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Nachricht vom 20.03.2022    

Buchtipp: „Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland“

Von Helmi Tischler-Venter

Aktuelle Fragen und Positionen der als Online-Konferenz am 12. und 13. April 2021 durchgeführten Tagung stellen die Herausgeber Laura Cohen, Thomas Otten und Christiane Twiehaus im vorliegenden Buch zusammen. Die publizierten Aspekte beleuchten 1700 Jahre jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland punktuell.

Buchtitel

Dierdorf/Oppenheim. Die Pluralität jüdischen Lebens wird in den Beiträgen ebenso deutlich wie die nie endenden Antisemitismus-Strömungen. Umfassende Untersuchungen wechseln sich mit kurzen, schlaglichtartigen, bunt unterlegten Beiträgen ab. Zu letzteren zählen ein Brief an den Kölner Stadtrat mit einem Gesetzestext des Kaisers Konstantin bezüglich der Beteiligung von Juden im Stadtrat ebenso wie eine Öllampe mit Menora-Abbildung, ein spätantiker Bodenfund aus Augsburg. Ein „Sensationsfund aus der Latrine: Der Goldohrring aus dem mittelalterlichen jüdischen Viertel Köln“, die Vita des Widerstandskämpfers Richard Stern sowie Isaac Offenbachs, der Kantor der jüdischen Gemeinde in Köln und Vater des Operettenkomponisten Jaques Offenbach sowie der prächtige, kunstvoll in hebräischen Buchstaben geschriebene „Amsterdam Machsor“ aus dem 13. Jahrhundert. Vorgestellt werden ebenso die Schauspielerin Dora Gerson, der Komponist und Liedermacher Friedrich Hollaender und der Kölner Goldschmied Fritz Max Deutsch. In der Kölner Innenstadt gefundene Bruchstücke einer Bima (Platz für Lesung) des 13. Jahrhunderts und ein jüdischer Karnevalsorden, der Sessionsorden des Kleinen Kölner Klubs für den Künstler Karl Küpper im Jahr 1929 sind Ausstellungsobjekte.

Am Anfang der längeren Beiträge steht der Text „Raum und Raumvorstellungen im mittelalterlichen jüdischen Viertel Köln“, dessen Existenz seit dem 11. Jahrhundert bis zur Ausweisung der Juden im Jahr 1424 in der Nähe des Kölner Doms belegt ist. Seit 2007 analysiert die Stadt Köln das Areal des Rathausplatzes durch eine Ausgrabung in Vorarbeit für den Bau des MiQua LVR Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln.

Die nationaldeutsche jüdische Jugendbewegung „Vortrupp“ erhielt ihre Bewährungsprobe beim Machtantritt der Nationalsozialisten. Verbote und Anfeindungen vor allem durch die Hitlerjugend zeigten den jüdischen Jugendlichen, dass sie in der deutschen Heimat nicht mehr dazugehörten. Doch ihr Judentum erwies sich als Quelle neuer Kraft.

Der Beitrag „Innenansichten: Juden damals, Israelis heute? Jüdische, israelische, hybride Innenansichten nach 1700 Jahren jüdischen Lebens“ beleuchtet jüdische Migration und Remigration. Fazit: „Die Mehrheit aller dieser in Deutschland lebenden Juden, inklusive Israelis, definiert sich nicht als Deutsch, auch wenn sie es formalrechtlich (wieder geworden) sind.“

Rabbi Yehuda Aharon Horovitz befasst sich mit der deutschen Tora-Literatur - Kabbala und Chassidut im modernen Deutschland, mit dem Ziel, die Geschichte der „Inneren Verhältnisse“ des deutschen Judentums zu behandeln. Die Werke der Toragelehrsamkeit, die im deutschsprachigen Raum geschaffen wurden, sind zum größten Teil auf Hebräisch verfasst.



Warum Hochzeitssteine, die außen an Synagogen angebracht waren, aus dem deutschjüdischen Brauchtum entfernt wurden, untersucht Nathanael Riemer.

Das 1986 neu erbaute jüdische Gemeindezentrum in Frankfurt am Main ist Anlass für das Referat „Bauen - Bleiben - Besetzen. Jüdische Standortbestimmung in der Bundesrepublik“. Architekt des Symbols für Sesshaftigkeit nach der Formel „Wer ein Haus baut, will bleiben“, ist Salomon Korn.

Jiddische Versionen deutscher Volksbücher aus süddeutschen Genisot, gefunden bei Renovierungsarbeiten, beweisen die Titelvielfalt und bezeugen den steten kulturellen Kontakt und Austausch der jiddischsprachigen jüdischen Bevölkerung mit der nichtjüdischen Umwelt.

Der 1933 gegründete „Kulturbund Deutscher Juden“ unterstützte tausende von Künstlern, die aus rassischen Gründen ihre Stellung verloren hatten. Da auch Beethoven und andere als deutsch geltende Künstler von Juden nicht mehr aufgeführt werden durften, avancierte die Synagoge zunehmend zum Konzertraum.

Das Berufsbild „Baumeister“ war Juden durch den Ausschluss aus den Zünften viele Jahrhunderte verwehrt. „Einer der ersten jüdischen Studenten der Berliner Bauakademie war Meno Burg (1789-1853), der bei seinem Vetter Salomon Sachs ab 1804 in die Lehre gegangen war.“ Auch der Kasseler Architekt Albrecht Rosengarten (1810-1893), der unter anderem die Synagoge Kassel entwarf, nahm seinen Weg über eine Ausbildung im Bauamt. Durch den sozialen Aufstieg des deutschen Judentums ab Mitte des 19. Jahrhunderts, vergrößerte sich auch die Zahl jüdischer Architekten. Am 22. September 1933 bedeutete ein Reichskammergesetz das Ende ihrer Tätigkeit. In der Nachkriegszeit leisteten junge Architekten wie Zvi Guttmann und Helmut Goldschmidt Wiederaufbauarbeit.

Der Fernsehregisseur Karl Fruchtmann ist unvergessen. „Fruchtmann erzählte als politischer Regisseur von der Schoa im westdeutschen Fernsehen, noch bevor der Erinnerungs-Boom in den 1980er Jahren einsetzte.“

Der Beitrag „Jüdische Erfahrungen, Antifaschismus und Film in der DDR“ zeigt die enge Verflechtung von Film und Politik im „antifaschistischen Deutschland“, Versäumnisse und ostdeutschen Antisemitismus. Film und Literatur funktionierten in der DDR als Ersatzöffentlichkeit - in einem Staat, der ein Defizit an öffentlichem Gespräch aufwies.

Der Hardcover-Band mit vielen Abbildungen ist der erste Band einer wissenschaftlichen Reihe des MiQua, LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln. Erschienen ist er im Nünnerich-Asmus Verlag, ISBN 978-3-96176-172-2. (htv)



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