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Nachricht vom 22.09.2008    

Wie ein Roman entsteht

Hanns Josef Ortheil berichtete am Betzdorfer Gymnasium von der Arbeit eines Schriftstellers. Sein Buch „Wie Romane entstehen“ diente dem Autor und Hochschullehrer mit Wissener Wurzeln dabei als Vorlage.

Betzdorf. Wie entsteht eigentlich ein moderner Roman? Zu diesem Thema sprach Prof. Dr. Hanns-Josef Ortheil zu über 70 Schülerinnen und Schülern aus den Deutsch-Kursen der 12. und 13. Jahrgangsstufe im Musiksaal des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Betzdorf.

Ortheil, der neben seiner Tätigkeit als Romanschriftsteller an der Universität Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus lehrt, hat zum Betzdorfer Gymnasium eine persönliche Verbindung: Sein aus Wissen stammender Vater machte an dieser Schule 1929 sein Abitur. So hatte sich Ortheil, der aus Anlass der 7. Westerwälder Literaturtage 2008 in Wissen weilte, auf Anfrage gleich bereit erklärt, den heutigen Betzdorfer Pennälern einen Einblick in sein Schaffen zu geben.
Die Schülerinnen und Schüler und ihre begleitenden Lehrer konnten nun den langen Weg eines Ortheil-Romans von den ersten noch unsystematischen Notizen bis hin zum fertigen Buch verfolgen und so einem der bekanntesten deutschen Gegenwartsautoren über die Schulter schauen.

Dass Romane nicht – wie oft vermutet - per Inspiration in einem rauschartigen Schöpfungsprozess niedergeschrieben werden, sondern dem fertigen Buch eine große Fülle an akribischer Recherche und handwerklicher Arbeit vorausgeht, wurde den Zuhörern im Laufe der Ausführungen mehr und mehr bewusst.

Ortheil arbeitet gezielt Tag für Tag nach einem recht festgelegten Tagesplan in einem Rhythmus aus eigentlichen Schreibzeiten, Recherchephasen und Phasen, in denen es mehr um das Organisatorische rund um seine Arbeit geht. So wertet er etwa täglich die wichtigsten Zeitschriften unter dem Gesichtspunkt seines individuellen Interesses aus. Die Artikel, Fotos, was immer ihn daran interessiert, werden akribisch mit Datum, persönlichen Kommentaren und anderen Ergänzungen in einer großen Kladde festgehalten. Pro Tag entstehen so zwischen einer und drei Seiten einer ganz individuellen Chronik, in der sich kaum die großen Schlagzeilen des Tages wiederfinden, wohl aber mal eine Kinderzeichnung seines Sohnes ihren Platz bekommt. Eine solche collagierte Chronik - Ortheil hatte ein Beispiel mitgebracht - stellt allein für sich schon ein kleines Kunstwerk dar. Der Autor streicht nie durch („Das sieht hässlich aus…“), sondern schreibt lieber ein Wort, eine zu ändernde Formulierung ein zweites Mal.

Darüber hinaus hat Ortheil auf allen Wegen ein kleines Notizbuch dabei, in dem er – noch ganz unsystematisch – alles notiert, was ihm tagsüber durch seine ganz subjektive Brille an Interessantem oder Notierenswertem begegnet oder durch den Kopf geht. Über hundert solcher kleinen Notizhefte füllen sich so übers Jahr, denn „alles, was man aufschreibt, wird zu einem Bestandteil der Erinnerung“.
Auf diese Weise entsteht zusammen mit den „Chroniken“ ein „offenes Archiv“, es kristallisieren sich allmählich Themen heraus, einzelne Stichworte tauchen immer häufiger auf und verdichten sich schließlich zu einer Idee, einem Thema für ein neues Romanprojekt.



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Dann beginnt die Zeit der zielgerichteten Recherche, Schauplätze werden besucht und dokumentiert, Stadtpläne werden studiert, um die Wege der Roman-Protagonisten möglichst glaubhaft zu beschreiben, Häuser und Straßen werden fotografiert, Gaststätten besucht –„schließlich müssen die Romanfiguren ja essen“.
Die Suche nach Authentizität geht dabei mitunter so weit, dass Ortheil sich in einem Hotel, in dem er einen seiner Protagonisten übernachten lassen will, einmietet, um dessen Atmosphäre bis hin zur Nachtbeleuchtung der Flure und der nächtlichen Geräuschkulisse möglichst genau einzufangen. Hierbei arbeitet Ortheil mit Fotos und Notizen, unter Umständen sogar mit der Videokamera.

Besonders anspruchsvoll gestaltet sich diese Phase der Arbeit, wenn es sich um ein Projekt für einen historischen Roman handelt. So wurden etwa für den Roman „Faustinas Küsse“, der während Goethes Aufenthalt in Italien spielt, historische Stadtpläne, Hausgrundrisse und Zeichnungen des Goethe-Begleiters Tischbein studiert und ausgewertet, was Ortheil eindrucksvoll anhand seines mitgebrachten Materials dokumentierte. All das hindert ihn freilich nicht daran, „an einem Strand in Italien auch mal einen Wal stranden zu lassen“.

Die so entstandenen „Projektbücher“ und Materialien dienen als „Imaginationshilfe“ für den eigentlichen Romantext. Dieser entsteht dann in enger Zusammenarbeit und Absprache mit dem Lektor, mit dem zusammen Ortheil auch sein jüngst erschienenes Buch zum Thema „Wie Romane entstehen“ geschrieben hat. Zum Ende des „Werkstattgesprächs“ kam Ortheil auch auf die ganz profanen Aspekte des Schreibens zu sprechen: Zwei bis drei Jahre braucht es im Schnitt, bis ein Roman in den Auslagen der Buchhandlungen liegt. In diesem Abstand sollten etwa auch Neuerscheinungen eines Autors herausgebracht werden, damit dieser im Bewusstsein der Medien und der Leser verankert bleibt: „Nach vier bis fünf Jahren ist der Name weg“. 30 – 50 Lesungen im Jahr sind die Regel. Die Lesungen bilden auch für bekannte Autoren einen wichtigen Teil ihres Einkommens. Zudem arbeiten viele Autoren parallel zu ihren Buchprojekten für den Rundfunk oder schreiben Drehbücher.

Dass Ortheil nicht im Elfenbeinturm sitzt, sondern als Hochschullehrer gewohnt ist, mit jungen Menschen umzugehen, merkte man in den eingeschobenen Phasen, in denen der Autor ausführlich auf die Fragen der Zuhörer einging. Einige der anwesenden Schüler schreiben auch selbst, und so durfte natürlich auch die Frage nicht fehlen, wie man denn am besten vorgehe, wenn man selbst ein Buch geschrieben habe. Auch hier konnte Ortheil wertvolle Tipps geben. Ortheil ging nicht ohne ein kleines Andenken an die Schule nach Hause: Neben der neuesten Schulchronik überreichte ihm Schulleiter Manfred Weber die Originalabiturarbeiten seines Vaters aus dem Jahr 1929, die im Schularchiv noch gelagert waren.
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Foto: Hanns-Josef Ortheil berichtete am Betzdorfer Gymansium über seine Arbeit.


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