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Nachricht vom 20.06.2010    

Armut: Nach den Tafeln auch noch "Wärmestuben"?

Schwerpunk bei der Sommersynode dfes Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen in Oberwambach war das Thema "Armut". Eine gemeinsame Erklärung der Synodalen betrachtet das Sparprogramm der Bundesregierung mit großer Sorge.

Kreis Altenkirchen/Oberwambach. "Es kann doch nicht angehen, dass wir jetzt neben den Tafeln auch noch Wärmestuben einrichten müssen". Professorin Dr. Uta Meier-Gräwe, Referentin bei der Sommersynode des Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen mit dem Schwerpunktthema "Armutsbekämpfung", forderte angesichts der Sparpläne der Bundesregierung auch von der Kirche neben der lokalen Hilfe vor Ort auch massives politisches Eingreifen ein.
"Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es gilt, sich mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu verbünden, ‚aufzustehen’ und laut zu sagen: So kann es nicht weitergehen!"
Aus der Synode heraus, die sich unter anderem in Arbeitsgruppen mit den unterschiedlichsten Aspekten von Armut beschäftigte, kam das Votum, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, die deutlich unterstreicht, dass man das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung "Die Grundpfeiler unser Zukunft stärken" mit großer Sorge betrachte. "Dadurch wird die Zukunft unseres Landes nicht gestärkt, sondern unsere Gesellschaft weiter gespalten", heißt es in der Erklärung, die einstimmig von den Abgesandten der 16 Kirchengemeinden und den Kirchenkreis-Vertretern verabschiedet wurde. Eine Erklärung zur Spardebatte, die der Evangelische Kirchenkreis Solingen jüngst erarbeitet hatte, machte sich die Altenkirchener Synodalen zueigen.
Dabei unterstrich Volker Hergenhan, Synodaler aus Friedewald, bei der synodalen Diskussion in der Oberwambacher Kirche, dass man die beiden Aktionsfelder "Lokal handeln und kirchenpolitisch aktiv werden" unbedingt verbinden wolle.
"Die Synode sieht, dass durch das vorgeschlagene Konsolidierungsprogramm die materielle Ungleichheit in Deutschland weiter wachsen wird", heißt es in der Erklärung. Zwar wisse man um die Notwendigkeit des Sparens, aber durch das vorgeschlagene Maßnahmenpaket werde die Zukunft des Landes nicht gestärkt, sondern die Gesellschaft weiter gespalten, wurde kritisiert.
Als Kirche wisse man um die schon heute gravierenden negativen Folgen von Armut insbesondere für Kinder und deren Familien. "Wir befürchten, dass die Sparvorschläge bei den Sozialleistungen die oft bedrückenden Lebenssituationen armer Kinder und Erwachsener weiter erschweren und sie von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch mehr ausschließen werden. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass von finanziell gut und sehr gut gestellten Menschen keine hinreichenden Beiträge zur Konsolidierung der Staatsfinanzen gefordert werden. Die Bibel nimmt aber gerade die reichen Menschen in die Pflicht, wenn es darum geht eine ausreichende Teilhabe für alle zu gewährleisten", wird in der Erklärung formuliert.
Dem Beschluss, die Erklärung zu verabschieden, waren ein einführendes Referat der Armutsexpertin Professorin Dr. Uta Meier-Gräwe und intensive Diskussionen in sieben Arbeitsgruppen vorangegangen. Meier-Gräwe nahm die Synode und ihre Gäste - darunter auch Sozialamtsleiter Bodo Nöchel (Kreisverwaltung Altenkirchen), Arge-Geschäftsführer Heiner Kölzer und Ortsbürgermeister Achim Ramseger (Oberwambach) - mit hinein in die verschiedenen Aspekten der Armutsursachen. "Das Ausgegrenztsein ist häufig schlimmer als das fehlende Geld" unterstrich die Referentin, die auch die aktuell veröffentlichte Studie zur "Entwicklung der Mittelschicht" bereits in ihren Vortrag aufgenommen hatte: "Die Mittelschicht hat zunehmend Probleme, weil es ungemein stresst, die ‚Statussicherheit’ zu betreiben." Meier-Gräwe plädierte leidenschaftlich für ‚Gemischte Lerngruppen’ - "wichtig für die Gesamtgesellschaft", sezierte das "Paarungsverhalten": "Der Beziehungs- und Heiratsmarkt erweist sich in Deutschland zunehmend als eine Institution, die soziale Ungleichheit verstärkt", und forderte eine Politik ein, die sich stärker um die Kinder kümmern müsse, die schon da sind: "Fördert diese Kinder, damit sie mal unser Land übernehmen können."
Die Lebensqualität aller Menschen gilt für Meier-Gräwe als verbesserunsgwürdig, gerade auch mit Blick auf die demographische Entwicklung. Die Kirchen, so die Referentin an ihr Publikum, habe gerade auch mit Blick auf Frauen und ältere Menschen noch Handlungsspielräume.
Die Wissenschaftlerin begab sich nach ihrem mit großem Beifall bedachten Einführungsreferat in verschiedene Arbeitsgruppen der Synode und lobte die dort wahrgenommene "ernsthafte Suche nach Wegen, die konkrete Armutsbekämpfung zu betreiben." Sie habe viele gute Beispiele der lokalen Armutsbekämpfung in Kirche und Diakonie im Kreis Altenkirchen wahrgenommen, hob sie hervor. Sie forderte die Kirchenvertreter aber auch auf, die Ressourcen vor Ort noch stärker und zukunftsorientierter auszubauen. "Beziehungsarmut" etwa, so ihre Wahrnehmung, müsse noch stärker in den Blick genommen werden. "Beziehungsarm" sei auch eine Kirche, die ihre Armen nicht kenne. "Lernen Sie die Bedürftigen in ihren Gemeinden und deren Lebenswelt noch besser kennen", ermunterte sie. Meier-Gräwe sieht weitere Wahrnehmungs-Defizite: "Es fehlt häufig noch die Einsicht, dass es auch auf dem Lande schon ‚ernst’ ist", unterstrich sie und plädierte für noch mehr Kooperation und Vernetzung der lokalen Armutsbekämpfer. "Keine konkurrierenden Angebote, mehr Abstimmung", forderte sie vor der Kreissynode ein. (pes)
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Professorin Dr. Uta Meier-Gräwe von der Uni Gießen führte die Synode des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen in Oberwambach in das Schwerpunktthema "Armutsbekämpfung" ein und erhielt starken Beifall für ihre eindrucksvollen Erläuterungen. Foto: Petra Stroh



Die Erklärung der Synode des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen im Wortlaut
"Die Synode betrachtet das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung "Die Grundpfeiler unser Zukunft stärken" mit großer Sorge. Sie sieht die Notwendigkeit des Sparens auf allen Ebenen in der Bundesrepublik. Die Synode hält das Sparpaket in der jetzigen Form jedoch für ungerecht. Aus der Bibel haben wir gelernt, dass sich staatliches Handeln besonders an der Situation der Armen orientieren und dafür Sorge tragen muss, dass sie zu einer ausreichenden Teilhabe am gesellschaftlichen Leben befähigt werden. Das Sparpaket sieht bei den ohnehin schon armen Menschen in unserer Gesellschaft erneut erhebliche Einsparungen vor. Als Kirche wissen wir um die schon heute gravierenden negativen Folgen von Armut insbesondere für Kinder und deren Familien. Wir befürchten, dass die Sparvorschläge bei den Sozialleistungen die oft bedrückenden Lebenssituationen armer Kinder und Erwachsener weiter erschweren und sie von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch mehr ausschließen werden. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass von finanziell gut und sehr gut gestellten Menschen keine hinreichenden Beiträge zur Konsolidierung der Staatsfinanzen gefordert werden. Die Bibel nimmt aber gerade die reichen Menschen in die Pflicht, wenn es darum geht eine ausreichende Teilhabe für alle zu gewährleisten. Die Synode sieht, dass durch das Konsolidierungsprogramm die materielle Ungleichheit in unserem Land weiter wachsen wird. Dadurch wird die Zukunft unseres Landes nicht gestärkt, sondern unsere Gesellschaft weiter gespalten. Wir bitten die Leitungen der Evangelischen Kirche im Rheinland und der EKD darum, sich dafür einzusetzen, dass der Bundestag in seine Beschlussfassung über das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung auch die vorgebrachten Bedenken einbezieht. Wir bitten die Superintendentin, die Erklärung der Synode den für den Kreis Altenkirchen zuständigen Bundestagsabgeordneten vorzutragen und zu erläutern."



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