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Nachricht vom 11.11.2020    

Vortrag von Bruno Wagner: Als der Krieg nach Wissen kam

Das erstes Treffen der Männerrunde der ev. Kirchengeminde Wissen unter Corona–Bedingungen im evangelischen Gemeindehaus hat am 10. Oktober stattgefunden. Es war schon sehr ungewöhnlich, dass sich die Runde im gesamten Saal verteilen musste, die AHA–Regeln machten dies unbedingt notwendig. Eingeladen hatte die Männerrunde im Gedenken an „75 Jahre nach Kriegsende“ zu einem Vortrag mit dem Thema: „Als der Krieg nach Wissen kam“.

1. Spatenstich für die Siedlung „Moselland“ (1938, Alserberg) durch NS-Ortsgruppenleiter Albert Geiler (Fotos: Archive Bernhard Theis, Bruno Wagner, Josef Heer)

Wissen. Aus Gründen der durch Corona begrenzten Teilnehmerzahl hat sich die Männerrunde dazu entschlossen, den in chronologischer Folge abgefassten Vortrag in komprimierter Form hiermit auch den interessierten Bürgern der Verbandsgemeinde Wissen zur Verfügung zu stellen. Referent Bruno Wagner eröffnete das Thema mit Beweggründen für die Beschäftigung mit Geschichte – denn „es ist alles so, wie es geworden ist.“ Das Leben ist in seiner ganzen Vielfältigkeit Entwicklung. Ohne Vergangenheit ist Gegenwart nicht denkbar, darauf baut Zukunft auf. Zu den konkreten Beispielen gehörte u.a. die Erfindung der Dampfmaschine, die zum Bau der Eisenbahn führte; 1860 erstmals in Wissen (Strecke Köln–Gießen). Hierdurch veränderte sich das Leben im Wisserland vor allem wirtschaftlich, sozial und kulturell.

Allgemein ging Wagner auf verschiedene Ursachen für die Entstehung von Kriegen ein und beleuchtete die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Weimarer Republik in der Endphase. Vor diesem Hintergrund sei die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 erklärbar, in Folge die schrecklichen Auswirkungen der NS–Ideologie und der Weg in den 2. Weltkrieg. Bruno Wagner referierte im Folgenden über:

– Die Vereinnahmung der Jugend (HJ, BDM) für den NS–Staat und den Führer mit Verweis auf Günter Hilgers „Kindheitsgeschichte im 'Tausendjährigen Reich'/Brückenkopf Alserberg“ (Hilgers Buch soll in Kürze erscheinen)

– Den 1. Spatenstich für die Siedlung „Moselland“ (1938, Alserberg) durch NS– Ortsgruppenleiter Albert Geiler

– Die sogenannte Reichskristallnacht/Reichspogromnacht am 09./10. November 1938. (Zu den Ausführungen Bruno Wagners über die Verfolgung der jüdischen Familien Hony und Bär in Wissen las Rolf Abresch ergänzend aus einem Brief Siegfried Honys vor.)

– Den Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 und die zunehmende Einquartierung deutscher Soldaten in Wissen

– Die ersten Bombenabwürfe auf Wissen am 16.05.1940

– Kriegsgefangene seit 1940 und später auch Zwangsarbeiter im Barackenlager „Auf der Bornscheidt“

– Auf das acht Tage lange Hissen von Hakenkreuzfahnen und das Glockengeläut nach Siegen der deutschen Wehrmacht

– Das Sirenengeheul (eine Wissener Bürgerin registrierte in der Zeit von 1940 bis 1944 ganze 508 mal Sirenengeheul)

– Die Flakstellungen (Flugabwehr) z.B. an der Seilbahn–Umspannungsanlage auf dem Alserberg. Dort gab es zwei Zwangsarbeiterinnen–Baracken (heute Standort KFZ–Helmert)

– Die Häuser/Wohnungen, die abends und nachts zum Schutz vor feindlichen Flugzeugen verdunkelt werden mussten

– Die ersten Flächenbombardements auf deutsche Großstädte, danach kamen Bombenflüchtlinge aus Köln, Düsseldorf, Essen etc. nach Wissen

– Die Kinderlandverschickung in ruhigere Gegenden

– Die verheerende Schlacht und Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43, danach rief Goebbels den totalen Krieg aus

– Die Einrichtung von Luftschutzräumen.Sie dienten dem Schutz vor Fliegerangriffen, verwendet wurden Stollen und Bahntunnel

– Den Erlass Hitlers im September 1944 zur Bildung des „Deutschen Volkssturms“. Das letzte Aufgebot mit Hitlerjungen und 50- bis 60-jährigen Volkssturmmännern

– Den 08. Februar 1945: Bombenabwurf auf den Wissener Bahnhof und dessen Zerstörung

– Den 08. März 1945: Bombenabwurf auf Hofgut Holschbach der Familie Becher, mit sieben Toten

– Den 11. März 1945: Bericht des Zeitzeugen Günter Hilger: „Am Sonntag, dem 11. März 1945, machten wir mit 4 Jungen einen Spaziergang nach Holschbach und sahen uns die entstandenen Schäden an. Als wir auf dem Rückweg in Höhe des Hauses Gockel (Alserberg) waren, näherte sich von Wissen ein Flugzeugverband von 35 Bombern... Plötzlich hörten wir ein Rauschen, das uns elektrisierte. Danach wurde es schwarz unter den Flugzeugen...“. Beim Luftangriff der Amerikaner auf Wissen, mit zwei Verbänden B-26-Bombern (Marauders), wurden insgesamt 1036 Sprengbomben abgeworfen, vornehmlich 250 Pounds Bomben, von denen ein Blindgänger 2002 gefunden und entschärft wurde. Laut Protokoll und Geheimpapieren der 9. amerikanischen Bomberdivision galt der Angriff strategischen Zielen, nämlich der Ausschaltung militärischen Nachschubs deutscher Truppenverbände, die auf dem Vormarsch zum Brückenkopf Remagen waren. Deshalb sollten vom Siegerland bis Siegburg sämtliche Brücken, Gleisanlagen und Straßen bombardiert werden. Das Fliegen mit Kompass und das trübe Wetter verhinderten gute Zielgenauigkeit und verursachte dadurch einen Bombenteppich über Wissen. Der Referent griff hier häufig auf Aussagen von Zeitzeugen bzw. Betroffenen zurück, mit denen er in der Vergangenheit auch schon in Schulen vorstellig wurde. Über 180 Tote und zahlreiche Verwundete forderte dieses Bombardement, vor allem im St. Antonius–Krankenhaus, im ev. Gemeindehaus (Lazarett) und auch im „Splittergraben“ im Richtweg. „Die Bartholomäusnacht von Wissen“ – dieser eindrucksvolle Bericht des damaligen Zeitungsredakteurs Gustav Wirths wurde von Lektor Rolf Abresch vorgetragen.



– Auch bei anderen zahlreichen Luftangriffen, z.B. auf das Walzwerk und das Barackenlager Bornscheidt gab es Tote und Verletzte

– Die für die Erschießung zweier russischer Zwangsarbeiterinnen verantwortlichen Leiter der Wissener Polizei- und NSDAP-Dienststellen sowie die ausführenden Hilfspolizisten wurden nach dem Krieg von einem französischen Militärtribunal zur Rechenschaft gezogen und mit Zuchthaus- und Gefängnisstrafen belegt

– Ende März 1945 drangen amerikanische Bodentruppen über die Köttingerhöhe und Schönstein nach Wissen vor. Das Barackenlager Bornscheidt war aufgegeben worden, heftige Kämpfe tobten im Bereich Sandberg, Kucksberg, Brückhöfe und Alserberg. Zuvor hatten deutsche Soldaten alle Brücken im hiesigen Raum gesprengt.

– Gefallene deutsche Soldaten, die auf dem Waldfriedhof Alserberg beerdigt wurden.

Zum Schluss ließ der Referent den ehemaligen Hitlerjungen Peter Sterk zu Wort kommen, der im Krankenhaus als damals 14–Jähriger den Bombenangriff so eben überlebte: „Wir Bürger tragen nun alle die große Verantwortung zur Einhaltung unserer Grundrechte und zum Frieden beizutragen. Leben in Freiheit ist nicht selbstverständlich, denn es musste von uns teuer bezahlt werden.“ Bruno Wagner fügte hinzu, dass braunes Gedankengut und Handeln, Rassismus, Terror und Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch seien. Dem müsse entschieden Einhalt geboten werden.

Der Vortrag von Bruno Wagner hatte die Männerrunde sehr beeindruckt und auch betroffen gemacht. Ein ganz besonderer Moment war jedoch die ins Bewusstsein getretene Tatsache, dass genau an der Stelle des Treffens der Männerrunde im Gemeindehaus vor 75 Jahren ein Gebäude der ev. Kirchengemeinde Wissen stand, das als Lazarett benutzt wurde. Beim Luftangriff auf Wissen wurde dieses Gebäude von Bomben getroffen und über 70 Menschen kamen ums Leben. (PM)


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