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Pressemitteilung vom 01.06.2025    

Ahrtal-Flut: Die unvergessene Tragödie um Johanna

Angesichts der aktuellen Wetterwarnungen, kommt die Erinnerung an die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021, die tiefe Spuren hinterlassen hat. Damals kamen die Warnungen viel zu spät. 136 Menschen verloren ihr Leben, darunter auch die junge Johanna, deren Eltern bis heute für Gerechtigkeit kämpfen und vor den Gefahren solcher Naturereignisse warnen.

Gedenken an Opfer der Ahrtal-Flut. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Am 1. Juni wäre Johanna 26 Jahre alt geworden. Doch an ihrem Geburtstag bleibt der Platz am Tisch leer. Stattdessen versammeln sich Familie und Freunde bei Johannas Eltern. "Die begleiten uns", sagt Vater Ralph Orth. "Die, die das auch aushalten können. Es ist auch für viele andere so schwer, dass sie nicht kommen können."

Johanna wurde im Sommer 2021 buchstäblich von der Ahrtal-Flut mitgerissen - und damit aus dem Leben ihrer Eltern, Familie und Freunden gerissen. Seitdem kämpfen ihre Eltern um Aufarbeitung - ziehen vor Gericht, schreiben öffentliche Briefe, sprechen mit Medien. Alles, damit Johanna nicht vergessen wird und sich eine solche Tragödie nicht wiederholt.

"Sie rief panisch an"
Auch vier Jahre nach der Flut sind die Erinnerungen der Eltern noch lebendig. Fast wörtlich wiederholen sie ein Telefonat mit ihrer Tochter in der Flutnacht. Um halb eins nachts klingelte das Telefon, berichtet Ralph Orth. "Sie rief panisch, dass es dunkel sei, sich die Möbel bewegen würden und sie bekäme die Wohnungseingangstür nicht mehr auf." Seine Frau Inka ergänzt, dass die Tür schon immer schwer aufging. "Johanna war ja auch eine zierliche Person", sagt sie. "Mein Mann hat noch versucht, sie zu beruhigen, ihr einen Ausweg aufzuzeigen. Aber dann riss die Verbindung ab."

Die Eltern versuchten verzweifelt, sie zu erreichen. "Wir haben natürlich dann mehrfach versucht, immer wieder die Nummer zu wählen, durchzukommen. Es ging echt überhaupt nichts", erinnert sich Inka Orth. Sie selbst waren an jenem Morgen nach Mallorca geflogen. "Hätte sie halt diese Wohnungseingangstür aufbekommen, hätte sie sich natürlich im Treppenhaus nach oben flüchten können", sagt sie.

"Sie war unwahrscheinlich Harmonie-bewusst"
Johanna ist eines der 136 Todesopfer der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz. Was bleibt, sind die Erinnerungen an ihre damals 22 Jahre alte Tochter. "Sie war wirklich ein Traum von einem Kind", sagt ihre Mutter. "Johanna war unwahrscheinlich anhänglich. Was sie überhaupt nicht leiden konnte, war Streit", erinnert sie sich. "Das war für sie das Schlimmste, was es gab. Sie war unwahrscheinlich Harmonie-bewusst." Die Eltern und Johanna standen sich nahe. "Sie hat drei-, viermal am Tag mit uns telefoniert", sagt sie. "Wir kannten eigentlich jede Gefühlsregung von Johanna."

"Du fehlst uns schon jetzt unendlich"
Die 60-Jährige kann sich noch gut an den letzten Abend zusammen mit Johanna erinnern, bevor es für das Ehepaar in den Urlaub ging. Johanna hatte ihren Abschluss als Betriebswirtin angestrebt, Konditormeisterin war sie bereits. "Und ausgerechnet, der war jetzt in Präsenz, sonst wäre sie natürlich auch mit uns an dem Tag in Urlaub geflogen", sagt Orth. "Sie wäre also gar nicht im Ahrtal gewesen."

Doch Johanna blieb. Am letzten Abend war sie noch bei den Eltern im Büro und verabschiedete sich. "Mir ist das echt schwergefallen, am nächsten Tag in den Urlaub zu fahren", erinnert sich die 60-Jährige. "Und dann haben wir sie beide noch in den Arm genommen und haben ihr auch gesagt: Du fehlst uns schon jetzt unendlich." Der Satz habe für sie nun eine ganz andere Bedeutung.



"Das Geschehene kann man nicht mehr gut machen"
Seit der Katastrophe kämpfen die Eltern für die juristische Aufarbeitung. Sie haben etwa Beschwerde gegen die Einstellungen der Ermittlungen eingelegt. "Trotz vieler eingereichter Gutachten wurden die Ermittlungen bis jetzt nicht wieder aufgenommen", sagte Ralph Orth. Warum machen sie das? "Das Geschehene kann man ohnehin nicht mehr gut machen", sagt Ralph Orth. "Aber zu erreichen, dass für zukünftige Katastrophen oder ähnliche Dinge dann auch eine klare Verantwortung herausgearbeitet wird."

Die juristische Einschätzung der Staatsanwaltschaft fasst er so zusammen: "Das ist einfach ein Naturereignis, ist gekommen, fertig, Schluss, Ende." Das sei aus ihrer Sicht fatal. "Denn es gibt ja nun mal Verantwortlichkeiten."

Inka Orth sagt, sie verstehe bis zum heutigen Tage nicht, warum es keine Evakuierungspläne gegeben habe. "Wir finden einfach, dass das Leben des Menschen heute nicht mehr im Vordergrund steht. Das ist doch die Priorität, die eigentlich jeder, der in der Verantwortung steht, tagtäglich hat."

"Diese Orte zu sehen, ... das schmerzt natürlich"
Im Ahrtal fühlen sie sich dennoch zu Hause. "Wir haben unsere Familie, also unser Sohn, unser Haus und auch natürlich das Grab von Johanna. Das ist alles in Bad Neuenahr, das ist auch unsere Heimat und da sind wir natürlich auch regelmäßig", sagt der 61 Jahre alte Vater. "Diese Orte zu sehen, wo man Erinnerungen hat, das schmerzt natürlich. Deswegen ist es auch ganz gut, dass wir regelmäßig auch in Hamburg sind." Dort haben sie eine zweite Heimat.

Und in dieser zweiten Heimat haben sie Johanna ein Denkmal gesetzt. "Wir wollten ja auch mit ihr zusammen ihren Traum der eigenen Patisserie umsetzen und haben uns schon gesehen: Mit ihr in der Backstube zu sitzen, dass sie uns zeigt, wie man Pralinen macht, wie sie diese wunderbaren Törtchen ausdekoriert", sagt Inka Orth. "Ja, darauf haben wir uns echt schon total gefreut." Auch hätte sie gerne an Weihnachten die Plätzchen nach dem Rezept der Schwiegermutter mit der Konditormeisterin gebacken.

Johanna hatte sich laut ihren Eltern bereits ein Ladenlokal in Bad Neuenahr ausgesucht und einen Businessplan geschrieben. Doch dann kam die Flut. Ihre Eltern haben den Traum nun für ihre Tochter fortgesetzt. Seit Ende 2024 betreiben sie in Hamburg die "Pâtisserie Johanna".

"Es kann jeden jederzeit treffen"
Ob sie Wünsche für die Zukunft haben? Ralph Orth sagt, er wünsche sich, dass sich mehr Menschen dafür interessieren, was im Leben wichtig sei. Man könne plötzlich in eine Situation geraten, wo man sich auf den Staat verlassen müsse. "Und dann ist der Schutz, den der Staat eigentlich gewährleisten muss, dieser Schutz fehlt", sagt er. "Und das haben wir eben hautnah erlebt, mit dem Schwierigsten und Schlimmsten, was einem passieren kann, dass man ein Kind durch einen solchen Umstand verliert."

Er würde sich wünschen, dass sich mehr Leute dafür interessieren würden. "Weil das kann jeden treffen. Niemand ist freigesprochen von einer solchen Situation. Keiner. Es kann jeden jederzeit treffen."
(dpa/bearbeitet durch Red)



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