Altenkirchener Afghanistan-Stiftung leidet unter Preisexplosion im Land am Hindukusch
Für wenige Wochen im August und September bestimmten die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der desolate Abzug der Alliierten die Schlagzeilen. Längst haben die Nachrichtenmacher kaum noch Interesse am Geschehen im Land am Hindukusch. Die Not der Menschen aber ist geblieben - eher noch größer geworden.
Altenkirchen. Es ist ruhig geworden um Afghanistan. Hin und wieder taucht in Nachrichtenkanälen eine Meldung aus dem asiatischen Land auf, im Großen und Ganzen hat die internationale Staatengemeinschaft aber ihr Interesse an dem Geschehen in der Region des Mittleren Ostens nach Abzug der Alliierten und Machtübernahme der Taliban verloren. Was geblieben ist, ist die Not der Bevölkerung, die angesichts des bevorstehenden strengen Winters mit unerträglicher Kälte noch größer zu werden droht. „Derzeit werden Hunderte von Menschen durch barbarische Angriffe der Taliban enteignet und aus ihren Städten und Dörfern vertrieben“, berichten Dr. Akbar (74) und Sima Ayas (69) als Gründer der Stiftung „Nothilfe für afghanische Kinder" aus Altenkirchen. In der Hoffnung, sich und ihre Familien retten zu können, flüchteten sie ins Binnenland. „Dort haben die Menschen kein Dach über dem Kopf und nichts zu essen, von den hygienischen Zuständen ganz zu schweigen“, ergänzt Akbar Ayas.
Unterstützung nicht gekappt
Die erste Befürchtung, dass die Taliban die Unterstützung aus Deutschland kappen könnten, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Der Kontakt zum Mitarbeiter der Stiftung in der Hauptstadt Kabul, in der inzwischen rund sechs Millionen Menschen teils in Parks und in Zelten leben, ist intakt, 10.000 Euro wurden für die „Winterhilfe“, die seit 2008 geleistet wird, in diesen Tagen überwiesen. Mit dem Geld werden Nahrungsmittel, Kleidung, Decken und Kohle gekauft. Dank des Engagements eines im Iran ansässigen afghanischen Geschäftsmannes konnte das Abheben des kompletten Betrags erreicht werden, denn derzeit dürfen die Banken vor Ort pro Kunde und Woche nur 200 US-Dollar auszahlen. Erschwerend kommt eine enorme Preissteigerung hinzu. „Hat ein Sack Mehl mit 50 Kilogramm früher einmal unter zehn Euro gekostet, liegt er inzwischen bei über 22 Euro“, erläutert Sima Ayas. Vor diesem Hintergrund sollen bald weitere „30.000 bis 40.000 Euro“ zur Verfügung gestellt werden.
Immer up to date
Trotz Taliban-Herrschaft sind die sozialen Medien nicht von der Bildfläche verschwunden, lediglich die Zahl der TV-Sender wurde erheblich reduziert. Dank Internet, WhatsApp und Co. ist das Ehepaar Ayas immer up to date, wie es um ihre Projekte bestellt ist. So arbeitet beispielsweise eine Tagesklinik in Barikau, 2015 gebaut und 50 Kilometer nordwestlich von Kabul gelegen, mit ihren drei Ärzten, einer Hebamme und einem Apotheker, der für die kostenfreie Abgabe von Medikamenten sorgt, normal. Auch die vier Nähstuben (zwei in eigenen, zwei in angemieteten Gebäuden), in denen jeweils 25 bis 30 Frauen dieses Handwerk lernen können, sehen sich keinen Einschränkungen gegenüber. „Ziel ist es, dass sich die Menschen selbst versorgen, Hilfe zur Selbsthilfe also“, sagt Akbar Ayas, „man bekommt an Material alles, aber alles ist viel teurer geworden.“
31 Menschen „gefährdet“
Der Dienst an ihren Mitmenschen hat für Akbar und Sima Ayas aber auch eine Kehrseite. Sie stufen 31 Mitarbeiter der Stiftung und deren Familien als „gefährdet“ ein, für die deswegen Anträge auf Ausreise gestellt wurden. Die Tatsache, dass in 29 von 35 Provinzen Mädchen die Schule nur noch bis zur sechsten Klasse besuchen dürften, „die Frauenrechte grundsätzlich immer weniger beachtet werden“, macht das Ehepaar zudem sehr betroffen. Ihnen fehlen die Worte, wenn sie in Videosequenzen sehen, wie die Taliban Menschen mit Folter quälen und schließlich erschießen. Dennoch ist für Akbar und Sima Ayas klar: „Politisch werden wir keine Aktivitäten entwickeln. Wir werden uns weiterhin für humanitäre Hilfe und für Bildung einsetzen.“
Land ist „verloren gegangen“
Für die Zukunft ihres Geburtslandes sehen die Ayas schwarz. „Afghanistan ist verloren gegangen“, vermuten sie, es werde wohl ein Spielball der Großmächte bleiben, und es könne gut sein, dass nunmehr Russland oder China versuchen würden, mehr Einfluss auszuüben. Ebenfalls halte sich das Gerücht, dass die USA wieder eingreifen würden. „Es ist schwer zu beurteilen, wie weit das Land noch zurückgeworfen wird“, fügt Sima Ayas an, „in Afghanistan sind zurzeit Diktatoren an der Macht, die nicht regieren können.“ Dennoch hänge ihr Herz an diesem Land, in das ihr Mann und sie gerne wieder reisen würden, um sich an Ort und Stelle über ihre Hilfe zu informieren. Zum vorerst letzten Mal waren Akbar und Sima Ayas im Februar des vergangenen Jahres in Afghanistan. Ein für Juni 2020 geplanter Trip, in dessen Verlauf auch der Grundstein für eine weitere Schule gelegt werden sollte, fiel der Corona-Pandemie zum Opfer.
Stiftung im Jahr 2004 gegründet
Akbar und Sima Ayas sind immer dankbar, dass das notwendige Geld für die Unterstützung regelmäßig zusammenkommt. 50 Prozent werden im Westerwald generiert. Indirekt ist das Paar, das 1974 in Kabul den Bund fürs Leben einging, schon seit 1978 aktiv. Afghanische Flüchtlinge in Pakistan wurden seinerzeit mit Medikamenten versorgt. Die Stiftung ging im Jahr 2004 an den Start, dem Jahr, in dem Akbar Ayas seine eigene Praxis, in der er als Unfall- und D(urchgangs)-Arzt in Altenkirchen und an der Seite seiner Frau (Krankenschwester und medizinisch-technische Assistentin) seit 1986 gearbeitet hatte, aufgab und verkaufte. Die Eheleute, beide in Kabul geboren, waren 1975 in die Bundesrepublik gekommen, damit Akbar Ayas seine Ausbildung zum Facharzt beginnen konnte. Eine Rückkehr kam nicht mehr in Betracht, da Truppen der Sowjetunion einmarschiert waren. Für die ehrenamtliche Tätigkeit war bereits 2003 die Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz verliehen worden.
Kindern medizinische Behandlung ermöglicht
Waren Kindern zunächst medizinische Behandlungen bei Fachärzten auch jenseits der afghanischen Landesgrenzen ermöglicht worden, machten sich Akbar und Sima Ayas alsbald daran, handfeste Maßnahmen der Infrastruktur zu realisieren. Es entstand ein Kinderheim für 100 Mädchen (mit der Möglichkeit, Abitur zu machen), eine Grundschule und ein Gymnasium, die vier Nähstuben für Frauen, die Tagesklinik, in der auch ambulant entbunden werden kann, sowie Brunnen, um die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Alle Projekte spielen sich in einem Umkreis von bis zu 80 Kilometern um die Hauptstadt Kabul herum ab. (vh)
Mehr unter www.ayas-stiftung.de; E-Mail ayas-stiftung@t-online.de; Spendenkonto bei der Westerwald Bank IBAN DE85 5739 1800 0017 2106 02, BIC GENODE51WW1
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