszentrum am Freitag, 11. September ein. Das Regionalbüro Mainz der Stiftung, veranstaltete eine offene Diskursrunde mit interessanten Vorträgen hochrangiger Fachleute aus Politik und Wirtschaft.

Unter der Leitung des örtlichen SPD-Landtagsabgeordneten Thorsten Wehner, wurden in zwei Diskussionsrunden die Themen der gesellschaftlichen und ökonomischen Ansprüche an die Landwirtschaft, sowie die Bedeutung des Pflanzenschutzes für die Ernährungssicherheit debattiert.

“Ich bin kein Landwirtschaftspolitiker”, mit diesem Bekenntnis eröffnete Alexander Schweitzer, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz, sein Impulsreferat zur Bedeutung der Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz. Wie kein anderes Land verfüge das Bundesland über eine einzigartige landwirtschaftliche Struktur und verschiedene Kulturlandschaften. Gerade der Westerwald sei eine landwirtschaftlich starke Region mit einer Vielfalt an Erzeugnissen. Vor allem weist die Region eine Ertragsstärke auf, die nur durch eine nachhaltige Landwirtschaft der verbundenen Landwirte auch in Zukunft möglich ist.

Jedoch herrsche noch immer ein zu pittoreskes Bild der Landwirtschaft innerhalb der Gesellschaft, was vor allem durch die Werbung produziert und verbreitet würde. Dieses Bild entspreche nicht der Realität. “Fleisch oder der Käse kommt eben nicht aus dem Regal, es muss erst einmal produziert werden”, so der ehemalige Weinbau-Staatssekretär. Die konsequente Ausblendung der Fleischproduktion sei heutzutage gerade in Deutschland ein häufig auftretendes Phänomen, aber es gehört nun mal zur Realität. Eine klare und unverfälschte Darstellung durch die Werbung der Konzerne seien hier unbedingt notwendig um nachhaltige Veränderungen zu schaffen. Dem Verbraucher werde mit der friedlich grasenden Kuh auf der Milchpackung ein irreführender Schwindel untergejubelt.

Dem vorherrschenden “Bio-Boom” steht man grundsätzlich positiv gegenüber: “Die wachsende Nachfrage kann vor allem für den ländlichen Raum eine enorme wirtschaftliche Chance sein”, unterstreicht Schweitzer. Denn bekanntlich erhält man Produkte mit bester Bio-Qualität bei unseren regionalen Betrieben oder Höfen vor Ort. Wohingegen “Bio-Labels” in Supermärkten häufig irreführend seien. Eine Kiwi-Frucht besiegelt mit “Bio-Qualität”, die aber aus Neuseeland eingeführt wurde hinterlässt einen sehr großen “ecological footprint” und ist demnach alles andere als ökologisch nachhaltig. Hier gilt es einen Schulterschluss von Landwirtschaft und Politik zu unterstützen und weitreichende finanzielle Förderungen im Agrarbereich anzustreben. Des Weiteren sieht man die Globalisierung und den vorherrschenden Klimawandel mit seinen extremen Wetterlagen als die zwei größten zukünftigen Herausforderungen im landwirtschaftlichen Bereich.

Auch Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Präsident des Johann Heinrich von Tühnen-Instituts, beurteilt die allgemeine Lage der Nutztierhaltung eher mit Skepsis: “Die Wahrnehmung der Nutztierhaltung ist tatsächlich ein schwerwiegender Konflikt”, die Situation der betroffenen Landwirte sei besorgniserregend, da sie prinzipiell im Konflikt zwischen Weltmarkt und gesellschaftlichem Wertewandel stehen. Bisher haben Bio-Produkte nur einen begrenzten Marktanteil, die Masse jedoch bleibe billig. Um gesellschaftlich gewünschte Produktionsmethoden einzuführen die auch für das Tier gut sind, müssen finanzielle Mittel aufgebracht und in die Hand genommen werden. Das kapitalistische System stelle eine der größten Herausforderungen in diesem Kontext dar.

Als einen möglichen Lösungsvorschlag bringt Prof. Dr.Isemeyer das staatlich-kontrollierte Produktherkunftsiegel an, welches dem Endverbraucher bereits von den Eierverpackungen bekannt ist. Durch dieses zwingende Gütesiegel wären die Großkonzerne einem wachsenden Druck ausgesetzt und würden mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch ganz eigenständig veränderte Nutztierhaltungsbedingungen einführen. Das stetig wachsende ökologisch bewusste Kaufverhalten des Endverbauchers sei nicht zu unterschätzen.



Jedoch sieht Prof. Dr. Isemeyer einen gesellschaftlichen Konflikt der unaufhörlich weiterwächst: Realität versus gesellschaftlicher Erwartungen. Am aktuellen Beispiel des Westerwälder Landschweins werde dieser Konflikt sehr schön dargestellt. Man fordere eine faire Nutztierhaltung mit freilebenden Tieren, wird dies dann in die Realität umgesetzt stinkt es dem Verbraucher dann plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Himmel und es wird lautstark protestiert. Generell bestehe ein großer Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung bezüglich der Nutztierhaltung in Deutschland, auch im Bundesland Rheinland-Pfalz. Kritik wurde hier wieder an die Medien gerichtet, da diese durch die Darstellung realitätsferner Bilder erheblich zur Willensbildung der Gesellschaft beitragen würden.

Udo Folgart, Vizepräsident des deutschen Bauernverbandes, plädiert im selben Kontext für eine ausgewogene und faire Berichterstattung seitens der Medien, denn Bilder setzen Bilder. “Man muss das, was gut läuft genauso zeigen und nicht nur die verletzten Tiere”, so der Vizepräsident. In Zukunft werden die Übergänge vom regionalen Markt zum Weltmarkt hin fließend sein, und dass diese Märkte erst einmal begriffen werden müssen, sei eine wichtige Botschaft an die junge Generation in der heutigen Landwirtschaft. Die gesellschaftliche Akzeptanz und die Achtung den Landwirten gegenüber sei erst jetzt auf einem guten Weg. Das Milchproblem sei die erste Produktgruppe gewesen, die es tatsächlich in die Medien geschafft habe. Generell sei Hilfe für die Landwirte notwendig und fordere ein Entlastungsprogramm welches die Liquidität im Betrieb sichert, wie etwa Bürgschafts- oder Kreditprogramme.

Das Schlussplädoyer in der Podiumsdiskussion bestritt Michael Horper, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau e.V.. Er fordert mehr finanzielle Unterstützung im Bereich der Tierhaltung, da diese bei der landwirtschaftlichen Förderung völlig unbeachtet bleiben würde. Ökonomie und Tierhaltung müssen zusammen einhergehen. Wenn man den Ansprüchen der Gesellschaft gerecht werden wolle, so seien die Landwirte mitzuberücksichtigen. Dies gelte auch für den Bereich der Landespflege und Naturschutz. Mittlerweile seien nur noch 20 Prozent der Flächen nicht mit staatlichen Auflagen versehen.

Als Fazit sei demnach ein Umdenken und eventueller Systemwechsel nötig, der die Förderung der regionalen Landwirtschaft nicht nur verspricht, sondern auch einhält. Mediendarstellungen verzerrten oftmals die realistische Wahrheit und erzeugten schließlich falsche Bilder, und auch wenn die Bevölkerung sich dessen subtil bewusst sei, erfolge noch keine bewusste Umgangsform in Sachen Produktwahl. Eine landesweite Aufklärung und realistische Darstellung der landwirtschaftlichen Lage, wie die Nutztierhaltung oder der Pflanzenschutz, wäre nicht nur in Deutschland längst notwendig. Eine Umwandlung im System findet meist erst dann statt, wenn der Mensch sich selbst sowie seinen Handlungen bewusst wird, und diese Veränderung in seinem Verhalten integriert. Letztendlich ist und bleibt das System der Spiegel des eigenen Konsumverhaltens.

Im weiteren Verlauf der Tagung ging es um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Durchaus ein kontroverses Thema, denn auch hier gibt es das Spannungsfeld zwischen Ertragssteigerung und dem Wunsch der Verbraucher nach gesunder und rückstandsfreier Nahrung. (Katrin Bosch)


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