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Nachricht vom 14.01.2008    

"Der Mensch im Mittelpunkt"

Raiffeisen, Dasbach und Kardinal Höffner - drei große Söhne des Westerwaldes. Eines verbindet sie: Das Bemühen um die Menschen, der Antrieb, die soziale Frage lösen zu wollen. "Der Mensch steht im Mittelpunkt" war ihr Credo. Josef Zolk, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flammersfeld, befasst sich in seinem Beitrag, den er freundlicherweise dem AK-Kurier zur Verfügung gestellt hat, mit der Gedankenwelt der drei großen Sozialreformer.

raiffeisen

Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1811 - 1888), geboren in Hamm, Georg Friedrich Dasbach (1846 - 1907), geboren in Horhausen, und Joseph Kardinal Höffner (1906 - 1987), geboren ebenfalls in Horhausen - diese drei herausragenden sozialpolitischen Gestalter verbinden der Westerwald als Heimat und der Einsatz für die Menschen als Auftrag. Fast zwei Jahrhunderte umfasst die gemeinsame Lebensspanne. Ganz unterschiedliche politische und soziale Voraussetzungen finden sie vor, die bäuerliche und die vorindustrielle oder gerade beginnende industrielle, kapitalistisch geprägte Wirtschaftsform bis hin zur sozialen Marktwirtschaft, vom Wiener Kongress über die Bemühungen zur Einheit Deutschlands 1848, das Kaiserreich und den Kulturkampf, den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg, die zwei deutschen Staaten, den Sozialismus, die Weltkirche. Und doch verbindet die drei Westerwälder bei unterschiedlichen Aufgaben aufgrund der unterschiedlichen Zeitläufte die soziale Verantwortung um die Menschen. "Der Mensch im Mittelpunkt", das war ihr gemeinsames Credo. Dabei ist auffallend, welch große Gemeinsamkeiten sie hatten.
Alle drei sind christlich geprägt. Evangelisch fundiert in tiefer Gläubigkeit Raiffeisen, katholische Priester mit vorzüglicher (römischer) Ausbildung und tiefer Gläubigkeit Dasbach und Höffner. Alle drei sind im ländlichen Raum des Westerwaldes groß geworden. Alle drei kämpferisch, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise: Raiffeisen beharrlich und unermüdlich, ungeheuer fleißig, organisatorisch hoch begabt. Dasbach beharrlich, unermüdlich, aufbrausend und polarisierend, ungeheuer fleißig, ebenfalls organisatorisch hoch begabt. Höffner beharrlich, unermüdlich, leise, ungeheuer fleißig, wissenschaftlich herausragend.
Alle drei nahmen sehr klar die sozialen Realitäten ihrer jeweiligen Zeit wahr und versuchten Abhilfe bei Not und Ungerechtigkeit, gegen die sie sich entschieden wehrten, zu schaffen. Dabei fallen die Gemeinsamkeiten besonders auf: Raiffeisen und Dasbach kämpften entschieden gegen den Wucher im landwirtschaftlichen Bereich und sahen in ihm eines der großen Übel für die ländliche Bevölkerung. Sie sahen im Genossenschaftswesen die Chance zur besseren wirtschaftlichen Teilhabe der (bäuerlichen) Bevölkerung und setzten sich mit großem Engagement dafür ein, um Wucher, Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen. Sie forderten und förderten unermüdlich die konkrete Eigentumsbildung der Bauern, Winzer und Bergleute. Beide gründeten Darlehenskassen und landwirtschaftliche Banken, Dasbach nach dem Vorbild Raiffeisens, dessen Ideen und Lebenswerk er kannte, und mit dem er in eifrigem Briefwechsel stand. Leider ist dieser Briefwechsel in den Trümmern des Zweiten Weltkrieges untergegangen.
Alle drei sahen in einer breiten Eigentumsbildung der Bevölkerung eine wichtige politische Aufgabe. Berühmt ist Höffners Rede zur Eigentumsbildung auf dem Bochumer Katholikentag 1949; berühmt ist aber auch, und da fällt die Identität des Ortes auf, der Beitrag Dasbachs auf der 36. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands 1890 in Bochum, auf der er sich entschieden für die Lösung der sozialen Frage einsetzte. Raiffeisen setzte sich für die Erzbergleute im Siegerland, Dasbach für die Bergleute im Saarland ein, wenn sie auch zeitgebunden mit unterschiedlichen Methoden arbeiteten. Höffners Schrift über die soziale Lage der Bergleute aus den 1950er Jahren verdeutlicht seine Kenntnis der Fragen und Themen. Gemeinsam ist allen die scharfe Wahrnehmung der sozialen Situation und die sich daraus jeweils ergebende Aufgabe, für die sie Lösungen suchten, sehr praktisch und lebensnah Raiffeisen und Dasbach, theoretisch fundiert und begründet Höffner.
Raiffeisen war gerade Bürgermeister in Flammersfeld, als Marx und Engels 1848 das "Kommunistische Manifest" veröffentlichten. Raiffeisen sah die Not der Menschen und versuchte konkret, nicht theoretisch, Lösungen im Interesse der Menschen zu finden. Er gründete aus der Mikrosicht seiner Arbeit heraus den "Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte", um Not zu lindern. Marx wollte das System ändern, Raiffeisen den Menschen helfen. Ähnlich bei Dasbach: Seine Arbeit an der Saar für die Bergarbeiter, sein Eintreten für die sozialen Belange seiner Wähler führten ihn in das preußische Abgeordnetenhaus und in den Reichstag. Er wurde zusammen mit Windthorst einer der sozialpolitischen Gegenspieler Bismarcks, der mittels Kulturkampf, Sozialistengesetz und sozialpolitischem Reformwerk die konservative Reichsordnung erhalten wollte, während Dasbach sich sehr praktisch mit den Bergarbeitern an der Saar solidarisierte und sich in besonderem Maße für die Belange der unteren Volksschichten einsetzte.
Dasbach, der einsatzfreudige, aktive Politiker, der keinem Streit aus dem Weg ging, starb, als Höffner noch nicht ein Jahr alt war. Höffner, der Dasbachs Arbeit später ausdrücklich – auch schriftlich – würdigte, während es keine schriftlichen Zeugnisse Höffners zu Raiffeisen gibt, obwohl ihm Raiffeisen und dessen Werk bekannt sein mussten, ging einen anderen, aber ebenso einflussreichen Weg. Als Berater vieler Bundesregierungen, Mitglied vieler politischer Kommissionen, als geistlicher Beirat des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU), als Professor, Bischof und Kardinal äußerte er sich zu vielen gesellschaftspolitischen Themen und Fragen. Er war gefragt, und er war oft unbequem. Nicht ruppig wie Dasbach, aber ebenso deutlich. Raiffeisen ist natürlich besonders bekannt für sein Engagement für die Menschen des ländlichen Raums, aber es darf nicht vergessen werden, dass ihm in seiner Neuwieder Zeit die Probleme der Industriearbeiter begegneten, mit denen er sich auseinander setzte und Lösungen beziehungsweise Hilfen suchte für die einzelnen Menschen. Dasbach erfuhr die Auseinandersetzungen um die Proletarisierung der Arbeiterschaft ganz konkret in seiner politischen Tätigkeit und sozialen Wahrnehmung. Höffner setzte sich wissenschaftlich mit seiner fundierten volkswirtschaftlichen Ausbildung mit der Industrialisierung und der Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft auseinander. Ein aktuelles Thema verbindet die drei sehr stark: Dasbach schreibt in seiner Interpretation zur Sozialenzyklika von Papst Leo XIII.: "Der Arbeitslohn muss ausreichen für Nahrung, Wohnung und Kleidung des Arbeiters und seiner Familie". Auch wenn die einzelnen Formulierungen unterschiedlich sind, die gleichen Gedanken finden wir bei Raiffeisen und Höffner. Es bleibt also ein Auftrag für die heutige Diskussion.
Alle drei sahen in der Würdigung der Familie eine zentrale christliche Aufgabe, deren Wichtigkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Alle drei hatten großes publizistisches Interesse und nahmen hier vielfältige Aufgaben wahr und sahen durch Publikationen große Chancen der Beeinflussung. Die Druckerei in Neuwied trägt bis heute Raiffeisens Namen. Seine Blätter trugen entscheidend dazu bei, seinen Ideen die große Resonanz zu verschaffen und den engen regionalen Bereich zu überschreiten. Natürlich ragt hier Dasbach mit seinen Zeitungen und Verlagen heraus, hier war er unermüdlich, er schrieb ja ausgesprochen gern und auch gern polemisch und nutzte seine wechselnden Zeitungen als Propagandaorgane. Höffner versuchte ganz anders, aber ebenfalls nachhaltig, durch seine große wissenschaftliche Arbeit Einfluss zu nehmen, was ihm national und international gelang. Seine "Christliche Gesellschaftslehre" ist bis heute aktuell, im Ausland vielleicht mehr als in Deutschland.
Alle drei hatten sie großes Interesse am Ausbau der Bildung. Raiffeisen gründet zum Beispiel in Neuwied die Volksbücherei, kümmert sich als Bürgermeister um Schulen und verlangt eine solide Ausbildung der Lehrer als Voraussetzung zur Verbesserung der Volksbildung. Dasbach gab seinen Zeitungen, seiner Volksbibliothek, den Broschüren und Büchern volksbildnerische und politische Funktionen. Das Schriftenverzeichnis von Höffner zeigt, wie wichtig ihm dieses Thema "Bildung" war.
Die Wege der drei sozialpolitischen Gestalter aus dem Westerwald waren so unterschiedlich wie ihre Temperamente. Gemeinsam ist ihnen die Sorge um das Wohl der Menschen und aus christlicher Sicht das Heil der Menschen. Kreativ, einfallsreich suchten sie Lösungen. Nicht für die Systeme, sondern für die Menschen. Warum der Westerwald der Nährboden für die drei großen Gestalter sozialpolitischer Verantwortung ist, kann man nicht beantworten. Wir dürfen aber dankbar sein für ihr Werk und ihren Auftrag. "Der Mensch im Mittelpunkt", dafür lohnt es auch heute zu denken, zu streiten, zu arbeiten. (Josef Zolk)
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Foto: Friedrich Wilhelm Raiffeisen



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