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Nachricht vom 20.11.2022    

Altenkirchener Ayas-Stiftung: Afghanistan versinkt in Hunger und Armut

Europa schaut in diesen Tagen in erster Linie auf den Krieg und damit auf die humanitäre Situation in der Ukraine. Hungersnöte in Afrika bilden eine untergeordnete Begleitmusik, die Situation der Menschen in Afghanistan interessiert hierzulande kaum noch.

Vor allem Kinder sind in Afghanistan Leidtragende der humanitären Katastrophe. (Foto: privat)

Altenkirchen. Aus den Augen, aus dem Sinn: Für ein paar Tage im Spätsommer des vergangenen Jahres war es das Thema in vielen Nachrichtenkanälen weltweit. Die Flucht der USA und vieler weiterer westlicher Nationen aus Afghanistan und die Übergabe der Regierungsgewalt an die radikal-islamischen Taliban bestimmten die Schlagzeilen. Seit dieser Zeit aber ist es in den Medien still geworden um das Land am Hindukusch. Aktuellere Entwicklungen wie beispielsweise der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sind an die Stelle der Meldungen über das Fiasko rund um die Hauptstadt Kabul getreten. Deswegen ist es gut, dass zumindest Dr. Akbar Ayas und seine Frau Sima dauerhaft den Blick auf die bitterarme Nation lenken, in der sie geboren wurden und die sie mit finanziellen Mitteln aus ihrer Stiftung „Dr. Akbar und Sima Ayas - Nothilfe für afghanische Kinder" fast schon 20 Jahre lang unterstützen. „Um schätzungsweise 80 Prozent hat sich die allgemeine als auch die wirtschaftliche Situation verschlechtert“, stuft Akbar Ayas den Niedergang seit der Machtübernahme der „Koranschüler“ ein. Täglich stehen die Ayas per WhatsApp - hin und wieder bis zu viermal - in Kontakt mit ihren Ansprechpartnern vor Ort. Selbst mit Vertretern der Taliban wird das ein oder andere Gespräch geführt. So gut wie alle verlaufen ohne Resultat. Die Männer, die ihre Macht auf Gewehre und den Koran gründen und stützen, üben sich in Ausreden. „Morgen, morgen, morgen“, ist wohl eine der beliebtesten Floskeln, um zu erklären, wann irgendwas umgesetzt werden soll, wie Akbar Ayas darlegt, es logischerweise jedoch nie geschehe.

Winterhilfe wie in jedem Jahr
Weite Teile des Landes sehen sich in den kommenden Monaten einem harten Winter gegenüber. Die Temperaturen könnten in diesen Breiten durchaus bis auf minus 40 Grad fallen, kennt Akbar Ayas die jährlich wiederkehrende Zeit, auf die sich die Menschen nur schwer vorbereiten können. „Der erste Schnee ist in Kabul schon gefallen“, sagt Sima Ayas, in der Hauptstadt sinke das Thermometer auf maximal minus 15 Grad. Mit diesem Wissen geht die nächste Runde der Winterhilfe, die seit 2009 einmal im Jahr auf der To-do-Liste steht, an den Start. 600 Familien sollen mit je einem Paket ausgestattet werden, das rund 60 Euro kostet, so dass rund 36.000 Euro zusammenkommen müssen, um den Plan umzusetzen. Vor allem die Kinder sind Adressaten der Unterstützung aus dem fernen Altenkirchen. Ein paar Stiefel für den Nachwuchs (1,50 Euro), Winterjacken (7 Euro/Stück), Wolldecken (5 Euro/Stück), Holzkohle (11 Euro/Sack), Mehl (30 Euro/Sack) und Speiseöl (9 Euro/Kanister) gehören zum Inhalt. Allein die Kosten fürs Mehl hätten sich verdoppelt, merkt Akbar Ayas an und knüpft die Verbindung zum weltweit rasanten Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Verteilung soll Ende November oder Anfang Dezember beginnen. „Alles wird vor Ort gekauft“, ergänzt Sima Ayas, was gleichfalls bedeutet, dass die Wirtschaft in dem Land, in dem seit 44 Jahren Krieg herrscht, ein wenig profitiert. Die Lage ist allgemein dramatisch: „Armut und Hunger regieren. Die Menschen verhungern zur Zeit“, lautet der Ist-Zustand, wie ihn die Stiftungsgründer beschreiben.

Frauen als Feindbild der Taliban
Es ist vor allen Dingen Sima Ayas, die hin und wieder heftig schlucken muss, wenn sie sich die aktuelle Lage und vor allem die der Frauen vor Augen führt. Mädchen dürften von der siebten Klasse an nicht mehr zur Schule gehen, vielfach alleine nicht mehr verreisen und oftmals nicht arbeiten, nicht alleine in einen Park gehen, nennt sie Beispiele, wie die Taliban das Leben in ihrem Geburtsland nach und nach umkrempeln. „Auch die Nutzung eines Hammams, eines staatlichen Bades, ist ihnen mittlerweile untersagt“, betont Sima Ayas, die Herrscher hätten gerne, wenn die Frauen gar nicht mehr das Haus verlassen würden. Noch lieber sähen sie es, wenn Frauen von jeglichem öffentlichen Leben ausgeschlossen wären. Zudem würden die Afghanen mit hinduistischem Glauben systematisch und massiv unterdrückt. „Die Taliban haben mit dem eigentlichen Islam nichts zu tun, sind kranke Köpfe, in denen nichts drin ist. Ich glaube, dass sie alle Angst vor Frauen haben“, wird Sima Ayas sehr deutlich, wie sie über das Klientel in Führungspositionen und deren Handlanger denkt, und gibt zu, sich selbst hin und wieder in Rage zu reden. Inzwischen sei, so Akbar Ayas, auch sämtliche Musik aus TV- und Radiosendern verbannt worden. Künstler hätten fluchtartig das Land verlassen, vielfach seien Musikinstrumente einfach zerstört worden.



Nur soziale Medien
So wird das Ehepaar Ayas vorerst auch nicht ins Land ihrer Vorfahren reisen, obwohl Flüge über Dubai, Teheran oder Istanbul wieder möglich sind (der letzte Trip der Ayas datiert wegen Corona aus dem Jahr 2019). Da bleiben also vor allem die sozialen Medien, um sich ein Bild zu machen, wo und wie die Spenden helfen, nachdem das Geld über verzwickte Wege sein Ziel erreicht hat, zumal Banken an Ort und Stelle meistens geschlossen seien. „So lange die Taliban an der Macht sind, kommt eine Reise nicht infrage“, betonen beide gleichlautend. Wie lange sich das Regime hält, vermögen Akbar und Sima Ayas nicht zu beurteilen. Es stört sie gewaltig, dass die „Taliban vielfach am Tisch dabei sind, obwohl das Regime von den meisten anderen Staaten nicht anerkannt worden ist“. Widerstand gebe es in zwei, drei Provinzen, aber der große Aufstand ist offenbar noch lange nicht in Sicht. Über die Zukunft können beide nur spekulieren: „Wir wissen nicht, was zwischen den USA und den Taliban in Doha über viele Monate hinweg ausgehandelt wurde“, wirft Sima Ayas einen Blick auf eine Zeitspanne vor der überstürzten „Abreise“ des ausländischen Militärs.

Kontinuierliche Unterstützung
Abseits der Winterhilfe betreibt die Stiftung kontinuierlich eine Klinik (rund 50 Kilometer vom Zentrums Kabuls entfernt), in der zwischen 120 und 140 Menschen pro Tag ambulant behandelt werden. Zum Personal gehören zwei Ärzte, eine Hebamme und eine Krankenschwester, so dass auch Entbindungen möglich sind. In zwei Nähstuben an der Peripherie der Hauptstadt können 120 Frauen in dreimonatigen Kursen das Schneidern lernen nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“. „Es läuft sehr gut“, kommentiert Sima Ayas die aktuelle Situation. In einem Kinderhaus in der Provinz Parwan verbringen rund 100 (Waisen)Kinder den Tag, werden unterrichtet und verpflegt. „Die Einrichtung trägt dazu zu, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und hilft bei der Abschaffung der Kinderarbeit“, freut er sich, weiß indes, dass die enorm hohe Kindersterblichkeit bei 25 bis 30 Prozent liegt, bevor ein Junge oder ein Mädchen fünf Jahre alt wird. Schließlich wurde kurzfristig nach einer Hochwasserkatastrophe vor wenigen Wochen 500 Familien zusätzlich geholfen, was Akbar Ayas zu der Feststellung führt, dass der Klimawandel sich auch schon in Afghanistan zeige. Wenigstens, und das wissen die Eheleute mit Sicherheit, zwacken die Taliban nicht einen einzigen Afghani von den finanziellen Beträgen aus Deutschland ab, um ihn in die eigenen Taschen fließen zu lassen.

Stiftung im Jahr 2004 gegründet
Akbar (75) und Sima Ayas (70) sind immer dankbar, dass das notwendige Geld für die Unterstützung regelmäßig zusammenkommt. 50 Prozent werden im Westerwald generiert. Indirekt ist das Paar, das 1974 in Kabul den Bund fürs Leben einging, schon seit 1978 aktiv. Afghanische Flüchtlinge in Pakistan wurden seinerzeit mit Medikamenten versorgt. Die Stiftung ging im Jahr 2004 an den Start, dem Jahr, in dem Akbar Ayas seine eigene Praxis, in der er als Unfall- und D(urchgangs)-Arzt in Altenkirchen und an der Seite seiner Frau (Krankenschwester und medizinisch-technische Assistentin) seit 1986 gearbeitet hatte, aufgab und verkaufte. Die Eheleute, beide in Kabul geboren, waren 1975 in die Bundesrepublik gekommen, damit Akbar Ayas seine Ausbildung zum Facharzt beginnen konnte. Eine Rückkehr kam in jenen Tagen nicht mehr in Betracht, da Truppen der Sowjetunion einmarschiert waren. Für die ehrenamtliche Tätigkeit war bereits 2003 die Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz verliehen worden. Verwandte haben beide in Afghanistan nicht mehr. (vh)

Mehr unter www.ayas-stiftung.de; E-Mail ayas-stiftung@t-online.de; Spendenkonto bei der Westerwald Bank IBAN DE85 5739 1800 0017 2106 02, BIC GENODE51WW1



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