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Nachricht vom 12.03.2020    

„Wenn jemals auf Naziboden die Hölle tobte, dann in Altenkirchen“

Die Schäden sind beseitigt, die äußerlichen Wunden geheilt, die seelischen Blessuren bei den nur noch wenigen, die die finalen Tage des Zweiten Weltkriegs in Altenkirchen hautnah miterlebt haben, gewiss in dem ein oder anderen Traum immer noch gegenwärtig. Mit einem Bombardement in mehreren Wellen und in nie für möglich gehaltener Stärke zerstören alliierte Luftstreitkräfte im März 1945, nunmehr vor 75 Jahren, die kleine Westerwälder Kreisstadt. Sie lassen mehrere Hundert Tote zurück.

Eine Luftaufnahme nach dem Bombardement des Bahnhofsbereichs: Die Gleisanlagen sind zerstört, das Postgebäude (obere Hälfte rechter Bildrand) nur mäßig beschädigt. (Foto: Manfred Herrmann/US-Nationalarchiv)

Altenkirchen. Zerstörung ist in Altenkirchen kein unbekanntes Wort. Sind es 1728 und 1893 jeweils Großbrände, die der Stadt ihr Antlitz rauben, so gesellt sich im Jahr 1945 eine neue Komponente hinzu: Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges legen US-amerikanische Flugzeuge mit ihren Bombenhageln den strategisch wichtigen Schnittpunkt von Eisenbahnlinien und überregionalen Straßen in Schutt und Asche. An vier Tagen im März (8., 10., 17. und 25.), also vor genau 75 Jahren, werfen sie, so hat Hobby-Heimatforscher Manfred Herrmann in seinem, im Jahr 2005 erschienenen Buch "Zielvorgabe: Raum Altenkirchen" dargestellt, 454,35 Tonnen der todbringenden Fracht in den vier Angriffen ab. Dazu kommen noch 63,88 Tonnen an Brandbomben, so dass die Gesamtzahl nach US-amerikanischen Ladelisten bei 518 Tonnen liegt. Laut Herrmanns Berechnung ergibt das bei 3592 Einwohnern (Stand 1939) eine Pro-Kopf-Bilanz von knapp über 144 Kilogramm. Erst ein Vergleich macht die Dimension deutlich: "Die von allen im Luftkrieg betroffenen deutschen Städte hinter Berlin tonnenmäßig an zweiter Stelle rangierende Rheinstadt Köln mit ihren 1939 registrierten 768.352 Einwohnern wurde mit 48.014 Tonnen Bomben getroffen, was eine Pro-Kopf-Errechnung von ,lediglich' 62,48 Kilogramm ergibt", führt Herrmann auf.

Unsere Kreisstadt - ein Trümmerfeld!
"Doch was besagt schon eine Statistik - was besagt schon ein Vergleich - angesichts solchen Elends! Unsere Kreisstadt - ein Trümmerfeld! Über 70 Prozent der baulichen Substanz sind vernichtet. Realistische Schätzungen sprechen von 300 Todesopfern, wovon an jenem Palmsonntag (Anmerkung des Red.: 25. März) noch zahlreiche erdrückt, erstickt, zerschmettert unter den Trümmern liegen. Andere dagegen wurden bereits - infolge der ständigen Fliegergefahr - zumeist im Morgengrauen in Familien- oder Massengräbern beigesetzt. Ein Opfergang, der seinesgleichen sucht", lenkt Herrmann den Blick auf die menschlichen Schicksale und ergänzt, "wer? Stadtbewohner, zufällig Anwesende, Evakuierte, Soldaten, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, Menschen wie du und ich."

Ein einst liebliches Städtchen
Einen Kriegsberichterstatter der Associated Press zitiert Eckhard Hanke in seinem Buch "Altenkirchen/Westerwald - Vom Wandel einer Stadt " (1988): "Altenkirchen, 30. März. Wenn jemals auf Naziboden die Hölle tobte, dann war es in Altenkirchen. Das einst liebliche Städtchen, 25 Meilen östlich von Bonn, mußte den vollen Kriegspreis dafür entrichten, daß es einen deutschen Armeestab beherbergte. Vor 14 Tagen noch versuchten hier deutsche Offiziere, Tag und Nacht arbeitend, den Widerstand gegen den Remagen-Brückenkopf, der damals erst langsam vorwärts kam, zu organisieren. Am 10. März schlugen die alliierten Bomber zu. In mehreren Wellen dröhnten sie um die Mittagsstunde langsam heran. Dann rauschten ihre schweren Bomben hernieder und als sie rückwärts flogen, war Altenkirchen, das deutsche Armeehauptquartier, ausgelöscht....Einst war hier ein Städtchen mit kleinen, behaglichen Häusern. Jetzt ist es nichts mehr als ein Trümmerfeld mit einer Reihe riesiger Trichter."

Not macht erfinderisch
Hanke berichtet auch, wie die Einwohner Altenkirchens versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Sie erinnern sich in der lebensbedrohlichen Situation auch wieder der alten, stillgelegten Bergwerksstollen, die mit Bohlen und anderem Holz notdürftig abgesichert und schwach beleuchtet sind. Andere quartieren sich bei Verwandten, Freunden oder Bekannten in den Dörfern rund um die Kreisstadt ein. Denn selbst als bombensicher geltende Schutzräume erweisen sich hin und wieder als Todesfalle. So sterben im Keller des Amtsgerichts allein 80 Menschen. Hanke verdeutlicht die Lage mit einem Brief einer Soldatenfrau vom 12. März 1945: "Ich schreibe bei Kerzenlicht, es sind wieder Flieger in der Luft und die Artillerie nicht weit. Die Stadt brennt an allen Ecken und Kanten, vom Marktplatz bis zum Blücherplatz alles ein Trümmerhaufen, wer tot oder noch lebt, weiß man nicht. Mit Phosphor- und Brandbomben an einem Tag bis 20 mal Bombenregen. Ich bin mit den Kindern, den Schwiegereltern und einigen Nachbarn schon vor einigen Tagen mit dem Nötigsten auf dem Handwägelchen rauf in Bierbrauers Heckelchen hinter Block (Johannistal) gezogen und haben dort einen Stollen gegraben, weil es unten nicht mehr zum Aushalten war. Seit Tagen schon nichts mehr zu essen wie nur Kartoffeln. Kein Brot und sonstige Lebensmittel mehr zu haben, da alles zerstört. ... Wir Frauen machen die Erdarbeit und die Männer sorgen für das Holz und den Bau des Stollens."



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Nur einzelne Attacken
Lange Zeit hat der Krieg einen Bogen rund um Altenkirchen gemacht. "Es ist, wie andere Ortschaften ähnlichen Charakters ebenfalls, kaum von den Auseinandersetzungen betroffen", geht Herrmann in der Chronologie der Ereignisse in die Zeit vor März 1945 zurück. Im weiteren Verlauf mache sich der Krieg in Form von überfliegenden Bomberverbänden bemerkbar, "noch streben sie ferneren Zielen zu. Nachts sind es die Briten, am Tag macht die US-Luftwaffe den Himmel unsicher. Fliegeralarm ist die Folge - und unbeliebte ,Kellersitzungen'. Attacken einzelner Feindflieger bringen die ersten Zerstörungen, fordern die ersten Opfer", führt Herrmann als Co-Autor in dem Buch "Altenkirchen/Westerwald - 700 Jahre Stadtrechte" (2014) ergänzend aus. "Die Dramatik nimmt zu, als es am 7. März 1945 angreifenden US-Bodentruppen gelingt, die zwischen Remagen und Erpel den Rhein überspannende Eisenbahnbrücke handstreichartig fast unbeschädigt in Besitz zu nehmen und damit auf Westerwälder Seite einen Brückenkopf zu bilden."

Brückenkopf macht es möglich
Die Kontrolle der Ludendorff-Brücke, deren Sprengung am 7. März 1945 misslingt, rückt logischerweise den rechtsrheinischen Bereich noch deutlicher ins Visier der Alliierten. Herrmann erläutert: "Die deutschen Verteidiger versuchen mit wirklich allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, den Feind wieder zurückzuwerfen. Dieser wiederum setzt seine schweren Waffen, speziell seine effektive Luftwaffe ein, um die Zufahrtswege für die deutschen Truppen zum Kampfgebiet nachhaltig zu blockieren, sprich zu zerstören. Da ist Altenkirchen, der Straßen und Eisenbahnknotenpunkt, natürlich eine Herausforderung." Mit der Landung des letzten Bombers, der über Altenkirchen im Einsatz war, auf seiner Heimatbasis am 25. März gegen 17.04 Uhr enden die Attacken gegen die Kreisstadt. Nur einen Tag später besetzen US-amerikanische Truppen sie, wobei sie laut Hanke "vergeblich versuchten, den Weg mit dem Einsatz von Bulldozern frei zu bekommen. Schließlich rissen sie Schienen vom Hachenburger Bahndamm - vom Bahnhof bis zur Frankfurter Straße - und umgingen so die Trümmer der Stadt. Der Weitermarsch nach Osten setzte sich fort."

Quartett war unschuldig
Abseits des Terrors aus der Luft macht die damals selbstständige Gemeinde Rimbach (heute zu Oberirsen gehörend) auf sich aufmerksam. Für wenige Tage im März 1945 ist der Gefechtsstand der Heeresgruppe B, legt Herrmann dar, in einem örtlichen Gasthaus eingerichtet. In ihm treffen sich auch am 19. März Rüstungsminister Albert Speer und Generalfeldmarschall Walter Model, um darüber zu sprechen, wie angesichts des fortschreitenden Niedergangs der Nazi-Herrschaft die Industrieanlagen im Ruhrgebiet gerettet werden können. Wenige Tage zuvor sind darüber hinaus nach Urteilen des "Fliegenden Standgerichts West" vier Soldaten (die Majore Strobel, Kraft, Scheller und Oberleutnant Peters) in Rimbach und Oberirsen in Zusammenhang mit dem missglückten Versuch der Sprengung der Ludendorff-Brücke zum Tode verurteilt und umgehend erschossen worden. Heute bestehen keine Zweifel mehr, dass das Quartett unschuldig war.

Trauerfeier vor fünf Jahren
Die Stadt Altenkirchen gedachte zuletzt vor fünf Jahren des US-amerikanischen Bombenterrors vom März 1945 mit einer Kranzniederlegung am Schlossplatz und einer ökumenischen Andacht in der Christuskirche, in deren Verlauf Günther Spahr (1930 - 2017) als Augenzeuge über die Unmenschlichkeit dieses Kriegskapitels berichtete. (hak)


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