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Nachricht vom 08.06.2023    

Bürgermeister Jüngerich: Dörferentwicklung im Inneren und nicht an den Rändern

Neuer Flächennutzungsplan, vermehrter Zuzug, weitere Baugebiete, zusätzliche Kindertagesstättenplätze: Auf den ersten Blick scheinen diese Dinge nicht viel gemein zu haben, auf den zweiten aber bereiten sie der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld im Paket doch einige Sorgen, wie Bürgermeister Fred Jüngerich darlegt.

Da liegt noch viel Arbeit auf dem Tisch: Bürgermeister Fred Jüngerich und die Verwaltung der VG müssen in den kommenden Jahren einen neuen Flächennutzungsplan aufstellen. (Foto: Archiv vh)

Altenkirchen. Die Vorgabe ist klar: Die Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld muss bis Ende des Jahres 2027 einen neuen Flächennutzungsplan als Folge der Fusion (1. Januar 2020) aufstellen. Das pure Aneinanderkleben der Versionen der beiden Alt-VGs ist verboten. In die neue Bauleitplanung spielt beispielsweise die Forderung einiger Ortsgemeinden nach Ausweisung neuer Baugebiete hinein. Parallel sind jedoch noch Baulücken in den Innenbereichen vorhanden. Darüber hinaus hält der Zuzug von Menschen (auch abseits der Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine) in die große Verbandsgemeinde an. Neue Bürger benötigen natürlich Wohnraum und wahrscheinlich für ihren Nachwuchs Plätze in Kindertagesstätten. Welche Hürden ergeben sich aus der komplexen Entwicklung des neuen Flächennutzungsplans? Bürgermeister Fred Jüngerich nimmt in einem Interview Stellung zur Problematik. Das Gespräch im Wortlaut:

Die Verbandsgemeinde muss einen neuen Flächennutzungsplan (FNP) bis 31. Dezember 2027 aufstellen. Ein Zusammenlegen der beiden Pläne aus der Zeit von vor der Fusion geht nicht. Parallel ist der Zuzug in die Verbandsgemeinde - unabhängig von Flüchtlingen aus der Ukraine - recht groß. Wird dem Ruf vieler Ortsgemeinden nach neuen Baugebieten im neuen FNP Rechnung getragen werden können?
Die Frage, die sich mir stellt, ist: Weshalb ist dieser Ruf in einigen Ortsgemeinden nach wie vor so stark im Trend? Die Vorstellung, dass mehr Menschen im Dorf auch automatisch mehr Geld in die Gemeindekasse spülen (Steuern), ist ein Trugschluss. Mehr Menschen beanspruchen mehr Infrastruktur, und die wird immer teurer. In die Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld sind in den zurückliegenden zwei Jahren 1500 Neubürger zugezogen. Lediglich 700 davon waren Flüchtlinge aus der Ukraine. Wir verzeichnen nach wie vor Zuzugsströme aus dem Köln-Bonner Raum. Der Zuzug insgesamt hat zur Folge, dass unsere 16 Kindertagesstätten und sechs Grundschulen „aus allen Nähten platzen“. Außerdem fordert das Land Rheinland-Pfalz Um- und Erweiterungsbaumaßnahmen für unsere bestehenden Einrichtungen, es gibt hierfür aber kaum Landeszuschüsse. Allein im Kindertagesstätten- und Schulbereich sind wir aufgerufen, 11,5 Millionen Euro in den nächsten vier bis fünf Jahren zusätzlich zu investieren. Das können wir uns nicht leisten. Das von mir aufgeführte Beispiel lässt sich um weitere Aufgabenbereiche (Breitbandversorgung, Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung usw.) ergänzen.

Was wird die Verwaltung den Ortsgemeinden sagen, denen keine neuen Baugebiete zugestanden werden, und wie wird das entschieden?
Die Beschlussfassung über den FNP obliegt dem Verbandsgemeinderat. Wir haben derzeit ein Planungsbüro mit der Bestandsanalyse zur Erstellung des neuen FNPs beauftragt. Es gibt über 400 unbebaute Grundstücke in der Verbandsgemeinde, die nach derzeitigem Rechtsstand, also nach den alten FNPen, im beplanten und im unbeplanten Innenbereich bebaubar sind. Mir ist bewusst, dass diese Grundstücke nicht alle dem Markt zur Verfügung stehen, daher müssen wir Anreize schaffen, um die Marktsituation insoweit zu verbessern. Die Ortsgemeinden müssen einen deutlich stärkeren Fokus auf die Innenentwicklung im Zuge einer Nachverdichtung legen. Ein Weitermachen wie in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren ist nicht machbar!

Nicht betroffen davon sind die Baugebiete, die derzeit verwirklicht werden?
Die Baugebiete, die derzeit in der Umsetzung sind, sind als beplanter Innenbereich in den 400 unbebauten Grundstücken enthalten. Alles in allem muss die Verbandsgemeinde als Trägerin der Bauleitplanung Obergrenzen, sogenannte Schwellenwerte, einhalten. Das hat zur Folge, dass im neuen FNP ein bisher landwirtschaftlich genutztes Grundstück Bauland werden könnte, dafür aber eventuell eine bisherige Baulanddarstellung für ein noch unbebautes Grundstück an anderer Stelle zukünftig wieder in eine Fläche für die Landwirtschaft umgewandelt wird. Entscheidend wird insoweit auch sein, ob die Ortsgemeinden ihr Kontingent bereits jetzt ausreizen oder nicht.

Die Verbandsgemeinde wird also künftig verstärkt darauf achten, dass im Innenbereich Baulücken geschlossen werden (müssen)…
Richtig. Ich möchte ein Förderprogramm zur Stärkung der Innenentwicklung vom Verbandsgemeinderat beschließen lassen. Andere Verbandsgemeinden im Westerwald, beispielsweise die Verbandsgemeinden Wallmerod und Westerburg, haben sehr gute Erfahrungen mit der Umsetzung der Förderprogramme gemacht. Wir müssen Anreize dafür schaffen, dass sich Neubauten in erster Linie auf den Innenbereich, also auf die Ortskerne, konzentrieren. Gleiches gilt für Umbauten eines leerstehenden früheren Geschäftsraums oder eines Ökonomiegebäudes in Wohnraum. Die Bebauung in der Peripherie, also weitere Neubaugebiete, muss aus ökologischer und ökonomischer Sicht die Ausnahme werden. Aus ökologischer Sicht deshalb, weil zusätzliche Flächenversiegelungen die Folgen des Klimawandels nur noch verstärken - Stichworte: Abflussproblematik bei Starkregenereignissen, Aufheizen der Ortskerne, Zerstörung von Lebensräumen. Daher möchte der Bund bis zum Jahr 2050 eine sogenannte Flächenkreislaufwirtschaft erzielen. Das bedeutet, dass keine weiteren Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke mehr ausgewiesen werden. Von diesem Ziel sind wir deutschlandweit bei momentan 55 Hektar Versiegelungsfläche pro Tag - das sind 77 Fußballfelder - noch weit entfernt.
Aus ökonomischer Sicht sind Neubaugebiete finanziell kaum noch darstellbar. Die Erschließungskosten für Straßenbau, Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Breitbandausbau und weitere Infrastrukturanlagen sind durch die derzeit nach wie vor anhaltende Inflation kaum noch aufzubringen.



Innenentwicklung bedeutet auch, dass die Kosten für die Verbandsgemeindewerke dank bereits vorhandener Wasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsinfrastruktur geringer werden, die Zahl der erforderlichen Kindertagesstättenplätze aber weiter steigen kann…
Dessen bin ich mir bewusst. Die Verbandsgemeinde möchte junge Familien mit Kindern auch nicht fernhalten - im Gegenteil. Sie sind unsere Zukunft. Durch die angesprochene Förderung der Innenentwicklung (Nachverdichtung) ist die Verbandsgemeinde bestrebt, die Menschen in das Zentrum der Orte zu bringen - und nicht an den Rand -, um damit die Ortskerne und die Innenstadt Altenkirchens wieder stärker zu beleben. Zudem spart Bautätigkeit im Innenbereich unserer Ortschaften Infrastrukturkosten ein, und zwar sowohl für die Verbandsgemeinde als auch für die Ortsgemeinden, weil Straßen, Wasser- und Abwasserleitungen, Glasfaserkabel usw. bereits vorhanden sind und nicht, wie in einem Neubaugebiet am Rande eines Dorfes oder der Stadt, für teures Geld neu gebaut bzw. verlegt werden müssen. Die Erschließung eines Baugrundstücks mittlerer Größe (700 bis 800 Quadratmeter) in einem Neubaugebiet verursacht allein für die Wasserversorgung und für die Abwasserbeseitigung Kosten in Höhe von 10.000 Euro bis 15.000 Euro - und das netto, nach Abzug der gezahlten Einmalbeiträge. Dieses Geld muss von den Verbandsgemeindewerken über den „Wasserpreis“ (Gebühren und Beiträge) refinanziert werden.

Wo sind die Zuzugsschwerpunkte in der Verbandsgemeinde?
Den größten Zuzug verzeichnen wir in Autobahnnähe, also im Großraum Horhausen, sowie in den Ortschaften entlang der B 8, beginnend an der Landesgrenze in Kircheib, im Großraum Weyerbusch. Aber auch in der Stadt Altenkirchen gibt es Einwohnerzuwachs. Dies liegt natürlich auch an den aus meiner Sicht nach wie vor zu niedrigen Preisen für Bauland im Vergleich zu den Kommunen im unmittelbar angrenzenden Nordrhein-Westfalen.

Inwieweit spielen mögliche künftige Gebietsreformen eine Rolle?
Ich glaube nicht, dass sich Fusionen von Ortsgemeinden nennenswert auf den Zuzug auswirken, wenn überhaupt. Weniger Ortsgemeinden bedeuten allerdings weniger Verwaltungsaufwand und somit niedrigere Personalkosten. Es ist ein Unterschied, ob unsere Verwaltung die Erstellung von Haushaltsplänen und die Begleitung von Ratssitzungen für derzeit 67 Ortsgemeinden umzusetzen hat oder beispielsweise nur für 40.

Haben Sie einen Wunsch, der sich im Verlauf des Verfahrens hoffentlich erfüllen lässt?
Mein Wunsch ist es, dass es der Verbandsgemeinde gemeinsam mit den Ortsgemeinden gelingt, die Bauleitplanung künftig nach den zuvor aufgezeigten Grundsätzen zu gestalten und dass die häufig zitierte „Weiterentwicklung der Gemeinden“ fortan im Inneren unserer Dörfer und nicht in den Randbereichen geschieht. Nur so gewährleisten wir, dass auch nachfolgende Generationen noch Raum für eigene Gestaltung haben und dass in 30 oder 40 Jahren der Westerwald noch als solcher wiederzuerkennen ist. (vh)


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