Jugendbefragung: Luft nach oben bei Öffentlichem Nahverkehr und Freizeitangebot
„Jugend im Landkreis Altenkirchen – Jugendliche erreichen und beteiligen“. Darum ging es im Wissener Kulturwerk. Dabei wurden die Ergebnisse der Jugendbefragung 2018 vorgestellt, die der Kreis durchgeführt hat. Die gute Nachricht: Es ist nicht so schlimm wie teilweise befürchtet. Allerdings: Der Öffentliche Personennahverkehr und und die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung werden als Baustellen identifiziert.
Wissen/Kreisgebiet. Er ist nicht abstrakt, sondern greifbar, der demografische Wandel. Und es ist nötig, auf den Bedarf aller Altersgruppen zu schauen. Anlässlich der 4. Demografiekonferenz zum Thema „Jugend im Landkreis Altenkirchen“ war eine Befragung der Jugendlichen im Kreis durch die beiden Wissenschaftler Rüdiger Jacob und Johannes Kopp, Professoren für empirische Sozialforschung an der Universität Trier, vorangegangen. Das Ergebnis ihrer Auswertung präsentierten sie im Wissener Kulturwerk und überreichten die Studie im Anschluss an Landrat Michael Lieber. Moderiert wurde die Veranstaltung von Berno Neuhoff (Leiter der Regionalentwicklung der Kreisverwaltung) sowie Jennifer Siebert (Mitarbeiterin der Kreisverwaltung). Rund 200 Gäste waren der Einladung gefolgt. Und um es gleich vorweg zu sagen, das Fazit des Abends und auch der Moderatoren fiel positiv aus: „So schlimm, wie wir befürchtet haben und es einige Statistiken vermuten lassen, scheint es für die Jugendlichen ja gar nicht zu sein.“
Durch Leader gefördert
„Der Landkreis Altenkirchen steht bezüglich der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren vor einer großen Herausforderung. Viele Jugendliche verlassen den Kreis, studieren in anderen Regionen. Es ist schwer, sie wieder zurück zu holen“, sagte Landrat Michael Lieber. Das durch Leader geförderte Projekt der Jugendbefragung hat das Ziel, ein umfassendes Bild der Lebenswelten der Jugendlichen zu erhalten und von den Jugendlichen selbst zu erfahren, wie sie ihre Heimat und ihre Zukunftsperspektiven wahrnehmen, um nicht nur die nackten Zahlen der Statistiken zu sehen. Dabei stellte der Landrat in seiner Begrüßung ebenfalls noch einmal die wichtigste Aussage des Abends in den Fokus: „So schlimm, wie die Statistiken die Situation darstellen, ist es bei uns gar nicht.“
28 Prozent haben geantwortet
„Wir haben rund drei Jahre auf diese Studie hingearbeitet und wollten einfach mal belastbare Zahlen haben für unsere Region Westerwald-Sieg“, so Berno Neuhoff. Insgesamt wurden in der Leader-Region 9920 Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren angeschrieben, in der Verbandsgemeinde Flammersfeld zusätzlich etwa 1.100. Die Teilnahme war freiwillig, 28 Prozent der Jugendlichen haben ihren ausgefüllten Fragebogen zurück geschickt mit dem erfreulichen Ergebnis, dass viele der Jugendlichen eine positive Einstellung gegenüber der Region Westerwald-Sieg haben, wenngleich der Öffentliche Nahverkehr und die Freizeitmöglichkeiten am Ort doch sehr kritisch gesehen werden. Beim Nahverkehr ist der Kreis schon aktiv, auch mit anderen Mobilitätskonzepten wie zum Beispiel Mitfahrerbänken. Auch in Sachen Freizeitgestaltung seien schon viele Aktive und Vereine unterwegs. Das große Problem sei die Finanzierung, die örtlichen Kassen sind bekanntermaßen leer.
Neugierig auf die Meinung der Jugend
Seit 35 Jahren versucht Professor Kopp gesellschaftliche Prozesse zu analysieren. Um wirklich etwas wissen zu können, brauche man empirische Erfahrung und die haben die beiden Professoren angewendet bei ihrer Auswertung der Lebenssituation der Jugendlichen im Landkreis der Leader-Region. Im Vorfeld sei schon klar gewesen, dass ein solches Projekt mit einer Vielzahl von Akteuren nicht ganz einfach zu händeln sei. Die beantworteten Fragebögen hält Kopp für eine verlässliche Grundlage. Die Jugend gelte immer als Innovationsquelle, als Zukunftspotential. Daher sei es extrem wichtig, dass der Kreis die Neugier aufgebracht habe, sich um die jungen Leute zu kümmern und sie auch aktiv in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Die wiederum sehen in der Befragung durchaus für die Jugend eine Zukunft hier im Landkreis. Für mehr als 60 Prozent gibt es hier ein besseres Leben als in der Großstadt. Wobei es absolut kein Widerspruch ist, dass Jugendliche auf dem Land leben und zum Studium nach Köln fahren. Trotzdem fühlen sich nur 20 Prozent ihrer Heimat wirklich verbunden, 42 Prozent haben eine pragmatische Bindung und 37 Prozent haben gar keine Heimatverbundenheit. Es sei aber nicht der Fall, dass die Jugendlichen hier unzufrieden wären und mit den Füßen scharrten, um die erste Möglichkeit wahrzunehmen um zu gehen. Das Land habe sich geändert, die Dörfer seien nicht mehr so wie vor 50 Jahren, sondern wiesen durchaus urbane Strukturen auf. Die Jugend auf dem Land gehöre auch nicht zu den Bildungsverlieren. Was sie allerdings ganz konkret beklagen würden, das sei die Situation im öffentlichen Nahverkehr und die Freizeiteinrichtungen. Die beiden Professoren übergaben die 80 Seiten starke Studie an Landrat Michael Lieber. „In dieser Studie stehen viele spannende Dinge, sie ist eine wichtige Grundlage für die Politik im Kreis, für die Verbandsgemeinde, die Politik in den Ortsgemeinden und die Jugendvertretungen“, so Berno Neuhoff.
Projektideen und Fördermittel
„Ich möchte den Mann mit dem Geld auf die Bühne bitten“, so Jennifer Siebert anschließend bei der Vorstellung des Leader-Regionalmanagers Sebastian Dürr, der erläuterte, dass durchaus Fördergeld zur Verfügung stehe. Leader ist ein Förderprogramm der Europäischen Union und hat sich in diesem Fall mit dem Land Rheinland-Pfalz zusammengetan um Regionen zu fördern. Die sechs Verbandsgemeinden in der Region Westerwald-Sieg bilden eine solche lokale Aktionsgruppe. Wenn Menschen Ideen in der Aktionsgruppe vorstellen, dann wird entschieden, ob das Projekt förderwürdig ist oder nicht. „Sie haben die Projektidee, wir haben die Fördermittel, daraus könnte etwas werden“, so Dürr. „Ich möchte sie begeistern dafür, dass junge Menschen ein enormes Potential haben“, so Karola Kellner, die Kommunalberaterin für Jugendpolitik und demografische Entwicklung. „Nicht nur die jungen Menschen, die die sogenannte Elite darstellen, sondern alle jungen Menschen. Ich möchte vor allem denjenigen Mut machen, die in der Kommunalpolitik tätig sind. Es braucht Mut, um Beteiligung zu leben, Beteiligung heißt ja auch, dass man ein stückweit einen Teil seiner Macht abgibt.“
Junge Menschen erst nehmen
Die Anwesenden bewegten ganz konkrete Fragen, so zum Beispiel: „Bleibt die Buslinie in die nächste größere Stadt erhalten? Für den Ortsbügermeister von Helmeroth, Paul Stefes, stellte sich genau die Aufgabe einer Buslinie als großes Problem dar. Auf die Befürchtung eines Zuhörers, dass die bildungsfernen Jugendlichen nicht richtig erfasst worden seien, erwiderte Professor Jacob: „Die erreichen wir nie. Bei all diesen Studien und den Instrumenten, die wir haben, haben wir immer noch Bildungsfreies drin. An die kommen sie mit den herkömmlichen Instrumenten einfach nicht ran. Über die Schulen zu gehen ist problematisch. Ausgerechnet unsere Hauptschulen haben nicht mitgemacht.“ Christoph Böhmer, IHK-Beirat und Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Maschinenbau Böhmer, sah es als besonders wichtig an, dass junge Menschen ernst genommen würden: „Wenn ich mit ihnen rede und etwas verspreche, dann muss ich das auch einhalten. Die Verkehrsinfrastruktur macht es zusätzlich interessant. Es stellt sich ja nicht nur die Frage: ‚Wie kommen die jungen Menschen in die Schulen?‘, sondern anschließend auch: ‚Wie kommen sie in die Betriebe?‘. Ich arbeite gerne mit jungen Menschen und kann nur sagen, sie sollen sich engagieren. Das ist unser größtes Kapital und das werden die Betriebe so nach vorne tragen.“ Was denn die Betriebe machen, damit die Jugendlichen von A nach B kommen, wollte Berno Neuhoff wissen. Neben der Beförderung durch Eltern und Großeltern gebe es Fahrgemeinschaften, so Böhmer, es gehe aber auch soweit, dass die Betriebe Fahrzeuge zur Verfügung stellen. (by)
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