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Nachricht vom 19.06.2016    

Abi-Jubiläumsfeier als authentische Geschichtsstunde

Was prägte Gymnasiasten kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs? Wie nahmen ihre Nachfolger Jahrzehnte später den tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft wahr? Das Gymnasium Betzdorf-Kirchen hatte zu einer Abiturjubiläumsfeier eingeladen – und die Reden der Jahrgangsvertreter spiegelten das Lebensgefühl der damaligen jungen Generationen wider.

Schulvertreter und Jahrgangsredner (von links): Oberstudienrätin Simone Löcherbach, Dieter Dölp, Sylvia Szepanski-Jansen, Franz Rudolf Roth, Hermann Brühl, Schulleiter Heiko Schnarre und Matthias Stausberg. Foto: Daniel Pirker

Betzdorf. Mit Ansprachen von Jubilaren ist es immer so eine Sache: Die Anekdoten machen die Reden für die Insider, in diesem Fall ehemalige Mitabiturienten, erst spannend. Die restlichen Zuhörer sind dazu verdammt, höflich zuzuhören und eine interessierte Miene an den Tag zu legen – was im Fall der Gymnasiasten des Schulorchesters nicht immer gelingt, wie ein kurzer Blick auf die Bühne verrät während der Abiturjubiläumsfeier. Das Gymnasium Betzdorf-Kirchen hatte wieder in Zusammenarbeit mit dem Ehemaligenverein Abiturjahrgänge zu einer Feierstunde eingeladen. Die Aula ist gefüllt mit ehemaligen Abiturienten der Jahre 1946, 1951, 1956, 1966, 1976, 1986 und 1991.

Tatsächlich beinhalten die fünf Reden der Abiturjahrgangsvertreter die ein oder Geschichte, die vor allem für Eingeweihte bestimmt ist. Vielmehr bestimmen die Ansprachen aber Einblicke in das Denken und Leben von Generationen, die politische und gesellschaftliche Umbrüche hautnah miterlebt hatten.

Beispiel Hermann Brühl, Abi-Jahrgang 1956: Als seine Schulzeit am damaligen Realgymnasium begann, existierte ein Bundesland Rheinland-Pfalz noch gar nicht, die Kapitulation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war noch nicht lange her. Die Region Betzdorf gehörte zur französischen Besatzungszone. Schulbücher gab es also nur für das Fach Französisch. Die Lehrbücher aus der Nazizeit durften nicht mehr verwendet werden. Die Fächer der Naturwissenschaften oder Religion wurden darüber hinaus gar nicht erst angeboten aufgrund von Lehrermangel. Das sollte sich natürlich im Laufe der folgenden Jahre ändern. Und trotz der ein oder anderen Entbehrung blickt Brühl mit tiefer Dankbarkeit auf seine Schulzeit zurück. So wie Franz Rudolf Roth.

"Ein ganzes Leben in Frieden, Demokratie und Wohlstand"
Als er Ostern 1966 sein Abi-Zeugnis erhielt, waren keine vier Jahre vergangen, als die Welt vor einem Nuklear-Krieg gestanden hatte. Die Kuba-Krise war immer noch in den Köpfen präsent, der Kalte Krieg noch lange nicht vorbei. Auch vor diesem Hintergrund zitierte Roth den Chefredakteur der Zeitung „Die Welt“. Stefan Aust, 46er Jahrgang, betonte kürzlich, dass seine Generation, die glücklichste sei, die es je in Deutschland gegeben habe. „Wer hätte das zu denken gewagt?“, erinnert sich Roth. Immerhin hätten seine Alterskameraden die längste Friedensepoche erlebt, „ein ganzes Leben in Frieden, Demokratie und Wohlstand“. Den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbruch, der in den 1960ern begonnen hatte, erlebte seine Generation hautnah in den Universitätsstädten mit – und nicht selten prägten deren Vertreter diesen auch. Diese politische Sozialisation scheint bis heute fortzubestehen: 2001, anlässlich des 100jährigen Bestehens des Gymnasiums, kam der Jahrgang von Roth in Betzdorf zusammen. Spontan wurde eine Demo durch die Innenstadt auf die Beine gestellt, "Ho, Ho, Ho Chi Minh"-Rufe inklusive. Freilich war die Idee zum Umzug in der Nobel-Gaststätte Breidenbacher Hof geboren worden.



Mit den Sechzigern begann langsam aber sicher auch der Bildungsaufstieg von Kindern aus unteren Schichten. Eines von ihnen war Dieter Dölp, der im Herbst 1966 sein Abi erhielt. Für ihn war der Eintritt in das Gymnasium der „seelisch erstrebte Aufstieg zum Bürgertum.“ Der Schulart blieb er später als Gymnasiallehrer auch beruflich treu. Neben Spickzettel-Tricks, erinnert sich Dölp daran, dass damals noch die Lehrer mit ihren Titeln angesprochen wurden („Herr Oberstudienrat“). Und sicher, Dölp betonte, dass der „Zahn der Zeit“ auch an der Institution Gymnasium genagt habe. Bis heute diskutiere man darüber, ob der Unterricht den Horizont der Schüler erweitern solle – oder ihre Lebenswirklichkeit abbilden solle.

"Nicht viel übrig vom Idealismus zu Beginn der 90er"
Wenn Sylvia Szepanski-Jansen, Abi-Jahrgang 1976, an ihre Schulzeit zurückdenkt, fällt ihr unter anderem eine Phase des technischen Fortschritts ein. Und auf Fotos ihrer Gymnasialzeit spielen Schüler in Schlaghosen Gummitwist. Szepanski-Jansen legte ihr Abitur zusammen mit 85 anderen Schülern ab. Von ihnen sind bereits acht verstorben. Beim Jahrgang 1991 ist dies bei zwei Abiturienten der Fall, wie der Redner der Stufe, Matthias Stausberg, ins Gedächtnis ruft. Der ehemalige UN-Mitarbeiter und heutige Berater von Richard Branson (Virgin) stellt nüchtern fest: „Nicht viel scheint vom Idealismus zu Beginn der 90er übrig zu sein.“

Sein Jahrgang stand mittendrin und war überwältigt von den teilweise vielversprechenden weltpolitischen Umwälzungen wie etwa den Fall der Mauer oder den Friedensprozess zur Lösung des Nahostkonflikts. Seitdem ist viel passiert auf der weltpolitischen Bühne. Er selbst lebt und arbeitet seit vier Jahren in Großbritannien, wo zurzeit hart um den Ausstieg aus der Europäischen Union gerungen wird, mit dem traurigen Höhepunkt des Attentats auf eine Labour-Abgeordnete. Dabei, so Stausberg, gründen viele politische Errungenschaften auf der europäischen Idee. Was seine Schulzeit angeht, stellte er fest: „Das, was bleibt, sind die Freundschaften.“ (ddp)


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