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Nachricht vom 10.05.2023    

Altenkirchen: Zahl der „Stolpersteine“ erhöht sich auf 75 - Projekt beendet

Aller guten Dinge sind drei: Mit der Verlegung von weiteren 18 Erinnerungstafeln ist das Projekt „Stolpersteine“ in Altenkirchen vorerst beendet worden. Es war das dritte Mal, dass die kleinen Betonwürfel mit den Messingtafeln im Boden versenkt wurden, so dass sich deren Zahl im Stadtgebiet auf insgesamt 75 erhöhte.

Nur kniend kann Gunter Demnig seine Stolpersteine, wie hier in der Altenkirchener Marktstraße, passgenau einsetzen. (Foto: vh)

Altenkirchen. „Stolpersteine" erinnern an Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid gedrängt wurden. In Altenkirchen war es einem überschaubaren Kreis von Interessierten gelungen, 75 Einzel- und Familienschicksale ehemaliger jüdischer Bürger zu recherchieren, an deren jeweils letztem frei gewählten Wohnsitz nunmehr das jeweilige Los schriftlich wachgerufen wird. Gunter Demnig, Künstler und „Erfinder“ der Gedenkaktion, ließ sich am Mittwochmorgen (10. Mai) bei der dritten Verlegung erneut selbst auf seine Knie nieder, um die noch fehlenden 18 Stolpersteine an Ort und Stelle in den Grund und Boden einzupassen. „Der logistische Aufwand, die sorgfältige Verortung und Zuordnung der Verlegestellen wären ohne das Historische Quartier nicht möglich gewesen. Auch die Unterstützung durch das Büro des Stadtbürgermeisters sowie Matthias Gibhardt und aktuell Ralf Lindenpütz haben uns viele Türen geöffnet und manche Vorbehalte gegenüber dem Projekt entkräftet“, betonte Martin Autschbach, Schulpfarrer der evangelischen Kirchenkreise Altenkirchen und Wied, der sich gemeinsam mit Horst Pitsch vom Förderverein Bismarckturm, unter dessen Dach auch das Stadtarchiv, das Historische Quartier, angesiedelt ist, intensiv um die Realisierung des Projektes gekümmert hatte. „Dass uns 12 Nachkommen der jüdischen Familie Fultheim aus Israel aus Anlass der Verlegung im Jahr 2022 im Rahmen der Altenkirchener Menschenrechtstage besuchten, war sicherlich ein besonders bewegendes Ereignis unserer Gesamtaktion“, fügte Autschbach an und ging ein wenig kritisch auf die Haltung der Stadt ein: „Es hat jahrelang gedauert, um Stolpersteine verlegen zu können. Die Stadt hat lange gebraucht, um sich jüdischer Geschichte zuzuwenden.“ Nun könne aber die jüdische Geschichte bewahrt werden.

100.000. folgt am 26. Mai
Wie viele Stolpersteine Demnig eigenhändig verlegt hat, weiß er nicht genau. Erinnern kann er sich an den ersten am 16. Dezember 1992, einen Vorläufer und noch nicht in die Aktion eingebunden, vor dem Kölner Rathaus mit Bezug zum Befehl Heinrich Himmlers, dem Reichsführer SS, alle innerhalb des Deutschen Reichs lebenden Sinti und Roma zu deportieren. Der 100.000. soll vom 26. Mai an in Nürnberg an einen Mann erinnern, der ein „Radioverbrechen“ beging und hingerichtet wurde, weil er den Sender des damaligen Feindes, die englische BBC, gehört haben soll, berichtete Demnig an der ersten Station in der Marktstraße, wo, wie an allen anderen weiteren Stationen auch, Schüler der Fachoberschulklassen der August-Sander-Realschule plus die Lebensläufe der Menschen vortrugen, für die der jeweilige Stolperstein bestimmt war. Auch die Klasse 10/6 der Schule sowie weitere Interessierte verfolgten die Handarbeit des Künstlers, die Steven Weinand (war bei allen drei Verlegungen dabei) und Andre Selzer, beide Mitarbeiter des Bauhofes der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld, finalisierten, in dem sie Pflastersteine passend schnitten, in den Belag einsetzten und Fugen zukehrten. Das Projekt in der Kreisstadt liegt/lag federführend beim Förderverein Bismarckturm. Die Finanzierung erfolgte über Spenden und war schnell aufgrund einer enormen Resonanz gesichert. „Innerhalb von acht Wochen waren alle Steine bezahlt“, berichtete Pitsch, der den Geldgebern ein großes Kompliment aussprach, „weil das so gut gelaufen ist“. In erster Linie bildeten bei den Nachforschungen zwei Bücher die Grundlagen: „Juden in Altenkirchen - Geschichte, Erinnerungen, Schicksale" (Margret Stolze, Heinz Krämer, Eckhard Hanke) und „Jüdische Familien aus den Gemeinden der Verbandsgemeinde Altenkirchen 1933 bis 1945" von Dr. Eberhard Blohm, der ebenfalls der Zeremonie beiwohnte.



Kunstkonzept aus dem Jahr 1992
Demnig entwarf 1992 das Kunstkonzept für die Stolpersteine und hat dieses stetig weiterentwickelt. Nicht nur ist jeder Stein ein Kunstwerk, da er ästhetischen Ansprüchen genügen muss und per Hand von einem Bildhauer hergestellt wird, sondern auch alle Steine und involvierten Menschen bilden in ihrer Gesamtheit eine soziale Skulptur, wie er in Anlehnung an Joseph Beuys beschreibt. Einen Großteil der Steine verlegt Demnig selbst. Er möchte vor Ort sein, um einen würdigen Rahmen zu garantieren: Dazu gehört unter anderem, die Stelle für die Verlegung zu sehen und Kontakt mit Interessierten und ggf. Angehörigen zu haben. Die Kurzbiografien können theoretisch überall dort verlegt werden, wo die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 ihre Verbrechen begingen. Voraussetzung ist die Genehmigung der Kommune, da die Steine (bis auf wenige Ausnahmen) auf öffentlichem Grund ihr Zuhause finden. Stolpersteine werden in Deutschland wie auch in vielen weiteren europäischen Ländern verlegt. Sie gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Die Marke Stolpersteine ist seit 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt und seit 2013 auf europäischer Ebene geschützt. Bei Demnigs letzter Verlegung in Norwegen im September des vergangenen Jahres beteiligte sich auch Kronprinzessin Mette-Marid, die Auszüge aus „Stolpersteine“ des norwegischen Dichters Ole Robert Sunde vortrug. Das jüdische Museum in Oslo hatte das Projekt nach Norwegen gebracht.

Hammer und Schlagbuchstaben
Die quadratischen Messingtafeln mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit von Hand mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingeschlagenen Lettern beschriftet und werden von einem angegossenen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 96 × 96 und einer Höhe von 100 Millimetern getragen (Gewicht zwei Kilogramm). Die Kosten für einen Stolperstein in Höhe von ungefähr 120 Euro, für die Paten oder andere Spender aufkommen, sind so berechnet, dass Verlegung und Projektablauf sichergestellt sind. Von dem Betrag werden sowohl das Material, die Organisation, die Beratung, die Nachrecherche, die pädagogische Begleitung von Schulklassen, die Herstellung der Steine per Hand, der Transport mit Post und Auto, die Anreise, das erforderliche Material für den Einbau, das eigentliche Verlegen als auch die Einpflege der Daten und Biografien der Opfer in Demnigs Datenbank finanziert.

In Berlin geboren
Am 27. Oktober 1947 in Berlin geboren, wuchs Demnig in Nauen und Berlin auf. 1967 legte er das Abitur ab und begann ein Studium der Kunstpädagogik an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. 1969/1970 folgte ein Jahr Industrial-Design-Studium an derselben Hochschule. Von 1971 an setzte er das Kunstpädagogik-Studium an der Kunsthochschule Kassel fort und legte 1974 dort das Erste Staatsexamen ab. Im selben Jahr begann Demnig erneut ein Kunststudium in Kassel bei Harry Kramer, dem ab 1977 für zwei Jahre die Tätigkeit in Planung, Bauleitung und -ausführung von Denkmalsanierungen folgte. Von 1980 bis 1985 war Demnig künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel. 1985 eröffnete er ein eigenes Atelier in Köln und arbeitete bei mehreren Projekten mit. Nach weiteren Stationen in Köln verlegte Demnig 2017 sein Atelier nach Elbenrod (Stadtteil von Alsfeld) in Hessen. (vh)


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