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Nachricht vom 01.05.2009    

Primat der Politik gewährleisten

Soziale Gerechtigkeit, Arbeit für alle bei fairem Lohn. Darum ging es auch bei der zentralen Veranstaltung des DGB am 1. Mai in Steinebach-Bindweide. Die Rede hielt der GEW-Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer, der hart mit Politik und Wirtschaft ins Gericht ging. Die Politik schien das nicht zu scheren. Sie klatschte brav Beifall und stieß ins gleiche Horn.

Kreis Altenkirchen/Bindweide. Nicht gerade gut zu sprechen ist IG-Metall-Bevollmächtigter Leonhard Epping (Verwaltungsstelle Betzdorf) auf die Politiker. Und das ließ er am Ende der Maikundgebung des Kreis-DGB auf der Bindweide (Steinebach) auch gehörig spüren beziehungsweise hören. Nicht nur, dass er sich über die teils langatmigen Ausführungen zu Beginn - einer wahren Grußwortorgie - mokierte, er ging auch inhaltlich in die Vollen. Schön sei, dass die Politiker da seien, aber eigentlich handele es sich doch um eine Arbeitnehmer-Veranstaltung. Epping ging auch auf die Diskussion um zu befürchtende soziale Unruhen ein. Soziale Unruhe schafften die, die 20 Jahre lang entsprechende Parteiprogramme aufgelegt hätten und für die derzeitige Situation mit verantwortlich seien. Angesichts der neuesten Wirtschaftsdaten sei zu befürchten, dass viele Betriebe spätestens im Herbst Mitarbeiter aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit entließen, auch im Kreis Altenkirchen. Und auch im Kreis Altenkirchen gebe es Unternehmer, die ohne Not auf den Zug aufsprängen und die Krise zur Durchsetzung von Lohnverzicht benutzten, erklärte Epping unter dem tosenden Beifall der meisten der etwa 80 Besucher.
Mit diesem Besuch konnte die Kreis-Spitze des DGB nicht zufrieden sein. Im 60. Jahr des DGB hatte man sich entschlossen, diesmal eine zentrale Kundgebung auf der Bindweide in der Werkhalle der Westerwaldbahn zu veranstalten, nachdem zu den örtlichen Kundgebung immer weniger Menschen gekommen waren und diese Veranstaltungen schließlich ganz einschliefen. Der kommissarische Vorsitzende des Kreis DGB, Udo Quarz, hatte zu Beginn der Veranstaltung zahlreiche, vor allem politische, Prominenz begrüßt. Kein Wunder angesichts der bevorstehenden Wahlen. Nach Steinebach gekommen waren Sabine Bätzing (MdB, SPD), Dr. Matthias Krell (MdL, SPD), Thorsten Wehner (MdL, SPD) und Dr. Josef Rosenbauer (MdL, CDU). Dabei waren auch Friedhelm Steiger (1. Beigeordneter der VG Wissen) und Bürgermeister Wolfgang Schneider (Daaden). Dank galt Hausherr Horst Klein und Gebhardshains Bürgermeister Konrad Schwan, der auch die Grüße des Landrats überbrachte. Die Gastronomie hatte der Löschzug Steinebach inne, für die musikalische Unterhaltung sorgten Jörg Brück und die Molzhainer Dorfmusikanten, die mit dem Spielen von "Preußens Gloria" allerdings nicht so den Geschmack der Gewerkschafter getroffen hatten.
In seiner Ansprache ging der Landesvorsitzende der GEW, Klaus-Peter Hammer, vor allem auf die Probleme, die die Wirtschafts- und Finanzkrise für die Arbeitnehmer gebracht hat, ein. Auch in dieser Krise senen für den DGB die Ziele, für alle Menschen ein Leben und Arbeiten in Würde zu erreichen und einen gerechten Anteil am Wohlstand zu erstreiten, unverzichtbar. Die arbeitenden Menschen dürften nicht zu den Opfern einer Krise werden, die sie nicht verursacht hätten. Hammer: "Marktgläubigkeit, Deregulierung, Privatisierung und die Gier nach kurzfristiger Gewinnmaximierung haben diese Krise verursacht. Viele, die daran mitgewirkt haben, waschen jetzt ihre Hände in Unschuld." Und klatschten zu den Bemerkungen Hammers auch noch unschuldig Beifall. Was man nun brauche, sei ein Neuanfang, eine Wirtschaftsordnung mit mehr Mitbestimmung und Teilhabe, "die dem Wohl aller Menschen dient, statt Reiche noch reicher zu machen." Deshalb habe der DGB auch als Motto zum 1. Mai gewählt "Arbeit für alle bei fairem Lohn."
Hammer erinnerte daran, dass mehr als 2,5 Millionen Menschen in der Republik mit Armutslöhnen auskommen müssen, 1,3 Millionen seien trotz Beschäftigung auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen: "Das ist ein Skandal." Um das zu verhindern müsse ein gestzlicher Mindestlohn mit der Untergrenze von 7,50 Euro pro Stunde realisiert werden. Und faier Lohn sei auch unabdingbar für die Zeitarbeiter.
Auch junge Beschäftigte brauchten einen sicheren Arbeitsplatz und ein ausreichendes Einkommen. Die Realität sehe aber leider anders aus. Hammer: "Junge Leute brauchen eine Perspektive. Sie dürfen nicht länger die Vorreiter bei der Flexibilisierung der Arbeitswelt sein." Das bedeute auch Ausbildungsplätze für alle, Jobs statt Scheinpraktika, unbefristete Verträge statt Projektarbeit, soziale Sicherung statt Scheinselbstständigkeit und angemessene Einkommen statt Armut durch Arbeit.
Hammer sagte, das neoliberale Experiment sei sei auf der ganzen Linie gescheitert. Deshalb sei es nun an der Zeit, den internationalen Finanzmärkten mit Regeln Einhalt zu gebieten. Hammer sagte, angesichts der Horrormeldung eines Einbruchs der deutschen Wirtschaft um sechs Prozent sei ein konsequentes Vorgehen der Regierenden zwingend. Dazu gehöre besonders die Schaffung von Aufträgen, damit produziert werden kann. Deutschland habe viel Investitionsbedarf im öffentlichen Sektor: Sanieren und Modernisieren von Gebäuden, Schulen und Hochschulen seien sinnvolle Maßnahmen. Und weitere erhebliche Investitionen in die Bildung, deren Umfang Hammer auf mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr bezifferte. Hier könnten Arbeitsplätze im Millionenbereich geschaffen werden. In diesem Zusammenhang appellierte Hammer an die Vetreter der Kommunen, sich bei den kommenden Tarifverhandlungen massiv für eine deutlich höhere Eingruppierung für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsbereich einzusetzen. "Kinder sind unser höchstes Gut, die Arbeit mit ihnen muss auch entsprechenden Wert haben," sagte Hammer.
Hammer sprach sich gegen Steuersenkungen aus. Diese seien schon in konjunkturell normalen Zeiten unverständlich, erst recht aber in der Krise, wo es um mehr Staatseinnahmen und nicht um weniger gehen müsse. Hammer: "Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten."
Hart ging der Referent mit dem Zusatnd des deutschen Bildungswesens ins Gericht. Während es Milliarden-Bürgschaften für Banken gebe, krieche an Schulen und Kindergärten der Schimmel die Wände hoch, hunderttausende von Jugendlichen fänden keine Lehrstelle. Und in kaum einem anderen Land hingen die Bildungschancen der Kinder so sehr vom Geldbeutel der Eltern ab wie in Deutschland. Hammer forderte eine Schule, in der alle Kinder gemeinsam unterrichtet, niemand ausgegrenzt und alle bestmöglichs ausgebildet werden. Rheinland-Pfalz habe sich hier "ein wenig" auf den Weg gemacht.
Auch auf Europa ging Hammer ein. Demokratiedefizit und soziale Schieflage in der EU seien wesentlich Gründe dafür, dass heute viele Menschen der Idee eines politisch und wirtschaftlich geeinten Europas skeptisch oder gar ablehnend gegenüberstünden. Deshalb brauche Europa eine radikale Abkehr von dem herrschenden wirtschaftsliberalen System. Dieses Modell sei gescheitert - nicht erst mit dem Beginn der Krise. Das Leitbild eines modernen Europas müsse stehen für Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Menschenwürde, den Ausbau von Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung, für Vollbeschäftigung und die Stärkung der Massenkaufkraft. Hammer: "Die Politik muss der Wirtschaft sagen, wo es lang geht und nicht umgekehrt." Und auch die Bildung dürfe nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden.
Als große Herausforderung - auch gerade angesichts der Wirtschaftskrise - bezeichnete Hammer den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Für seine Forderung nach einem Verbot der NPD erhielt der Referent großen Beifall.
Zuvor hatten die meisten der anwesenden Politiker ein Grußwort gesprochen und unisono die Bedeutung des 1. Mai (Bätzing) und der Gewerkschaften angesichts der Krise hervorgehoben, soziale Gerchtigkeit und Chancengleichheit gefordert (Krell). Auch Olcay Kanmaz (Kreisvorsitzender Die Linke) ergriff das Wort: Die Gewerkschaften hätten eine große gesellschaftliche Verantwortung, sagte er und die gigantische Umverteilung von unten nach oben müsse wieder umgekehrt werden und es wurde auch Hoffnung geschürt: Vielleicht werde man ja gestärkt aus der Krise hervorgehen (Schwan). Wie, das sagte aber keiner der Polit-Gäste, die womöglich Hans-Werner Sinn noch kürzlich für einen der größten Ökonomen aller Zeiten hielten. (rs)
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Referent bei der zentralen 1. Mai-Kundgebung des DGB auf der Bindweide war der GEW-Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer. Fotos: Reinhard Schmidt


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