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Nachricht vom 30.12.2022    

Bürgermeister Jüngerich: Ortsbürgermeister darf nicht zum Prügelknaben werden

Die Zeit vergeht wie im Fluge: Das gilt auch für die große Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld, die am 1. Januar 2023 ihren vierten Geburtstag feiert. Im Rückblick aufs dritte Lebensjahr zieht Bürgermeister Fred Jüngerich eine ausgesprochen positive Bilanz.

Ist seit nunmehr drei Jahren Chef der großen VG Altenkirchen-Flammersfeld: Bürgermeister Fred Jüngerich. (Foto: vh)

Altenkirchen. Die Fusion zweier Verbandsgemeinden bringt eine Menge Aufgaben mit sich. Zu den ganz großen zählen die Angleichung der Gebühren- und Beitragsstruktur der Verbandsgemeindewerke und die (langwierige) Entwicklung eines neuen Flächennutzungsplans (FNP). Die Verbandsgemeinde (VG) Altenkirchen-Flammersfeld, seit dem 1. Januar 2020 unter einem Dach verbandelt, hat im zurückliegenden Jahr schon alles rund ums Wasser und Abwasser auf einen gemeinsamen Nenner gestellt als auch den Anstoß für einen FNP auf den Weg gebracht, auf dem die bauliche Entwicklung im großen Gesamtgebiet (rund 230 Quadratkilometer) fußen und der die beiden alten Varianten der beiden Alt-VGs ablösen wird. Allein mit diesen Fakten im Kopf, ist Bürgermeister Fred Jüngerich mit dem Jahr 2022 sehr zufrieden, wie er im Exklusiv-Interview mit dem AK-Kurier darstellt. Das Gespräch im Wortlaut:

Die große VG existiert nunmehr seit drei Jahren: Wie zufrieden sind Sie mit dem Jahr 2022 aus Sicht der großen VG?
Es ist uns gelungen, einige Dinge umzusetzen, die fusional abzuarbeiten waren, zum Beispiel die Angleichung der Gebühren- und Beitragsstruktur der Verbandsgemeindewerke. Es ist des Weiteren gelungen, eine zweite große Aufgabe ins Rollen zu bringen, nämlich die Neuaufstellung eines neuen Flächennutzungsplans. Beides sind Aufgabenstellungen, die im Zuge einer jeden Fusion von Verbandsgemeinden zu erledigen, oftmals aber auch mit Hürden verbunden sind. Von daher bin ich mit dem abgelaufenen Jahr sehr zufrieden, auch was das Zusammenwachsen der Belegschaft angeht. Es gab 2022 Betriebsfeste, auf denen sich Kolleginnen und Kollegen unterhalten konnten, die sich wegen der Corona-Pandemie noch nie gesehen hatten.

Wie hat sich die „Ehe“ bislang entwickelt?
Wir machen als große Verbandsgemeinde das, was früher die beiden einzelnen Verbandsgemeinden getan haben, insbesondere im Bereich der Pflichtaufgaben wie beispielsweise in Kindertagesstätten oder in Schulen zu investieren. Wir haben aber auch noch ein bisschen Bewegungsspielraum für den freiwilligen Aufgabenbereich, allem voran für das neue Hallenbad. Auch der Glasfaserausbau ist eine freiwillige Aufgabe, aber mit politischer Brisanz. Eine gesetzliche Verpflichtung zum Ausbau gibt es für die Kommunen nicht. Auch in diesem Bereich haben wir uns weiterentwickelt. An vielen Stellen sind wir ein Stück weiter als 2021. Aus meiner Sicht hat die neue VG den „Pfad der Tugend“, also die Erfüllung der Aufgaben mit Augenmaß, nicht verlassen, den die beiden Alt-VGs auch schon verfolgt hatten.

An welchen Dingen hapert es denn noch?
Politisch verspüre ich überhaupt kein Hapern. Im Gegenteil. Die Fraktionen arbeiten sehr gut zusammen. Man merkt in politischen Diskussionen nicht, ob eine Meinung aus der „Alt-Altenkirchener- oder der Alt-Flammersfelder Ecke“ kommt. Das ist auch das Ergebnis von unparteilichem und sachorientiertem Arbeiten, das mir sehr wichtig ist. In der Verwaltung wird immer mal diskutiert; das hat aber wenig mit der Fusion zu tun. Ich höre nicht, dass die einen sagen „wir haben das in Altenkirchen so gemacht“ und die anderen „in Flammersfeld war es aber anders“.

Wird der Zusammenschluss Ihrer Meinung nach einmal ganz aus den Köpfen verbannt, die Unterscheidung zwischen Alt-VG Altenkirchen und Alt-VG Flammersfeld getilgt sein?
In bin jetzt 41 Jahre im Rathaus tätig. Ich kannte die Fusion der VG Altenkirchen mit der VG Weyerbusch im Jahr 1970 nur vom Erzählen. Aber die Alt-Weyerbuscher Kollegen sprachen noch nach Jahrzehnten von „Uns in Weyerbusch“. Das ist eine Generationenfrage. Ich ertappe mich manchmal selbst dabei und sage „Das war bei uns so und so“, und mit „uns“ meine ich Alt-Altenkirchen. Das ist aber nicht böse gemeint, sondern geschieht im Unterbewusstsein.

Wird sich die Fusion auch irgendwann einmal auf den Personalschlüssel auswirken, was auch Sinn eines solchen Zusammenschlusses ist?
Die Fusion der beiden VGs führt wegen gleichgebliebener Aufgabenstellungen bzw. wegen teils noch dazugekommener, neuer Aufgaben nicht zu einer Personalreduktion, weil wir als Kommune eine Aufgabe zum Beispiel wegen mangelnder Rentabilität nicht „unter den Tisch fallen lassen können“ wie es ein Unternehmer mit einem Produkt machen könnte. Wir sparen erst dann Personal, und ich weiß, dass ich jetzt ein ungeliebtes Thema anpacke, wenn wir auf der Seite der Ortsgemeinden größere Einheiten haben. Man spart Personalkosten erst dann, wenn weniger Verwaltungsaufwand vorliegt. Ich bin dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank Bettgenhäuser ob seiner Äußerung in der letzten Sitzung des VG-Rates „wie lange wir uns diese Kleingliedrigkeit noch leisten wollen“ dankbar. Wir haben inklusive der Zweckverbände 76 Haushalte zu betreuen. Das bindet personelle Kapazität, auch im Bereich der Gremienarbeit. Der einzige Weg, Personal zu reduzieren, ist, den Fusionen von VGs selbige von Ortsgemeinden folgen zu lassen, wünschenswerterweise auf freiwilliger Basis wie in Neitersen und Obernau. Ich bin Kommunalrechtler und daher ein klarer Befürworter der kommunalen Selbstverwaltung. Aber wir brauchen kommunale Strukturen, die verwaltungsökonomisch vertretbar sind. Erst dann reduzieren wir Personal, vorher nicht.

Im zu Ende gehenden Jahr ist oft die Rede von Konnexität gewesen: Warum wurde das Land nicht viel früher mit fehlender Bezahlung nach von ihm bestellten Leistungen konfrontiert?
Über Konnexität wurde immer schon gesprochen. Vielleicht nicht so häufig wie heute. Das mag den Grund haben, dass derzeit der kommunale Finanzausgleich in aller Munde ist. Der Grundsatz der Konnexität und der kommunale Finanzausgleich im Allgemeinen sind in Artikel 49 der Landesverfassung in zwei aufeinander folgenden Absätzen geregelt. Sie sind wie „Bruder und Schwester“. Wenn das Land einzelne Aufgaben den Kommunen überträgt oder wenn es zu Aufgaben, die es bereits übertragen hat, besondere Anforderungen stellt, also intensiv über die Art und Qualität der Ausführung mitsprechen will, wie beispielsweise im Bereich der Kindertagesstätten, dann muss es auch kostendeckende Regelungen treffen. An der Stelle hapert es aber oft. Wir haben zum Beispiel die Kita Gieleroth mittels Investition von fast einer Million Euro saniert und erhalten vom Land nichts dazu. Die Landesregierung spricht aber deutlich mit, wie wir zu sanieren haben. Das passt nicht ganz.



Der womögliche Brandanschlag aufs Rathaus im Januar 2022 ist nach wie vor nicht aufgeklärt, Täter ist/sind bislang nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Wie unzufrieden sind Sie mit dem Stand der Dinge?
Der Brandanschlag hat mich betroffen gemacht, weil ich hier seit über 40 Jahren ein und aus gehe. Es wurden Menschen in ihrer Arbeit behindert, die gerne dafür da sind, anderen Menschen zu helfen, wie zum Beispiel im Einwohnermeldeamt. Wir sind teilweise ins Flammersfelder Rathaus umgezogen und dort „zusammengerückt“. Viele Kolleginnen und Kollegen mussten auch nach Corona erneut spontan aus dem Home-Office arbeiten. Dadurch wurden wir in unserer Arbeit stark beeinträchtigt. Uns wurde damals von den zuständigen Stellen gesagt, dass man uns auf dem Laufenden hält. Ich warte noch heute auf die erste E-Mail oder den ersten Brief. Irgendwann wird ein Schreiben kommen, dass das Verfahren eingestellt wurde. Der Schaden belief sich auf rund 250.000 Euro. Wir haben zwar Versicherungsschutz, aber wer zahlt den Versicherungsbeitrag? Die Verbandsgemeinde. Wo nimmt diese das Geld her? Aus der Umlage. Und die zahlen die Ortsgemeinden aus ihrem Realsteueraufkommen, also letztendlich der Bürger.

Die Versorgung mit Glasfaseranschlüssen hat in 2022 gewaltig an Fahrt aufgenommen. Wie wichtig ist dieser Aspekt für die Vermarktung der VG Altenkirchen-Flammersfeld für den gewerblichen als auch für den privaten Bereich?
Der Glasfaserausbau ist immens wichtig - erst recht für das Gewerbe, weil es höhere Geschwindigkeiten braucht -, aber auch im privaten Bereich, weil immer mehr Dinge digital angeboten werden. Ich bin aber ein klarer Verfechter folgender These: Der Ausbau des schnellen Internets ist eine Versorgungsleistung des Bundes. Sie gehört meines Erachtens ebenso zur Daseinsvorsorge wie die Versorgung mit Wasser und Strom. Letztere ist seit jeher privatisiert, was meines Erachtens der falsche Weg ist. Wir erkennen es jetzt wieder an der heterogenen Vermarktungssituation. Für unsere VG steht trotz positiver Vorankündigung, im Gegensatz zu den anderen VGs im Landkreis, die endgültige Ausbauzusage des Telekommunikationsunternehmens noch aus. Das kann ich nicht nachvollziehen, ich hoffe aber, dass sich die derzeit noch offenen Fragen bald in unserem Sinne klären.

Die Probleme, die Posten der Ortsbürgermeister zu besetzen, sind nicht von der Hand zu weisen. Wie kann eine solche Position attraktiver gemacht werden, um mehr Kandidaten zu generieren?
Wer das Ehrenamt des Ortsbürgermeisters ausübt, benötigt private und berufliche Freiräume. Vielleicht würden größere Strukturen mehr Anreize schaffen, weil dadurch mehr Gestaltungsspielraum bestehen könnte. Das Ehrenamt des Ortsbürgermeisters benötigt mehr Anerkennung in der Gesellschaft. Der Ortsbürgermeister darf nicht zum Prügelknaben werden.

Und in einer solchen Situation erhöht das Land die Nivellierungssätze für die Realsteuern, so dass der zu erwartende Zorn in der Bevölkerung in allererste Linie auf den Mandatsträgern vor Ort abgeladen wird…
Die Ortsbürgermeister beklagen, dass sie es sind, die den Bürgern erklären müssen, dass die Realsteuerhebesätze steigen, während das Land die Nivellierungssätze – als Richtwert für die Realsteuerhebesätze – fernab der Basis anhebt. Der Sprung des Nivellierungssatzes der Grundsteuer B von 365 auf 465 v.H. ist immens. Meiner Meinung nach hätten es 60 bis 70 Prozentpunkte auch getan. Die Erhöhung der Nivellierungssätze war dem Grunde nach aber notwendig. Rheinland-Pfalz hinkt im Bundesdurchschnitt insoweit hinterher.

Was halten Sie von der Neuordnung des Finanzausgleichs?
Wenn der Staat Geld verteilen will, muss er es vom Steuerzahlenden nehmen, sonst hat er niemanden. Eine Alternative wäre, Standards zu senken. Das möchte aber auch niemand. Die Kommunen wollten die Neuordnung und haben gegen das Land geklagt. Die Ortsgemeinden sind leider diejenigen, die dem Bürger die Konsequenzen erklären müssen, wie beispielsweise die Anhebung der Realsteuerhebesätze. Die Rechtsprechung zum neuen Finanzausgleich besagt ja auch, dass die Städte und Gemeinden ihre Einnahmeerzielungsmöglichkeiten verbessern müssen, und das bedeutet Steuererhöhung.

Schauen Sie zum Abschluss einmal nach vorne: Welche Wünsche haben Sie für 2023 und die VG Altenkirchen-Flammersfeld?
Allgemein wünsche ich mir, dass es uns gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen und mit der Verwaltung gelingt, die VG nachhaltig voranzubringen, dass wir gesicherte Arbeitsplätze haben, eine gute Infrastruktur vorhalten können, und dabei die ökologische Achtsamkeit insgesamt optimieren. Konkret für das Jahr 2023 habe ich den Wunsch, dass wir in Sachen „Glasfaser“ zügig vorankommen und dass wir, gemeinsam mit dem Landkreis und den anderen VGs, die Flüchtlingsaufgabe weiterhin bewältigen können.

Zum Schluss noch einige Stichworte, die Sie mir ganz kurz erklären - neuer Flächennutzungsplan: Planungssicherheit für Jahrzehnte und das mit Bedacht; Hallenbadneubau: wichtig für Jung und Alt; Erweiterung Kläranlage Mehren: toller Beitrag zum Umweltschutz; gemeinsame Klärschlammverwertung: kommunale Zusammenarbeit auf Kreisebene und darüber hinaus; Neubau Kita Güllesheim: bedeutsame Pflichtaufgabe; Ersatzneubau Kita Neitersen: dito, größer als bislang; Senkung Kreisumlage: Zeichen kommunaler Solidarität an die Ortsgemeinden; Senkung der VG-Umlage: dito.

Das Gespräch führte Volker Held


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