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Nachricht vom 20.04.2017    

Drohender Ärzteschwund: „Wir werden die Situation meistern“

Das medizinische Angebot bestimmt auch die Zukunft des Kreis Altenkirchen. Eine ausreichende Versorgung scheint bedroht. Die dritte Demografiekonferenz diskutierte Lösungen und zeigte: Es liegt ein steiniger Weg vor den Verantwortlichen – der allerdings ohne Schwarzmalerei beschritten werden kann.

Der Kirchener Allgemeinarzt Dr. Wolfram Johannes (2. von links) forderte von seinem Berufsstand, wieder gut von den eigenen Praxen zu reden. Fotos: ddp

Wissen/ Kreisgebiet. Schlecht bezahlt und eintönig – das sind nur einige der Vorurteile, die unter angehenden Ärzten der Allgemeinmedizin anhaftet. Seit 2010 werden laut dem Trierer Soziologen Prof. Dr. Rüdiger Jacob regelmäßig Befragungen unter Medizinstudierenden durchgeführt. Demnach genießt die Tätigkeit als Hausarzt, dazu noch auf dem Land, nicht den besten Ruf unter den zukünftigen Medizinern. Überraschend ist dies nicht angesichts des sich abzeichnenden Mangels an eben diesen Ärzten.

Jacob übernahm einen Teil der Moderation der dritten Demografiekonferenz im Wissener Kulturwerk. Als Sozialforscher konnte er Zahlen präsentieren, die im Frage- und Diskussionsteil am Ende der Veranstaltung durch Redebeiträge von hiesigen Allgemeinärzten greifbar wurden. Und auch wenn der Kreis noch einen offiziellen Versorgungsgrad von 105 Prozent aufweist – das Problem des Ärzteschwunds ist demnach längst in der Gegenwart angekommen. Überfüllte Praxen und Hausärzte, die keinen Nachfolger finden, sind stellenweise bereits Realität. Und dieser Trend könnte sich dramatisch verschärfen, wie immer wieder von den zahlreichen Referenten und Podiumsteilnehmern unterstrichen wurde.

Dabei ist die Medizinerdichte ein harter Standortfaktor, der darüber entscheiden kann, wie sehr eine Region unter dem demografischen Wandel und Fachkräftemangel leiden wird. Auf dem Land seien Arbeitnehmer bereit, 30 oder gar 45 Minuten zum Unternehmen zu pendeln. Doch zum Beispiel Kita, Schule und medizinische Angebote sollten in Wohnortnähe sein, beschrieb die zuständige Landesministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) die Voraussetzungen, um als Region attraktiv für Bewohner zu bleiben.

Der Kirchener Allgemeinarzt Dr. Wolfram Johannes lieferte immerhin so etwas wie einen Hoffnungsschimmer, eine Grundlage, auf die zukünftige Bemühungen aufbauen können. In seiner Praxis absolvierten zurzeit zwei angehende Medizinerinnen ihr Pflichtpraktikum – die ersten seit zehn Jahren. Und als Mitglied des Prüfungsausschusses der Bezirksärztekammer konnte Johannes davon berichten, dass immer mehr Studierende die Prüfung zum Allgemeinmediziner abschlössen.

Ob diese Beobachtungen für eine Trendumkehr stehen? Der Sozialforscher Jacob stellte auf der gleichen Konferenz eine Studie von 2009 vor, wonach der Westerwald bei Medizinstudierenden der Uni Mainz als die unattraktivste Region zum Arbeiten in Rheinland-Pfalz eingestuft wird. Klar ist auf jeden Fall: Die Tätigkeit als freiberuflicher Allgemeinmediziner hat ein Imageproblem in der Branche.

Offenbar ist es überfällig, mit Vorurteilen aufzuräumen, die der eigene Berufsstand lange selbst befeuerte. „Wir müssen von unseren Praxen auch mal gut reden“, forderte Dr. Johannes unter Beifall ein. Er würde zumindest nicht 50 Prozent seiner Arbeitszeit für Verwaltungsaufgaben aufwenden; nicht 60 Stunden die Woche arbeiten müssen; nicht betteln müssen. Kurz: Den Medizinern in einer Praxis gehe es gut. Und das soll auch angehenden Ärzten vermittelt werden. Der Obmann der Kreisärzteschaft Dr. Michael Theis stellte diverse Werbemaßnahmen vor, die bald umgesetzt werden: zum Beispiel eine Anzeigenkampagne im Rhein-Main-Gebiet, Köln-Bonn und dem Siegerland. Apropos Siegen: Große Hoffnung hat die Kommunalpolitik in einen medizinischen Studiengang an der dortigen Universität. Die Unterstützung der rheinland-pfälzischen Ministerin Bätzing-Lichtenthäler hätte er zumindest, wie sie unterstrich. Mit einem Studium in der Region stiege zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende auch vor Ort blieben, spekulierten einige Podiumsteilnehmer.

Bis ein solcher Studiengang eingeführt wird und die ersten Absolventen tatsächlich als Mediziner tätig sein können werden noch einige Jahre ins Land ziehen. Und ob zukünftig überhaupt in Siegen Medizin studiert werden kann, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Ein Schwerpunkt zukünftiger Bemühungen muss also auch darin liegen, Ärzte und Medizinstudierende aus anderen Regionen ins AK-Land zu locken. Eine der Hauptzielgruppen sind hier Ärztinnen. Schließlich sind 70 Prozent der Medizinstudierenden weiblich. Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, dank Telemedizin nicht zwangsläufig vor Ort arbeiten zu müssen sind also gefragt. Ein Rezept, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden sind kooperative Modelle, wo Ärztinnen im Team arbeiten können, inklusive Synergieeffekte.



Die Verbandsgemeinde Daaden-Herdorf arbeitet momentan zusammen mit dem Experten Hans-Joachim A. Schade an einer entsprechenden Lösung, die in ein Genossenschaftsmodell münden könnte. Allerdings ist hier zum Beispiel noch die Haftungsfrage offen. Bätzing-Lichtenthäler machte Hoffnung, dass sich solche Unklarheiten im Rahmen der Realisierung eines ähnlichen Modells in Bitburg von Seiten ihres Ministeriums ausräumen ließen.

Laut dem Vizepräsident der Landesärztekammer Rheinland- Pfalz Dr. Michael Fink sei es grundsätzlich nötig, dass sich Praxen vergrößerten und so junge Mediziner anzögen. Erwin Rüddel (CDU) machte Krankenhäuser als Keimzelle für medizinische Versorgungszentren aus. Ein Arzt aus den Besucherreihen schrieb Kliniken ebenfalls einen großen Stellenwert zu. Er selbst habe sich nach seiner Tätigkeit in Kirchen in der Region niedergelassen. Doch stelle er mittlerweile fest, dass viele der im dortigen Krankenhaus tätigen Ärzte aus dem Ausland kämen.

Sollten die diskutierten Lösungsansätze fruchten, ändert dies nichts an der Tatsache, dass es nach Einschätzung einiger Podiumsteilnehmer wie dem Bundestagsabgeordneten Erwin Rüddel die medizinischen Studienplätze erhöht werden müssten. Landesministerin Bätzing-Lichtenthäler wollte sich hier nicht festlegen. Zwar ist sie sich darüber bewusst, dass der Bedarf an Medizinern zunehmen wird, doch koste ein humanmedizinisches Studium 250.000 Euro, viel Geld also. Es gebe keine Garantie, dass aus den zusätzlichen Studierenden auch tatsächlich später Landärzte werden. Das finanzielle Risiko sei zu hoch.

Die Ministerin will die Folgen der Umsetzung eines recht jungen bundesweiten Masterplans 2020 abwarten. Demnach soll das Medizinstudium praxisnäher und die Allgemeinmedizin gestärkt werden. Zudem soll die Abiturnote nicht mehr allein ausschlaggebend sein bei der Auswahl der Bewerber. Außerdem ermöglicht der Masterplan eine Landarztquote für bis zu zehn Prozent der Studienplätze. Die Idee: Verpflichtet sich ein Studierender nach dem Abschluss auf dem Land tätig zu werden, könnte er von Anreizen profitieren.

Klar ist auf jeden Fall nach der Konferenz: Der Handlungsbedarf ist akut. Packt man die Probleme jetzt an, kann allerdings das Horrorszenario, das die aktuellen Prognosen aufzeigen, abgewendet oder zumindest gemildert werden. Dr. Andreas Bartels von der Kassenärztlichen Vereinigung, selbst Facharzt in Mainz, machte Hoffnung: „Wir werden die Situation meistern.“ (ddp)

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