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Nachricht vom 20.01.2008    

Integration stand im Mittelpunkt

Zum Thema "Die Integrationsbemühungen der muslimischen Gemeinden in die deutsche Gesellschaft" referierte am Freitagabend beim 11. gemeinsamen Neujahrempfang der beiden Hammer Kirchengemeinden und der Verbandsgemeinde der Beauftragte für Dialog und Zusammenarbeit der türkisch-islamischen Union, Rafet Öztürk. Vorausgegangen war ein ökumenischer Gottesdienst.

neujahrsempfang in Hamm

Hamm. In Hamm ist es zur Tradition geworden, das neue Jahr im Zeichen der Gemeinsamkeit und der Gemeinschaft zu beginnen. Zum Neujahrsempfang hatten Pfarrer Holger Banse als Vorsitzender des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Hamm, Pfarrer Josef Rottländer als Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Katholischen Kirchengemeinde Hamm sowie Bürgermeister Rainer Buttstedt für die Verbandsgemeinde Hamm eingeladen, um den in den vergangenen Jahren mit und unter den Vereinen, Kommunalpolitiker, Abgeordneten, Verbänden, Institutionen, Vertretern aus Handel, Gewerbe und Industrie begonnenen zukunftsweisenden Dialog im Dietrich-Bonhoeffer-Haus fortzuführen. Vorausgegangen war ein ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche "St. Joseph".
Zu Beginn seiner Ausführungen betonte Bürgermeister Rainer Buttstedt vor 150 Anwesenden, dass mit dem diesjährigen Referat "Die Integrationsbemühungen der muslimischen Gemeinden in die deutsche Gesellschaft" des Beauftragten für Dialog und Zusammenarbeit der türkisch-islamischen Union, Rafet Öztürk, die im vergangenen Jahr durch Diplom-Theologe Werner Höbsch aufgeworfene Thematik "Religion – Störfaktor oder Motor der Integration" ihre Fortsetzung finden sollte. Deshalb rief Buttstedt die wichtigsten Kernaussagen des Höbsch-Referates nochmals in Erinnerung. Kaum vergehe ein Tag, so hatte Höbsch beim vorjährigen Neujahrsempfang ausgeführt, an dem nicht Qualifiziertes oder weniger Qualifiziertes in den Medien zum Thema "Islam" zu lesen, zu sehen oder zu hören sei. Der Islam in Deutschland sei nicht mehr nur ein Thema für Spezialisten, sondern für die gesamte Gesellschaft; der Islam sei in Deutschland nicht nur angekommen oder zu Besuch, sondern werde dauerhaft präsent sein. Die heutige Gesellschaft verändere sich in einem rasanten Tempo und dazu zähle auch, dass sie sich zu einer multikulturellen oder besser formuliert zu einer mehrkulturellen Gemeinschaft entwickle. Dieser Prozess vollziehe sich bereits seit mindestens drei Jahrzehnten, werde aber erst jetzt in seinem Ausmaß von der gesamten Gesellschaft wahrgenommen. Den Begriff "Integration" hatte Werner Höbsch damit definiert, dass weder Assimilation, noch Isolation, noch völlige Anpassung, noch Vereinzelung darunter verstanden werden sollte. Integration bedeutet nach Höbsch auch nicht "du musst so werden wie ich, oder ich muss so werden wie du". Aber unter dem Begriff "Integration" dürfe auch nicht "Beliebigkeit im Nebeneinander" wie "du hast deine Welt, ich habe meine Welt – stören wir uns nicht" verstanden werden. Der vorjährige Referent hatte unter Integration weiter erläutert: Partizipation, Teilhabe, die Beteiligung an der Gestaltung der Gesellschaft in Politik, Wirtschaft und Vereinen. Auch das Einbringen von ehrenamtlichem Engagement sei ein wichtiger Gradmesser für das Gelingen einer Integration. Und hierbei sei die Mehrheitsgesellschaft, ebenso wie die Migrantinnen und Migranten gefordert. Die Mehrheitsgesellschaft habe Möglichkeiten der Beteiligung zu eröffnen und um die Beteiligung von Migrantinnen und Migranten zu werben. Die Migrantinnen und Migranten seien aufgefordert, sich aktiv in die Gestaltung der Gesellschaft einzubringen und nicht nur jammernd, klagend oder fordernd am Rande stehen zu bleiben. Der Theologe hatte vor einem Jahr weiter ausgeführt, dass der Feind jeder Integration das Desinteresse sei und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Anderen. Desinteresse fördere Gleichgültigkeit und vermittle ein Gefühl der Missachtung und könne in Krisensituationen umschlagen in Abgrenzung, Abschottung und Ausgrenzung. Das Interesse am Anderen, an seinem Lebensentwurf, seiner Literatur, seinen Liedern, seinem Glauben und seinen Erfahrungen machten nicht ärmer, sondern reicher. Auf der Basis des gegenseitigen Interesses sei Integration erst möglich. Integration dürfe aber auch nicht zu einem technischen Prozess werden, der abgespult oder abgewickelt werde, sondern bedeute zuerst Begegnung. Eine Gesellschaft, die sich nicht verändere, erstarre. Wandlung sei ein Zeichen jeder lebendigen Gesellschaft. Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der religiösen Gemeinschaften seien Ausdruck der Wandlungsprozesse. Religiöse Gemeinschaften gestalteten eigene Räume – religiöse und soziale. Dieses Recht nähmen alle Religionen in der heutigen Gesellschaft in Anspruch – selbstverständlich auch der Islam, aber auch die zahlreichen anderen. Damit vermittle man den Angehörigen Geborgenheit, Sicherheit und einen Ort der Orientierung. Für viele Zuwanderer und Aussiedler sei die Religion ein wichtiger Identitätsfaktor. Migranten benötigten Orte, Gebäude, um ihren Glauben würdig zu leben und zu feiern. Die Einrichtung des islamischen Religionsunterrichtes an Schulen in Deutschland wäre ein wesentlicher Beitrag zur Integration, ebenso wie die Errichtung von Moscheen. "Laut Höbsch sind Moscheen nicht nur Orte des Gebetes und der religiösen Versammlung", so Rainer Buttstedt abschließend, "sondern auch der Wertevermittlung und Erziehung. Und daran ändern auch wenige negative Beispiele nichts. Migrantenreligionen nähmen und forderten zunehmend ihren Platz als Institutionen der deutschen Gesellschaft ein. Der Zusammenhang zwischen Migration und Religion seien dabei unbestritten. Jedoch dürfe dieser Zusammenhang - so eine Studie der Bochumer Universität - nicht dazu führen, den religiösen Faktor bei jedem kulturell bedingten sozialen Konflikt in Anschlag zu bringen."
Ein Grußwort übermittelte auch Landrat Michael Lieber, der als ehemaliger Bürgermeister der Stadt und Verbandsgemeinde Betzdorf im Jahre 2003 die erste kommunale Partnerschaft zwischen einer rheinland-pfälzischen und türkischen Gemeinde – Betzdorf/Denizli (250 Kilometer östlich von Izmir) - ins Leben gerufen hatte. Lieber rief zu einem weiteren gemeinsamen und guten Miteinander auf, wie das auch mit dem türkisch-islamischen Kulturverein Fürthen praktiziert werde. Alle seien aufgerufen, das hohe Gut der Toleranz weiter zu erhalten und fortzuführen.
Die Begegnung des Islams und des Christentums finde seinen Ursprung tief in der Geschichte der Theologie, führte Rafet Öztürk zu Beginn seines Referates aus. "Die Anerkennung der Muslime und ihrer muslimischen Religionsgemeinschaften in einem christlich geprägten Land wie Deutschland ist allerdings ein neueres Phänomen. Dieses birgt einige strukturell schwierige Probleme in sich. Die Organisationsstruktur der Muslime ist von keiner personellen Natur geprägt, wie es uns aus den Kirchen bekannt ist. Jeder Muslim kann ohne Moschee und Gemeinschaft seine Gebete verrichten und weitere religiöse Dienste erfüllen." Die muslimischen Organisationen stünden zur Zeit vor einer großen Herausforderung. Zu einem müssten sie ihre Organisationsform soweit entwickeln, damit sie anerkannt werden, zum anderen müssten sie sich in der Gesellschaft, der Politik und in der Administration Gehör verschaffen, damit die Integration auch institutionell vollzogen werden könnte. Es stelle sich die Frage, wie die muslimischen Religionsgemeinschaften, die in Deutschland keine mitgliedschaftsrechtliche Organisationsstruktur für das religiöse Leben besäßen, anerkannt und integriert werden könnten. Ein offener Dialog sei hier überaus wichtig, in Gesprächen sollte dabei das Interesse des Gegenüber geweckt und Gespräche ergebnisorientiert und nicht ergebnislos geführt werden. In seinen weiteren Ausführungen ging Öztürk auf die türkisch-islamische Union (die türkische Abkürzung lautet "DITIB") und deren Weg zur Anerkennung durch die integrative Organisationsstruktur ein.
Der DITIB-Dachverband wurde vor 14 Jahren in Köln gegründet und hat heute bundesweit 884 Ortsvereine. Vereinsziel ist dabei, Musliminnen und Muslimen einen Ort zur Ausübung ihres Glaubens zu geben und einen Beitrag zur Integration zu leisten. Darüber hinaus engagiert man sich im gesellschaftlichen und sozialen Bereich. Wie alle anderen muslimischen Organisatoren habe auch die DITIB in Deutschland keinen offiziellen Rechtsstatus als Religionsgemeinschaft. Dieser unvorteilhafte Status verhindere die Eröffnung von Tageseinrichtungen, Schulen und theologischen Fakultäten mit finanzieller staatlicher Unterstützung durch die DITIB, die sich auf Grund ihrer Grundhaltung ohne Wenn und Aber zur freiheitlich-demokratischen Rechts- und Verfassungsordnung in Deutschland bekenne. Entsprechend würden intensive Veranstaltungen über Diskriminierung, die Rechte der Frauen, Konflikte und aufklärende theologische Tagungen mit staatlichen und kirchlichen Institutionen organisiert. Man strebe die Erlangung des Rechtsstatuts einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Zudem beachte die DITIB strikt das Gebot der religiösen Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen in Deutschland. "Es wird Gewähr dafür geboten, dass die Muslime und Christen in diesem Land nachbarschaftlich und friedlich miteinander leben. Aktivitäten unter Beachtung von Freundschaftlichkeit, Achtung, Nachsicht, Toleranz und Solidarität der Menschen untereinander und gegenüber anderen Glaubensangehörigen stehen an. Diese Eigenschaften entsprechen den Grundsätzen des Islam, wie auch die Ablehnung jeglicher Art von Gewalt und dem Aufruf zur Gewalt", so Öztürk weiter. Durch besondere Kursprogramme und Angebote versuche man, das Hauptproblem der Integration, die deutsche Sprache in Wort und Schrift, in den Griff zu bekommen.
Die türkischstämmigen Migranten hätten Deutschland als ihr zweites Heimatland und neues Lebensumfeld gewählt. Für diese Personengruppen seien Angebote bereitzustellen, um damit die Integrationsbereitschaft zu fördern. "Dafür ist die Akzeptanz und Gleichstellung der Migranten im gesellschaftlichen Leben unter Anerkennung der Verschiedenheit ihrer Kultur, Sprache und traditionellen Sitten und Gebräuche, insbesondere aber auch der Religionszugehörigkeit, unentbehrlich", betonte der Referent. So werde bei der Unterweisung in die islamische Religion durch die Imame Wert darauf gelegt, dass die Hauptquellen des Islam, Koran und Sunna beachtet werden. Die kulturellen und religiösen Verschiedenheiten sollten daher als Vorteil und Bereicherung für die gesamte Gesellschaft angesehen werden. Überaus wichtig sei es auch, dass die muslimischen Frauen am gesellschaftlichen Leben gestalterisch teilhaben.
Weiter führte der Beauftragte für Dialog und Zusammenarbeit der türkisch-islamischen Union aus: "Nur durch ein gemeinsames Engagement, das Menschen mit Migrationshintergrund als Teil der Gesellschaft versteht, und sie als solche in die Verantwortung nimmt, kann der gesellschaftliche Frieden und die Harmonie aufrecht erhalten und mehr für das friedliche und ausgleichende Miteinander der Kulturen und Religionen in Deutschland und die gemeinsame Zukunft getan werden." Die Jugendkriminalität in Deutschland ansprechend, forderte Rafet Öztürk auf, gemeinsam anzupacken, um sozialen Benachteiligungen, der vielfältigen Chancenungleichheit und dem Bildungsdefizit der Jugendlichen entgegenwirken zu können. Mit unüberlegten und nicht auf Prävention ausgerichteten Handlungen könne kein Beitrag zum Abbau von Integrationsdefiziten geleistet werden. Die Integrationsarbeit müsse auch hier gestärkt, gefördert und ausgebaut werden. Anstrengungen sollten dabei auf Bildungs- und Förderprogramme für Kinder und Jugendliche fokussiert werden.
Pfarrer Holger Banse sprach in seinem Schlusswort von einem weiten von Rafet Öztürk angesprochenen Spektrum. Das gemeinsame Lernen sowie das von- und miteinander Lernen sollten weiter ausgebaut werden. Abschließend sprach Banse die gute Zusammenarbeit mit dem türkisch-islamischen Kulturverein Fürthen an. Immerhin kämen annährend 60 Prozent der Besucher im Jugendzentrum aus dem türkischen Bereich.
Den gesanglichen Rahmen des ökumenischen Gottesdienstes in der katholischen Kirche und anschließend im Dietrich-Bonhoeffer-Haus gestaltete der Chor "Divertimento". (rö)
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Beim 11. Hammer Neujahrsempfang (von links): Imam Adem Aslim, Pfarrer Holger Banse, Pfarrer Josef Rottländer, Referent Rafet Öztürk, Bürgermeister Rainer Buttstedt und Landrat Michael Lieber. Fotos: Rolf-Dieter Rötzel


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