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Nachricht vom 21.03.2022    

Der AWB und die Greensill-Pleite: Aufarbeitung des Verlustes geht im Kreistag weiter

Nein, Geburtskerzen standen keine auf den Tischen im Wissener Kulturwerk. Zum einjährigen Wiegenfest der Pleite der Privatbank Greensill war dem Altenkirchener Kreistag in seiner Sitzung wahrlich nicht zum Feiern zumute – muss sein Abfallwirtschaftsbetrieb womöglich die 3,6 Millionen Euro abschreiben, die beim Bremer Geldhaus angelegt worden waren.

Der Abfallwirtschaftsbetrieb des Kreises Altenkirchen wartet darauf, dass irgendeine Hand ihm das bei Greensill angelegte Geld zurückzahlt – auch wenn es nicht die komplette Summe sein sollte. (Foto: Pixabay)

Altenkirchen/Wissen. Es wurde nichts aus einer leicht verspäteten Sause zum einjährigen „Geburtstag“. Die Pleite der Bremer Greensill-Bank, die am 16. März 2021 mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens so richtig viele kommunale Geldanleger beutelte, hat den Altenkirchener Kreistag in der Sitzung am späten Montagnachmittag (21. März) im Kulturwerk Wissen erneut sehr intensiv diskutieren lassen. Nach wie vor ist das Gremium um eine lückenlose Aufarbeitung des möglichen Verlustes in Höhe von 3,6 Millionen Euro bemüht, die der Eigenbetrieb des Kreises, der Abfallwirtschaftsbetrieb (AWB), in zwei Tranchen bei der Privatbank angelegt hatte, um von dem dem damals wider der allgemeinen Zinstendenz versprochenen Satzes von 0,5 Prozent zu profitieren. Dritter Kreisbeigeordneter Gerd Dittmann, in dessen Geschäftsbereich der AWB fällt, zeigte sich „vorsichtig optimistisch“, dass die „kommunale Familie“, deren Anlagen im Vergleich zu privaten Anlegern nicht durch eine Einlagensicherung geschützt waren, mit weiteren Rückzahlungen rechnen könne. „Es sind noch mehr höhere Zugänge zu erwarten“, erklärte Dittmann. Zudem habe er seit der finalen Sitzung des Kreistages im Jahr 2021 (20. Dezember) über die Situation reflektiert und Landrat Dr. Peters Enders in einem Brief am 28. Dezember 2021 „Optimierungsmöglichkeiten und Fehlerquellen“ aufgezeigt. Nur zwei Tage später hätten sich Enders und er über das Schreiben bei einem Treffen ausgetauscht.

„Informationswellen“ bewerten
Darüber hinaus, so Dittmann, müssten die geschädigten Kommunen immer wieder „Informationswellen“ vom Insolvenzverwalter Dr. Michael Frege und von der Interessengemeinschaft der kommunalen Gläubiger der Greensill-Bank bewerten, „Schlussfolgerungen ziehen“. Er habe sich angewöhnt, Neuigkeiten zu sammeln und diese als Informationen und nicht beispielsweise komplette Gutachten von 200 bis 300 Seiten weiterzugeben. Bislang habe er zwei solcher Unterrichtungen verfasst, eine dritte sei in der Vorbereitung, und er werde diese noch im Laufe der Woche dem definierten Personenkreis zukommen lassen. Die Werkleitung habe ihm darüber hinaus alle Unterlagen zur Verfügung gestellt.

Nicht alles vorgelegt?
Und genau an diesem Punkt setzte die massive Kritik von Dr. Josef Rosenbauer, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, an, die Dittmann einen Katalog mit 24 Fragen zur Beantwortung vorgelegt hatte. Kurz beleuchtete er die „Aufarbeitung dessen, was passiert ist“ und nannte als großes Ziel die „Schadensbegrenzung, um gegebenenfalls Geld zurückzubekommen“. Rosenbauer war sich sehr sicher, dass Dittmann „im Nachhinein nicht alles vorgelegt worden war“ und spielte damit auf die Dienstanweisung für Geldanlagen des AWB aus dem Jahr 2019, in der noch der Begriff der „Mündelsicherheit“ implementiert gewesen war. „Hätten wir das in der Diskussion im Kreistag am 26. April 2021 gewusst, wäre die Aussprache in eine andere Richtung gelaufen. Das wichtigste Schriftstück lag nicht vor“, bemängelte Rosenbauer und fragte, warum dieses nicht präsentiert worden sei. Auch das in der aktualisierten Dienstanweisung vom 3. Mai 2021 das Wort „Mündelsicherheit“ dann herausgenommen worden sei, „das wird nicht berichtet. Warum ist das so? Warum haben Sie die Informationen nicht erhalten? Da muss ich Sie in die Verantwortung nehmen“, richtete Rosenbauer einen klaren Vorwurf an Dittmann, „wir als Kreistagsmitglieder fühlen uns ziemlich hinten rumgehoben. So lässt man den Kreistag in die falsche Richtung laufen.“ Es sei ein bewusstes Vorenthalten wichtiger Informationen gewesen. Bis zum Jahre 2017 sei die Mündelsicherheit eventueller Anlagen sogar jeweils im Jahresbericht vermerkt gewesen, seit 2018 entfielen diese Hinweise. „Hier handelt es sich um eine andere Dimension. Das Vertrauen wird massiv untergraben. Das ist ein Verhalten, das die Kreistagsmitglieder nicht hinnehmen können. Das Vorgehen ist so nicht zu dulden“, ereiferte sich Rosenbauer.

„Eine echte Zumutung“
Auch Bernd Becker (SPD) ging harsch mit Dittmann ins Gericht, nachdem die Sozialdemokraten Antworten zuvor bereits auf sieben Themenblöcke erhalten hatten. „Das Verhalten und die Kommunikation nach Bekanntwerden des Schadens war für die geneigte Öffentlichkeit und insbesondere für die Mitglieder des Kreistages eine echte Zumutung“, meinte Becker. Es seien auf grob fahrlässige Weise – mittels Verstoßes gegen die eigenen Maßgaben – über drei Millionen Euro in den Sand gesetzt worden. Die aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Aufarbeitung der Causa Greensill, aber auch für die zukunftsfähige Aufstellung des AWB seien riesig. Dafür würden Erfahrung und Expertise der handelnden Personen gebraucht. „Sie hören von der SPD-Fraktion weder eine Rücktrittsforderung an Gerd Dittmann, noch die Forderung nach beamten- und arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen den Werkleiter und seinen Vertreter, was nicht unsere Aufgabe wäre“, ergänzte Becker, der, wie Rosenbauer, auch an den 26. April 2021 erinnerte: „Wir wussten alle noch nichts von der Existenz der Dienstanweisungen der Werkleiter. Ich hoffe und befürchte gleichzeitig, dass auch Gerd Dittmann zu diesem Zeitpunkt von diesen Dienstanweisungen nichts wusste. Als er nämlich mehr oder weniger unverblümt den ganzen Kreistag für den Verlust mit in die Verantwortung nehmen wollte, weil dieser ja der Dienstanweisung des damaligen Beigeordneten zugestimmt habe. Ich gebe zu, das war bei mir auch mit persönlicher Enttäuschung verbunden. Bei anderer Gelegenheit hatte ich Dich, lieber Gerd Dittmann, einmal als den Grandseigneur der Abfallwirtschaft bezeichnet. Dieses Image hat gelitten.“



Geld mit Sorgfalt anlegen
Hubert Wagner (FWG) stellte heraus, dass Geld mit Sorgfalt angelegt und sich informiert werden müsse. „Auch nach der Anlage hätten man im Werkausschuss informiert werden müssen“, sagte er. Sogar auf Unterlagen sei nachzulesen, dass eine Einlagensicherung nicht greife. „Es ist sorglos, grob fahrlässig und nicht verantwortungsbewusst gehandelt worden bei der Anlage“, ergänzte Wagner, „es ist ein Vertrauensbruch entstanden, es ist mehr als Vertrauen verspielt worden.“ Für die FDP sprach Udo Piske von einem „extremen Vertrauensbruch“. Trotzdem wolle er nicht über personelle Dinge reden, „wir sind im Dunkeln gelassen und für blöd verkauft worden“.

Politisch die Verantwortung tragen
„Sie haben erklärt, die politische Verantwortung zu tragen, also bitte machen Sie das“, wurde Albert Hüsch (CDU) in Richtung Dittmann sehr deutlich. Es sei ihm unbegreiflich, wie das gelaufen sei. Zudem könne er die „Verschleierungstaktik, die da läuft, nicht verstehen. „Das Vertrauen kann nicht wieder hergestellt werden, was meine Mitarbeit im Ausschuss angeht“, zeigte Hüsch womöglich eine Konsequenz aus seiner Sicht auf. Wenn man im öffentlichen Dienst arbeite, schaue man sich Dienstanweisungen direkt an. Enders, unterschwellig zuvor von Piske in eine Teilverantwortung gedrängt, konnte nicht nachvollziehen, warum dieser Vorwurf aufgekommen war. „Ihr Verhalten ist grenzwertig“, meinte er in Richtung Piskes, während Rosenbauer einordnete: „Aufarbeitung, Transparenz und Informationen sind geschehen, seit Enders informiert wurde. Enders hat Transparenz in die Geschichte gebracht.“

Blick auch nach vorne
Josef-Georg Solbach (CDU) sah Vermögenserhaltung und -unterhaltung als wichtige Punkte an, denen ausreichend Beachtung geschenkt werden müsse. Er habe kein Vertrauen mehr, beschied er lapidar, „wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein?". Auch Michael Wäschenbach (CDU) stufte das Vertrauen als nachhaltig gestört ein. Der Ernst der Lage sei immer noch nicht erkannt worden. Es solle mehr Demut vor dem Kreistag gezeigt werden. „Wir haben das Recht so lange zu fragen, wie wir wollen“, stellte er er eine „Grundregel“ in der Aussprache um die Greensill-Anlage auf. Eher nach vorn blickte Anna Neuhof (Bündnisgrüne). „Wie kommen wir zielgerichtet weiter in Sachen Schadensminimierung?“, bezog sie das Gremium schon in die Zukunftsgestaltung mit ein, „und wie bekommen wir ein Vertrauensverhältnis wieder hin?“. Es gelte, wieder auf die fach- und sachbezogene Arbeitsebene zu kommen. Auch sie äußerte die Hoffnung, „einiges an Geld zurückzubekommen“.

AWB rechtlich unselbstständig
Der AWB hatte sich als Anlageform jeweils für Termingeld (einmal 2 Millionen Euro und einmal 1,6 Millionen Euro) mit einem Zinssatz von jeweils 0,5 Prozent und mit einer Laufzeit von jeweils zwei Jahren bei Greensill entschieden. Der Deal war über einen Finanzmakler abgewickelt worden, mit dem seit rund 20 Jahren sporadisch geschäftliche Kontakte gepflegt werden/wurden. Das Geld hätte im Dezember 2021 und im September 2022 wieder zur Verfügung gestanden und gehörte der Rücklage an. Vor mehr als sechs Jahren war zum ersten Mal Termingeld dem Bankhaus überlassen worden. Die in Rede stehenden 3,6 Millionen Euro sind/waren für die Nachbehandlung der Deponie mit dem Schwerpunkt Oberflächenabdichtung vorgesehen. Zum Anlagenprozedere: Wenn der AWB, der als rechtlich unselbstständig gilt, Geld anlegen will, ließ er sich bisher von dem Finanzmakler eine Liste mit Investitionsmöglichkeiten erstellen, anhand derer die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Anlage fiel (bislang immer der Werkleiter allein). Inzwischen ist als Konsequenz aus dem Desaster der Kreisvorstand in das Prozedere auch eingebunden.(vh)



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