Altenkirchen setzt deutliches Zeichen gegen die „Montagsspaziergänger“
Es werden immer mehr Menschen, die quer durch die Republik den „Montagsspaziergängern“ contra geben. Rund 400 Teilnehmer machten in Altenkirchen ihrem Unmut Luft bei der ersten Gegenveranstaltung im AK-Land - wie es sich gehört: Masken tragend und die Hygieneregeln einhaltend.
Altenkirchen. Bereits fünfmal haben sich „Montagsspaziergänger“ in Altenkirchen verbotenerweise in Marsch gesetzt, um als Impfgegner oder als Ablehnende der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erlassen wurden, zu protestieren - seit der Premiere am 20. Dezember mit abnehmender Teilnehmerzahl und immer im Angesicht eines größeren Polizeiaufgebotes. Dass die Bürger der Kreisstadt und Umgebung die nicht erlaubten Demonstrationen ablehnen, haben sie (endlich) deutlich gemacht. An einer genehmigten Protestveranstaltung auf dem Schlossplatz positionierten sich am frühen Sonntagnachmittag (23. Januar) rund 400 Menschen - Masken tragend und die Hygieneregeln einhaltend - gegen den wöchentlichen Zug der Widersacher und damit gegen „rechte Demagogie“. Unter dem Motto „Altenkirchen zusammen“ hatte sich unter dem Dach des Netzwerks „Vielfalt und Demokratie im Kreis Altenkirchen“ die Gegenbewegung formiert, der auch via Internet die Zustimmung übermittelt werden kann.
„Die Schnauze voll“
„Wir zeigen, dass die Zivilgesellschaft einfach die Schnauze voll hat von einer marginalen Minderheit, die von Spaltung spricht und versucht, unsere Gesellschaft zu destabilisieren“, betonte Axel Karger (DGB-Kreisverband Altenkirchen) vom Organisationsteam der Veranstaltung. Seit Wochen werde in Deutschland oft unangemeldet spazieren gegangen. Die Gemengelage sei nicht immer klar. Einige wüssten gar nicht, mit wem sie sich zusammentäten und könnten die Lage gar nicht richtig einschätzen. Gleichzeitig werde in diversen Chatgruppen, die zunächst einmal harmlos daherkämen, durch Rechte und rechtsextreme Personen agitiert. Dazu gesellten sich häufig Verschwörungstheoretiker und sogenannte „Reichsbürger“ sowie extreme religiöse Gruppen. „Es ist ganz klar, dass es unterschiedlich Meinungen zur Pandemiebekämpfung gibt“, führte er weiter aus, „unterschiedliche Meinungen sind legitim, wir respektieren auch diese Unterschiede. Der Rechtsstaat eröffnet uns vielfältige Möglichkeiten, Kritik zu äußern, sich zu organisieren und notfalls auch zu klagen.“
Rechtsverbindliche Regeln
Um diesen Weg zu beschreiten, gebe es, so Karger, eindeutige, rechtsverbindliche Regeln. Und die müssten beachtet werden. Sonst funktioniere das Gemeinwesen nicht. „Bei den unangemeldeten Demonstrationen geht es darum, die bürgerliche Mitte ins rechte Lager zu ziehen und unseren Rechtsstaat zu kompromittieren. Da sind wir nicht mit dabei“, fügte Karger unter großem Applaus an. Es gehe nicht um Impfpflicht oder nicht. Es gehe nicht darum, Menschen auszugrenzen. „Wir dürfen diese Menschen nicht verlieren. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, mit wem sie sich da zusammentun und wie sie selbst instrumentalisiert werden“, ergänzte Karger, „wir sind zusammengekommen, um die rote Linie zu verteidigen, die uns von Verfassungsfeinden, Rechtsextremen, Verschwörungsgläubigen und Reichsbürgern trennt.“ Wohin gewalttätige Sprache führen könne, sehe man an den mutmaßlichen Verantwortlichen der Brandanschläge in Altenkirchen, Germershein und anderswo. Man müsse sich auch immer wieder bewusst machen, dass sich seit über zwei Jahren die ganz große Mehrheit der Menschen solidarisch und rücksichtsvoll verhalte. Jedem einzelnen werde unvorstellbar viel abverlangt, und „trotzdem erleben wir Solidarität. Darauf können wir als Gesellschaft stolz sein. Und das lassen wir uns nicht von 0,1 Prozent der Bevölkerung nehmen. Wir sind auch hier, weil wir uns bei den echten Leistungsträgern der Pandemie bedanken wollen.“ Karger nannte beispielsweise die Menschen, die in Krankenhäusern, in der Pflege oder in der Behindertenhilfe arbeiteten. „Wir beobachten immer häufiger, dass Wissenschaft als Meinung deklariert wird. Das ist nicht nur irreführend, sondern hat auch System. Wenn Fakten zu Meinung werden, dann leistet man Fakenews und der Verdrehung von Wirklichkeit Vorschub. Fakten bleiben Fakten. Wir vertrauen auf evidenzbasierter Pandemiebekämpfung“, meinte Karger.
Hassmails unter der Gürtellinie
In den zurückliegenden Tagen hatten Karger viele mutmachende Mails als auch Hassmails erreicht, die „unter die Gürtellinie gegangen sind“. Andere bezögen sich auf die Altenkirchener Erklärung, und „wir werden als Diktatur beschimpft. Solche Parolen verunglimpfen die echten Opfer von Diktaturen in Vergangenheit und Gegenwart. Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsextreme und Faschisten, Feinde der Aufklärung und der Säkularisierung sowie Verschwörungserzähler ihr verfassungsfeindliches Süppchen auf dem Feuer der Pandemie kochen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass unser Kreis, unsere Verbandsgemeinde und unsere Stadt durch Extremisten in den Dreck gezogen werden. Die Zivilgesellschaft hat sich zusammengetan, um nach innen wie nach außen ein freundliches Bild der Gewissheit zu zeigen. Wir alle stehen hier zusammen mit Maske, mit Anstand und mit Abstand“.
Vieles hinten anstellen
Für die Gruppe „wwgoesgreen“ innerhalb der Fridays-for-Future-Bewegung machte Mukades Gend auf die Situation von Jugendlichen in der Pandemie aufmerksam und sprach davon, dass seit zwei Jahren vieles im Leben hinten angestellt werden müsse. Sie wies zudem daraufhin, dass „die rechte Gefahr nicht erst seit der Pandemie im Westerwald bekannt ist“ und rief den Menschen auf dem Schlossplatz zu: „Geht nicht mit Nazis spazieren!“ „wwgoesgreen“ ist eine Gruppe von Schülern und jungen Erwachsenen, denen es besonders wichtig, auf regionaler Ebene zu agieren. Wie der Name bereits vermuten lässt, konzentrieren sie sich mit ihren Aktionen wie Mahnwachen, Workshops oder Wanderungen auf den Westerwald, insbesondere auf die Umgebung rund um Altenkirchen. Für die musikalische Untermalung auf dem Schlossplatz sorgten Thomas Wunder und Heribert Blume. Den Opfern der Coronapandemie wurde per Schweigeminute gedacht.
Im Jahr 2013 gegründet
Das „Netzwerk Vielfalt und Demokratie“ im Landkreis Altenkirchen wurde im Jahr 2013 gegründet, um gemeinsam aktiv zu sein für eine menschenfreundliche Gesellschaft. Ständige Organisationen und Vereine im Netzwerk sind: Mehrgenerationenhaus „Mittendrin“ Altenkirchen, Caritasverbände Rhein-Sieg und Rhein-Wied-Sieg, VG Altenkirchen-Flammersfeld, Deutscher Gewerkschaftsbund Kreisverband Altenkirchen, Kreisjugendring Altenkirchen, Diakonisches Werk Altenkirchen, Haus Felsenkeller Altenkirchen, IG Metall Geschäftsstelle Betzdorf, Lebenshilfe im Landkreis Altenkirchen, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kreisverband Altenkirchen, Landkreis Altenkirchen, evangelische Landjugendakademie Altenkirchen und evangelisches Kinder- und Jugendzentrum Kompa Altenkirchen. Ziel des Zusammenschlusses ist es, auf kommunaler Ebene Rassismus und anderen menschenverachtenden Einstellungen entgegenzutreten und für eine offene, tolerante und solidarische Gesellschaft einzutreten, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können. Die Koordination des Netzwerks liegt in Händen des DGB in Koblenz. (vh)
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