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Nachricht vom 18.03.2021    

Landrat Enders: Wortwahl in Beschwerden teilweise menschenverachtend, unverschämt und dreist

Die Nerven des Volkes liegen allmählich blank: Die Einschränkungen, die die Corona-Pandemie grundsätzlich fordert, zeitigen deutliche Wirkungen. Kommt noch eine Allgemeinverfügung mit weiteren restriktiven Maßnahmen hinzu, wie sie derzeit im Kreis Altenkirchen gelten müssen, werden Sündenböcke für den zusätzlichen und unpopulären Schritt gesucht und gefunden.

Sachliche Kritik wird beantwortet, unsachliche nicht: Diesen Weg verfolgt Landrat Dr. Peter Enders, wenn es um Beschwerden über den Erlass der Allgemeinverfügung geht. (Foto: Archiv AK-Kurier)

Kreis Altenkirchen. Ein Jahr Pandemie - ein Jahr mehr oder minder große Einschränkungen: Viele Menschen können und wollen das derzeit wohl am meisten ausgesprochene und gleichzeitig top-gehasste Wort, das mit einem großen "C" beginnt, nicht mehr hören. Die Restriktionen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie stoßen bei Bürgern auf immer weniger Gegenliebe; erst recht dann, wenn sie wegen hoher Inzidenz-Werte noch gravierender ausfallen müssen. Die Konsequenz: Die Suche nach einem Sündenbock beginnt und wird fix beendet, weil das Resultat schnell feststeht: Landrat Dr. Peter Enders trägt für einige die Schuld an den ausgeweiteten Vorkehrungen, dem Virus noch intensiver die Stirn zu bieten. So berichtet der Chef des Kreises in einem Exklusiv-Interview mit dem AK-Kurier über Beschimpfungen, die per Mail und Telefon eingehen oder in sozialen Medien ihren unaufhaltsamen "Siegeszug" antreten. Und die Ausdrucksweise, die gewählt wird, verlässt bisweilen jegliche Bahn des guten menschlichen Miteinanders. Das Gespräch im Wortlaut:

Gibt es viele negative Reaktionen als Folge auf den Erlass der Allgemeinverfügung?
Die Allgemeinverfügung ist vom Land so festgelegt worden, dass sie lokal vor Ort in Kraft treten muss, wenn besondere Bedingungen vorliegen wie beispielsweise im Kreis Altenkirchen. Rein rechtlich muss sie der Kreis umsetzen. Es ist nicht so, dass wir uns ausdenken, wie wir Bevölkerung und Unternehmen gängeln können, sondern die Maßnahmen werden im Einvernehmen mit dem Land und aufgrund der Corona-Bekämpfungsverordnung erlassen. Das Land gibt die Regelungen vor und erwartet, dass wir mitziehen. Wenn ich mich weigern würde, würde das Land eine Anweisung aussprechen. Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen die Regeln, die teilweise schwer zu lesen und unverständlich sind, nicht verstehen. Es ist Bürokraten-Deutsch. Wir haben immer wieder den Konflikt zwischen dem Gesundheitsschutz auf der einen Seite und möglichen Schäden in der Wirtschaft auf der anderen Seite, die wir abwägen müssen. Das ist immer ein großer Konflikt. Ich habe Verständnis dafür, dass Bürger das kritisch hinterfragen. Ich habe Verständnis dafür, dass Bürger damit nicht einverstanden sind. Aber die Wortwahl, die teilweise an den Tag gelegt wird, ist menschenverachtend, unverschämt, dreist. Sie hat teilweise strafrechtliche Relevanz. Das kann ich nicht akzeptieren. Politik und Verwaltung sind kein Freiwild, das man einfach so beschimpfen darf.

Sprechen Sie nur über sich oder beziehen Sie auch Ihre Mitarbeiter mit ein?
Ich spreche auch von den Mitarbeitern, natürlich. Vielfach rufen die Bürger hier an, wenn ihnen was nicht passt, wenn sie beispielsweise keinen Termin im Impfzentrum erhalten. Persönlich werde ich dafür bezahlt, dass ich viel aushalte. Ich bin Behördenleiter. Was mich ärgert ist, dass Menschen sich teilweise der Fäkalsprache bedienen. Sachlich formulierte Kritik kann man äußern. Die Bürger müssen sich aber auch hinterfragen, warum solche Maßnahmen ergriffen werden. Die gesamte Situation, und das gebe ich zu, ist sehr komplex. Hin und wieder entstehen auch Abstimmungsprobleme. Derjenige, der Kritik äußert, weiß nicht, wie schwierig das Handling ist. Sachliche Kritik wird zeitnah, unsachliche nicht beantwortet. Es beschweren sich mündige Bürger, die wollen, dass der Staat alles für sie regelt, sie wollen aber auch maximale Freiheit haben. Das funktioniert nicht, das ist die Quadratur des Kreises.

Alles schien in Ordnung: Im Kreis gab es über viele Wochen hinweg mit niedrigen Inzidenzen kaum Anlass zur Sorge ...
Wir hatten im Kreis Altenkirchen eine Situation, in der wir bei den Inzidenz-Werten gut da standen. Die Inzidenz aber sagt für sich alleine gestellt nicht viel aus. Die aktuell vergleichsweise hohen Inzidenzen können nicht irgendwelchen Hot-Spots zugeordnet werden. Es gibt kleinere Herde, aber keine großen, das Infektionsgeschehen ist diffus und vielfach kleinteilig. Das Durchschnittsalter der Erkrankten liegt bei 40 Jahren mit einer Krankenhausquote um die 30 Patienten, ist also relativ stabil. Wir haben derzeit anscheinend eine höhere Infektiosität, ohne dass die Menschen kränker werden. Das kann nur damit zusammenhängen, dass die Mutation infektiöser ist. Immer weniger ältere Leute sind betroffen. Sie sind zum großen Teil geimpft. Wir haben kaum noch Probleme in Alten- und Pflegeheimen. Aber: Es macht uns Sorgen, dass sich einige nicht an Vorgaben halten, die Corona zu locker nehmen, nach meinem Eindruck besonderes eben im privaten Bereich. Beispielsweise hat die Polizei im Altenkirchener Parc de Tarbes abends dieser Tage einige Leute angetroffen. Es gibt bestimmte Orte, die Treffpunkte geworden sind. Und einer dieser Treffpunkte in jedem größeren Ort reicht schon für eine intensivere Verbreitung des Virus aus.



Hat der Kreis die Maßnahmen, die in der Allgemeinverfügung niederlegt sind, vorgeschrieben?
Die Vorschläge, die wir umsetzen sollten wie Maskenpflicht in Fußgängerzonen oder Ausgangsbeschränkungen, kamen alle von der Landesregierung. Es geht nicht um die 95 Prozent der Menschen, die sich korrekt verhalten, sondern um die restlichen 5 Prozent, die sich nicht korrekt verhalten. Die Ausgangssperre soll abends solche Ansammlungen, wie eben geschildert, verhindern. Das trifft immer auch Menschen, die sich an die Regeln halten. Es ist eine Gratwanderung. Wer sagt. „Ihr macht zu viel“, muss die Gegenfrage beantworten: „Was würdet Ihr machen?" Dann kommt meistens keine Antwort. Wenn man zu wenig macht, dann kommen Vorschläge. Wir laufen der Pandemie immer hinterher. Die Alternative wäre, nichts zu tun. Durch die neuen Testzentren, die Sinn machen, werden die Inzidenzen im Zweifelsfall steigen, weil Menschen auffallen, die völlig asymptomatisch sind, dann schnell in Quarantäne geschickt werden und niemanden mehr anstecken können. Wir müssen uns irgendwann von den Inzidenzen als Richtmarke verabschieden. Entscheidend ist: Wie ist die lokale Krankenhausstruktur? Ist sie überlastet? Wie viele Patienten sind intensivpflichtig? Sind die positiv getesteten Menschen wirklich krank, wie alt sind sie? Das sind die entscheidenden Kriterien. Wir lösen die Situation durch noch mehr und noch schnelleres Impfen. Dazu bekommen wir jetzt vom Land Unterstützung durch zusätzlichen Impfstoff, der durch Hausärzte verimpft wird. Je schneller wir durchgeimpft sind, desto früher reden wir über Normalität.

Haben Sie auch Drohungen erhalten?
Es blieb bislang bei verbalen Beschimpfungen. Zahlenmäßig kann ich keine Angaben mehr machen, da ich mich inzwischen aus Facebook verabschiedet habe. Ich hatte keine Lust mehr, mir abends nach Dienstschluss noch so etwas Unnötiges anzutun. Ich lasse das nicht an mich herankommen. Es waren jeden Tag eine Handvoll Leute, die sprachlich völlig inadäquat damit umgegangen sind. Man kann etwas kritisieren. Es ist niemandem mit Fäkalsprache und wüsten Beschimpfungen gedient. Auch per Mail und per Telefon erhalten wir massive Kritik. Hier in unseren Büros ist noch niemand vorstellig geworden. Das bedingt wahrscheinlich auch die Einlasskontrolle. Mich befremdet, mit welcher Unsachlichkeit uns unterstellt wird, dass wir die Menschen gängeln wollen. Da haben sich Epidemiologen und Fachleute Gedanken gemacht. Ich muss immer wieder fragen: Was wäre die Alternative, wenn wir nichts machen würden? Die Masse, die schweigende Mehrheit der Kreisbevölkerung, hat aber offensichtlich Verständnis.

Ist ein Grund für die verbalen Attacken auch die inzwischen weit verbreitete Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung?
Ja, ich glaube schon. Aufgrund der guten Zahlen, die wir hatten, ist die Gefahr sehr groß, dass Menschen, die schon sehr viele Monate die Situation aushalten müssen, eine Art Lagerkoller bekommen. Dafür habe ich Verständnis, viele Familien sind am Limit. Ich halte inzwischen schon so einiges aus. Der Staat versucht doch nicht, die Menschen zu knechten. Wir suchen nach einem guten Weg, aus der Krise rauszukommen. Die Impfverweigerer haben immer noch nicht gemerkt, wo der Hammer hängt. Corona wird uns noch die nächsten Jahre begleiten. Wenn wir keine hohe Durchseuchung beziehungsweise Immunität haben, wird das Problem auch nicht gelöst sein. Corona verweigern ist genauso falsch wie das Übertreiben. Ich persönlich vertrete die Auffassung, man könnte den bundesweiten Shutdown beenden, der Gruppe der Über-70-Jährigen und Risikogruppen, soweit sie nicht geimpft sind, freiwillige Absonderung empfehlen und immer breiter testen und impfen unter Beteiligung der Hausärzte. Das würde vielen Familien und Unternehmen Luft verschaffen. In der Regel ist die Erkrankung für Unter-70-Jährige kein großes Problem. Das durchschnittliche Sterbealter liegt bei 84 Jahren und damit deutlich über dem Durchschnittsalter eines Deutschen. Die Übersterblichkeit ist überschaubar, teilweise gar nicht darstellbar. (vh)



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