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Nachricht vom 23.03.2024    

Minister Schweitzer in Hamm: Wir müssen das "Nie wieder" mit Leben erfüllen

Die Demokratie verliert an Boden: Erstmals seit 2004 verzeichnet der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung mehr autokratische als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern sind, so deren Homepage, nur noch 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien steigt auf 70.

Nach getaner Arbeit im Forum des Hammer Raiffeisen-Museums (von links): Colin Haubrich, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Alexander Schweitzer und Philip Schimkat. (Foto: vh)

Hamm. Die Entwicklung ist besorgniserregend: Weltweit befindet sich die Demokratie als Staatsform auf dem Rückzug, weltweit gewinnen Parteien und Gruppierungen, die dem rechten Spektrum angehören, immer mehr Befürworter. So rücken die Demokratiestärkung, die Teilhabe von jungen Menschen und der Kampf gegen Rechtsextremismus auch bei den etablierten Parteien immer mehr in den Vordergrund. Die rheinland-pfälzische SPD hat sich bei ihrem zurückliegenden Parteitag im November 2023 auf die Fahne geschrieben, das Gespräch mit aktiven (jungen) Menschen zu suchen, die sich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus und rechten Hass engagieren. Um das in der Praxis umzusetzen, soll per Dialog mit Bürgern, die sich in Institutionen und Vereinen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stärkung der Demokratie einsetzen, das Vorhaben vertieft werden. „Für uns ist klar, dass wir unsere Demokratie nur stabilisieren und stärken können, wenn wir die Bildungsarbeit bezüglich demokratischer Werte investieren und wenn wir die Teilhabe- und Partizipationsmöglichkeiten weiter ausbauen – gerade für junge Menschen und Jugendliche“, eröffnete Sabine Bätzing-Lichtenthäler, heimische SPD-MdL und Fraktionsvorsitzende der Genossen im Mainzer Landtag, eine Diskussionsrunde im Forum des Hammer Raiffeisen-Museums unter der Überschrift „Demokratisierung und Kampf gegen Rechtsextremismus" am späten Freitagnachmittag (22. März).

Forderung: Wahlrecht ab 16 Jahren
Ohne Menschen, die sich als Demokratinnen und Demokraten verstehen und einbringen, blute die Demokratie aus. Nun existierten - zum Glück - verschiedene Möglichkeiten zur Stärkung des Gemeinsinns und des Zusammenhalts. Eine Option sei beispielsweise die Einführung eines verpflichtenden Demokratiejahres. „Eine weitere ist ein konkreter Energieschub für Teilhabe und Partizipation junger Menschen: das Wahlrecht ab 16 Jahren“, erklärte Bätzing-Lichtenthäler. Bei der Abstimmung am 9. Juni werde das nicht möglich sein, weil die CDU gegen eine Herabstufung sei. Darüber hinaus habe die Ampelkoalition im vergangenen Jahr eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes beschlossen und das passive Wahlalter von 23 auf 18 Jahre gedrückt. „Zudem haben wir 2023 die Beteiligungsrechte von Jugendlichen auf kommunaler Ebene erweitert und daher in der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung festgelegt, dass Jugendliche bei sie betreffenden Vorhaben zu beteiligen sind. Und wir haben etabliert, dass Jugendlichen ein Antragsrecht auf Einrichtung einer Jugendvertretung zusteht“, betonte Bätzing-Lichtenthäler und unterstrich: „Denn die Mitwirkung von Jugendlichen an Entscheidungsprozessen ist wie eine Frischluftzufuhr für die Demokratie. Auch soll ein Landesjugendbeirat bald jungen Menschen eine wirksame Stimme geben.“

Mehr Angriffe von Rechtsextremen
Darüber hinaus nähmen die Angriffe von Rechtsextremen zu, wie die neue Polizeistatistik für politisch motivierte Gewalt belege: 2023 gab es in Rheinland-Pfalz so viele rechtsmotivierte Straftaten wie noch nie: insgesamt 1245 und damit 70 Prozent mehr als 2022 wie Propagandadelikte und rassistische Beleidigungen, Gewalttaten und ein versuchter Totschlag. „Wir als SPD-Fraktion wollen uns an einem Fünf-Punkte-Konzept orientieren: In unserem digitalen Zeitalter müssen wir Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken restriktiver bekämpfen. Wir wollen es Polizei und Verfassungsschutz ermöglichen, besser und früher gegen Finanzströme von Extremisten vorzugehen. Wir müssten plastisch zeigen, wie die AfD unserem Land schadet und unsere Demokratie aushölen möchte. Die Wahrheit über ihre Politik findet sich tausendfach in menschenverachtenden Chat-Nachrichten und in Treffen wie in Potsdam, wo Pläne für Vertreibungen von Millionen Menschen geschmiedet werden. Und schließlich muss gegen die Deportations-AfD auf allen Ebenen, von der Bundes- bis zur kommunalen -, die Brandmauer stehen - auch nach der Kommunalwahl. Wer in unserem Land, dem Land des Holocaust-Verbrechens, eine solche Gleichsetzung vornimmt, hat rein gar nichts aus der deutschen Geschichte gelernt“, erläuterte Bätzing-Lichtenthäler, „für die anstehende Kommunalwahl muss gelten: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Es muss einen demokratischen Konsens von allen Demokratinnen und Demokraten geben.“

Ein Dienst an der Demokratie
„Schon jeder kleine Schritt, schon jeder kleine Dienst in der Nachbarschaft, in der Gemeinde und auch am Miteinander ist ein Dienst an der Demokratie“, nannte Alexander Schweitzer als rheinland-pfälzischer Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung ein aus seiner Sicht einfaches Mittel zur Stärkung eben dieser Staatsform, jeder habe Ressourcen, so etwas zu tun. Wenn nichts dazu beigetragen werde, werde sich auch Demokratie verändern, auch das sei Teil der Wahrheit. „Denn wir brauchen viele, die sich engagieren. Es ist kein Eliteprojekt“, legte Schweitzer dar und warnte beim Blick in die deutsche Geschichte: „Wir dürfen nicht so tun, als hätten die 20-/30er-Jahre des 20. Jahrhunderts nichts zu tun mit denen des 21. Jahrhunderts. Unsere Aufgabe ist es, das ,Nie wieder’ mit Leben zu erfüllen. Das darf keine leere Parole sein.“ Denn es gebe Entwicklungen, von denen „wir vor wenigen Jahren noch geglaubt haben, dass wir sie nicht haben“. Eine rechtsradikale Partei habe das Potenzial, in ostdeutschen Ländern stärkste Kraft zu werden. Da müsse was passiert sein in Deutschland. „Die Erfahrung zeigt, dass viele Entwicklungen, die wir in Deutschland erleben, oftmals in Ostdeutschland fünf, sechs sieben oder zehn Jahre früher begonnen haben, aber dann auch in westdeutsche Gefilde gekommen sind“, analysierte Schweitzer. Es sei eine relevante politische Kraft unterwegs, die dieses Land verändern wolle.



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Möglichkeiten werden zu selten genutzt
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Demonstrationen machte Schweitzer deutlich: „Demokratie hört nicht auf der Straße auf oder beginnt nur im oder hört im Gemeinderat auf. Wir sind in einer Gesellschaft, in der Demokratie nicht vor einem Werkstor, einer Universität oder eine Schulklasse aufhört. Auch da gibt es Beteiligungsmöglichkeiten, welche viel zu selten genutzt werden. Ich habe den Eindruck, dass junge Menschen zurzeit hart umkämpft sind. Ich warne davor zu glauben, dass die Einstellungen, die man mit 18, 19 und 20 hat, einfach verschwinden mit 25 oder 26. Im Gegenteil: Wenn wir nicht aufpassen, kann das eine massive Veränderung für unsere Demokratie und für unsere Bundesrepublik Deutschland bedeuten.“ Die Pandemie habe vielen, „verdammt noch mal, nicht gut getan und meine, alles was an gesundheitlichen, körperlichen seelischen Folgen auf uns zugekommen ist. Ich meine aber auch die Vereinsamung, die für viele Menschen ein Teil ihres Lebens geworden ist“. Wenn die Menschen sich weit zurückgezogen hätten, seien sie ansprechbarer, viel offener für krude Theorien geworden.

Die unregulierte Plattform: TikTok
Laut Schweitzer gibt es einen Kanal, über den sich junge Menschen informierten: „Das ist TikTok, eine Plattform, die so gut wie gar nicht reguliert ist. Wir müssen davon ausgehen, dass hier tatsächlich ein ,rechtsfreier Raum’ existiert. TikTok ist Teil eines Konzerns, der zu 100 Prozent durch die chinesische Regierung reguliert wird. Da sind über 100.000 Menschen, die diesen Algorithmus und den Abfluss von Daten, das Generieren von Daten organisieren. Das ist eine Riesengefahr für freiheitliche Demokratie deshalb, weil das Suchtpotenzial enorm groß ist.“ TikTok sei eine Plattform, die nicht einfach nur Quantität in den sich immer wiederholenden Algorithmus einspeise, sondern tatsächlich die Qualität im Sinne von harte, klare, schnelle, ins Auge springende, in die Psychologie springende Aussagen belohne. Permanent finde in Kinderzimmern, mit dem Smartphone in der Hosentasche bei Kindern eine durch eine chinesische, demokratisch nicht legitimierte Regierung ein Einfluss auf europäische und amerikanische Jugend statt, der dringend in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden müsse. Was in TikTok funktioniere, sei die harte, hart gegnerische Aussage, die Übertreibung, die Überspitzung, der Superlativ – optisch und in der inhaltlichen Aussage. „Wir brauchen also positive Angebote, Angebote auch für junge Menschen, was Beteiligung angeht. Wir brauchen soziale Angebote für junge Menschen“, forderte Schweitzer, „ich habe gerade diesen Aspekt angesprochen, weil ich glaube, dass da etwas passiert, was viel zu wenig auf der Oberfläche unserer Öffentlichkeit diskutiert wird. Wenn Politik sich selbst ernst nimmt und Demokratie schützen will, dann müssen wir uns auch die Muskeln aufbauen, um um große Plattformen wie TikTok herum Zäune aufbauen zu können, über die sie nicht hinwegkommen. Wenn unsere freiheitliche Demokratie gefährdet ist, muss es aber auch möglich sein zu sagen, dass eine solche Plattform in Europa nicht mehr stattfindet. Es wird Zeit, dass wir diese Diskussion führen!“

Demokratie in der Schule lernen
„Schule ist der geeignete Ort, um Demokratie zu lernen“, legte sich Klaus Schneider als zweiter Kreisbeigeordneter und für „Jugend und Familie“ zuständig, ohne Wenn und Aber fest. Er führte die August-Sander-Realschule plus mit Fachoberschule in Altenkirchen und die IGS Betzdorf-Kirchen als Beispiele an, die beide Modellschulen für Partizipation und Demokratie sind. Weitere Schulen seien auf dem Weg, Demokratietage einzuführen. Hilfreich seien auch Einladungen an Schulklassen, in Rathäusern oder im Kreishaus sich zu informieren. Aber auch in Vereinen gelte es, „Demokratie erlebbar zu machen“. Neben Bätzing-Lichtenthäler und Schweitzer hatten sich Jan Hellinghausen als Co-Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Altenkirchen, Yasim Kazan, Schülersprecher des Betzdorfer Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums, und Colin Haubrich, Juso-Kreisgeschäftsführer, an einer Diskussionsrunde beteiligt, die von Philip Schimkat, dem SPD-Kreisgeschäftsführer, moderiert worden war. (vh)


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