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Nachricht vom 14.11.2023    

Klinikreform: Kündigungen in Altenkirchen wohl eher nicht zu erwarten

210 Minuten, weit über 100 Zuhörer, teils Beifall, teil Gelächter: Die Sondersitzung des Kreisausschusses des Altenkirchener Kreistages brachte ein wenig mehr Klarheit, warum die DRK-Trägergesellschaft Rheinland-Pfalz für die fünf Hospitäler, die sich in der Insolvenz in Eigenverwaltung befinden, inzwischen eine Strukturreform durch den Gläubigerausschuss genehmigen ließ, die die Altenkirchener Klinik arg beutelt.

In einer Sondersitzung des Kreisausschusses wurde über die Zukunft des Krankenhauses Altenkirchen gesprochen. (Foto: vh)

Altenkirchen. Da waren Sitzfleisch und Standfähigkeit gefragt: Dreieinhalb Stunden lang legten Manuel Gonzáles als Aufsichtsratsvorsitzender der DRK-Trägergesellschaft Süd-West und Christian Eckert, Geschäftsführer der Berater-Firma WMC Healthcare, in einer Sondersitzung des Kreisausschusses des Kreistages Altenkirchen am Dienstagmorgen (14. November) vor über 100 Zuhörern, die teils kräftig applaudierten, aber auch herzhaft lachten, dar, warum eine Strukturreform für die drei Krankenhäuser in Altenkirchen, Hachenburg und Kirchen (daneben noch die Standorte Neuwied und Alzey) unumgänglich ist und warum es Altenkirchen offenbar am härtesten treffen wird. Die DRK-Trägergesellschaft Süd-West (Mainz) hatte die Pläne für ihre untergeordnete zahlungsunfähige DRK Gemeinnützige Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (Träger der fünf Hospitäler) ausarbeiten lassen. Die vermeintlich gute Nachricht vorweg: „Wir haben bislang keinem Mitarbeiter gesagt, dass er gekündigt wird. Wir wollen ihnen allen entsprechende Arbeitsfelder anbieten, ein Angebot machen, denn überall herrscht Fachkräftemangel“, erklärte Gonzáles und spielte auf eine kursierende Zahl zwischen 150 und 160 Angestellten an, die angeblich noch vor Weihnachten jeweils das Entlassungsschreiben erhalten sollten. „Wir wollen allen die Hand reichen und dem gerecht werden, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, die Menschlichkeit. Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft gestalten für die Region“, fügte er an, „wir kippen nicht einfach was auf die Straße.“

Strukturdefizite in allen drei Häusern
Für Gonzáles war unstrittig, warum die Lage eskaliert ist: „Nach Corona macht sich die Inflation bemerkbar. Die Kostendrücke sind gewachsen, die Patientenzahlen bleiben hinter der Vor-Corona-Zeit zurück.“ Zudem gebe es Strukturdefizite in allen drei Krankenhäusern. Dennoch solle kein Standort geschlossen werden, „wir brauchen Altenkirchen. Wir reden offen mit ver.di und anderen Akteuren. Es braucht eine Lösung um Müschenbach herum“. Dennoch überprüfe der Träger die Konzeption über Landesgrenzen hinaus und müsste auch den Standort Müschenbach überdenken. Fakt ist, dass dem DRK derzeit das Geld fehlt, um das Defizit in Altenkirchen in Höhe von rund 1,1 Millionen Euro aufzufangen. „Wir haben keine starken Finanzierungsstränge. Es geht um Vorhaltekosten, die wir aus eigenen Mitteln nicht mehr decken können. Wir haben aus eigenen Mitteln in den zurückliegenden Jahren 26 Millionen Euro im Westerwald ausgegeben“, berichtete Gonzáles, der drei Wege aufzeigte, um Einnahmen zu generieren: über Leistungen in den Kliniken, über den Kapitalmarkt und über den Träger. „Wenn es nur ums Geld gegangen wäre, hätten wir die Krankenhäuser zugemacht, aber wir wollen die Versorgungssicherheit in der Region“, ergänzte er. Grundsätzlich legte sich Gonzáles fest: „Ein Krankenhaus, wie man es kennt, wird es nicht mehr geben. Das betrifft alle Träger.“ Es sei eine politische Notwendigkeit, die Strukturreform anzustoßen, zumal schon in den Jahren 2013/2014 sich mit der Struktur im Westerwald auseinandergesetzt worden sei. Das DRK sei mit dem Ministerium in Mainz in enger Abstimmung, „am Freitag“, so Gonzáles, „gibt es wieder ein Gespräch mit Minister Hoch.“

Im Westen geringe Falldichte
Eckert analysierte die Gründe, warum sich das Hospital in Altenkirchen auf die massivsten Änderungen einstellen muss. Aus seiner Sicht liegen die Versorgungsschwerpunkte im Osten und Nordosten der Kreisstadt, wogegen der Westen aufgrund der Nähe zu Hennef, Siegburg und Bonn eine geringe Falldichte aufweise. Von allen Fällen der drei Krankenhäuser decke Altenkirchen nur 20, Hachenburg 30 und Kirchen 50 Prozent ab und stelle somit den kleinsten Versorger dar. Unerwähnt blieb, dass bei der Besetzung der Chefarztposition in der Inneren Medizin seit 2011 nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen wurde und womöglich ein Grund für die Orientierung der Patienten Richtung Rhein-Sieg-Großraum sein könnte. Auch der Blick in die Zukunft ins Jahr 2030 spreche für die Eckpunkte der Reform: In Altenkirchen, so prognostizierte Eckert, gingen die Fallzahlen von 5347 im Jahr 2022 um 18 Prozent auf 4384 in sieben Jahren zurück. Der Bettenbedarf (Normalstation) verringere sich ebenfalls in dem berechneten Zeitraum um 45,8 Prozent von 91 auf 49. Ein Krankenhaus, das stationär ausgerichtet sei, werde sich kaum aufrecht erhalten lassen können. Nach seiner Darstellung, von Gelächter aus dem Publikum begleitet, werde Altenkirchen zu einem ambulant-stationären Gesundheitszentrum umgestaltet mit: ambulantem Operieren (Bündelung des OP-Geschehens aus dem Westerwald und Teilen aus Neuwied), mit Medizinischem Versorgungszentrum, Notfall-Ambulanz mit 24/7-Anlaufstelle (Abdeckung durch Kassenärztliche Vereinigung und Krankenhaus am Wochenende/Ausgestaltung muss noch erfolgen), Schmerz-Tagesklinik sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eckert sprach von einem „gravierenden Einschnitt“, verhehlte aber auch nicht, dass die bauliche Struktur auf Altenkirchener Seite Vorteile habe.

Nicht mit einfachen Lösungen hantieren
„Es fällt schwer, sachlich zu bleiben“, beteuerte Dr. Josef Rosenbauer (CDU). Das DRK habe die Häuser damals zu den besten Konditionen übernommen, der Kreis habe bis vor wenigen Jahren die Schulden abgetragen, die von kommunaler Seite beim Übergang vorgelegen hätten. Die Probleme, „die wir jetzt haben, reichen nicht von Corona her. Im Jahr 2023 sind nämlich alle Hilfen weggefallen. Und die Häuser sind nicht mehr so belegt“, analysierte er. 24 Träger mit 36 Standorten befänden sich bundesweit derzeit jeweils in der Insolvenz. Zu sagen, es soll alles so bleiben wie es ist, gehe nicht. Die Situation in Rheinland-Pfalz werde nicht besser, „mit einfachen Lösungen ist nun nicht zu hantieren“. Rosenbauer forderte einen Strukturwandel und fragte sich praktisch in einem Atemzug, warum Hachenburg bei Änderungen immer außen vor bleibe. „Das finde ich ein bisschen seltsam“, konstatierte er.



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Fast 60 Fragen übermittelt
Auch Heijo Höfer räumte ein, dass es laut SPD, die den Entscheidern „fast 60 Fragen hatte zukommen lassen“, Veränderungen geben müsse. „Wir wollen eine zukunftsfähige Struktur, die derzeit noch nicht richtig greifbar ist“, forderte er und erinnerte an die Zeit vor 20 Jahren, als die Krankenhäuser nach einem Bürgerentscheid in die neue Trägerschaft gegangen seien. Auf Wunsch der Beschäftigten sei es kein privater, kein kirchlicher Träger geworden. Vor 20 Jahren sei ein Vertrauensvorschuss dabei gewesen. Als „Zwischenlösung“, um Zeit zu kaufen und neu zu denken, brachte Höfer ins Spiel, den aktuellen Zustand zu belassen und die 1,1 Millionen Euro über den Haushalt des Kreises (Verkauf von RWE-Aktien) zu finanzieren, „wenn es nicht woanders herkommt“. Anna Neuhof (Bündnisgrüne) zweifelte an, dass sehr wenig an fachlicher Expertise in das Gedankenspiel eingeflossen sei. Dem widersprach Eckert deutlich, da das „Konzept umsetzbar ist und Hand und Fuß hat“. Zur Frage Neuhofs, wie und wo denn die Triage (Verfahren zur Priorisierung medizinischer Hilfeleistung) vonstatten gehe, nannte er zunächst den Rettungswagen und als weitere Inaugenscheinnahme des Patienten die Notfallstelle, in der auch die zu Fuß kommenden, verletzten Menschen eingeordnet würden.

Wagner: Die Odyssee wird noch größer
Hubert Wagner (FWG) nahm eine Einordnung aus seiner Sicht vor: „Es geht ums Geld und dann um Menschen, aber es müsste andersherum sein.“ Es sei eine Katastrophe, was sich da abspiele, in einem Level-1-Krankenhaus die Notfallversorgung zum Tode verurteilt. „Hier wird leichtfertig der Standort Altenkirchen aufs Spiel gesetzt“, war sich Wagner sich. So werde die Odyssee, die jetzt schon groß sei, noch größer. Dr. Klaus Kohlhas (FDP) skizzierte, dass bereits heute ohne die Schließung der inneren und chirurgischen Abteilung in Altenkirchen - eine nicht akzeptable Versorgungssituation von akut erkrankten Patienten im Westerwald außerhalb der regulären Öffnungszeiten bestehe. Durch häufiges Abmelden von überbelegten Krankenhausstrukturen in der Region komme es zu Verlagerungen von Patienten nach Linz, Limburg und zum Teil über die Rheingrenzen hinaus. Hierzu habe es bereits in der Vergangenheit intensive Gespräche gegeben. So erneuerte er seine Überzeugung, das Projekt „Statamed“ könne eine Versorgungslücke im Westerwald qualitativ gut schließen und eine kurzstationäre, internistische und wohnortnahe Rund-um-die-Uhr-Behandlung von akut erkrankten und vor allem älteren Menschen verbessern. In diesem Projekt sei eine enge sektorenübergreifenden Vor-Ort-Versorgung sichergestellt.

Damals wohl doch Gespräche mit Selters/Dierdorf
Grundsätzlich sprach sich Fred Jüngerich, dritter Kreisbeigeordneter als auch Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld (auch im Namen von Altenkirchens Stadtbürger Ralf Lindenpütz), zunächst für eine große Westerwald-Klinik aus, zweifelte jedoch den Standort Müschenbach an, „mit dem sich zwei Herren, die die Strippen gezogen haben und das vor Ihrer Zeit, Herr Gonzáles, ein Denkmal setzen wollten“. Und immer noch habe er im Ohr, dass vor Weihnachten 2019, als die Entscheidung zum Standort des Neubaus fiel, gesagt wurde, „mit denen reden wir nicht“, als die Sprache auf die Häuser in Selters und Dierdorf zwecks Zusammenarbeit gekommen sei. Gonzáles erwiderte, dass er nach eingehendem Studium von Unterlagen erkannt habe, dass es sehr wohl Gespräche mit Selters/Dierdorf gegeben habe, die jedoch nicht darauf eingegangen seien. Darüber hinaus gelte es, sich weiter mit Müschenbach zu beschäftigen – vor dem Hintergrund des Standortes und des Inhaltes. Udo Quarz (Die Linke) sah sich seiner ablehnenden Auffassung bestätigt, nachdem er damals gegen die Privatisierung gestimmt habe. Er brach eine Lanze für die Mitarbeiter, die es nicht verdient hätten, „in so eine Bredouille“ zu kommen. „Muss die Wirtschaftlichkeit immer an erster Stelle stehen?“, fragte er in die Runde und forderte zunächst eine Übergangslösung mit Unterstützung von der Kreisebene. Das Fallpauschalensystem verhindere, auf eine schwarze Null zu kommen.

Nicht „Entscheider der Sanierung“
Landrat Dr. Peter Enders rief noch einmal den Übergang der Kliniken in die Trägerschaft des DRK vor beinahe 20 Jahren und auch den kontinuierlichen Abzug von Teilbereichen, die zunächst in Altenkirchen angesiedelt waren, nach Hachenburg ins Gedächtnis. „Zudem wurde der Neubau nicht mittig, sondern vor den Toren Hachenburgs geplant“, rekapitulierte er und verneinte die vielfach geäußerte Bezeichnung, er sei „Entscheider der Sanierung. Das ist falsch“. Die Option, im Insolvenzverfahren einen Beschluss auf den Weg zu bringen, lägen beim Sachwalter und beim Gläubigerausschuss. „Im WMC-Konzept bleiben viele Fragen offen. Altenkirchen ist der große Verlierer. Ich habe bewusst von ,Kahlschlag’ gesprochen“, legte Enders dar. In Kürze würden sich die Kreisgremien mit dem Thema weiter befassen. „Unser Ziel ist es, die stationäre Versorgung in vertretbarem Rahmen in Altenkirchen zu halten“, nannte er den wichtigsten Ansatz der Überlegungen. (vh)


Mehr dazu:   Insolvenz DRK Trägergesellschaft  
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